Schöner kann ein in die Fremde ausgewanderter kaum beschreiben, wie er sich seiner Heimat-Stadt Berlin versichert. Wenn der Ausgewanderte auch noch ganze Serien an Schwarz/Weiß Fotografien, entstanden zwischen 1980 und 1989, zur Untermalung bereitstellt – ist dies Kunst gewordene Sehnsucht nach einer entschwundenen Stadt.
Robert Paris, Jahrgang 1962, lebt heute in Indien. Er wuchs als Sohn der Fotografin Helga Paris in die Möglichkeit hinein, seine verfallende Umgebung und die Stagnation der 80er Jahre festzuhalten. In Fotografie zu bannen. Auf kontrastreichen Bildern mit oft wolkenbedecktem Himmel lichtete Robert Paris Gebäude, Straßen, Gasometer, S-Bahnhöfe und Stadtlandschaften Ost- Berlins ab. Der vorliegende Bildband „Entschwundene Stadt, Berlin 1980-1989“ vereint dementsprechend die drei Bildzyklen „Straßen und Häuser“, „Gaswerk Dimitroffstraße“ und „Bahnanlagen“ mit einem gewohnt tiefgreifenden Text der Autorin Annett Gröschner. Ein besseres Vorwort hätte der Mitteldeutsche Verlag nicht in Auftrag geben können. „Um Flaneur zu sein, fehlt Robert Paris die Interessenlosigkeit“, schreibt sie und zitiert das einprägsame Erlebnis der Verhaftung des Neunzehnjährigen, der am 13. August 1981 an die Greifenhagener Brücke „Wir sind langsam sauer – 20 Jahre Mauer“ gesprüht hatte. Wohin Paris und seine Freundin in einem Barkas in dieser Nacht gefahren wurden, spürte der Stadtbewanderte am Bodenbelag unter dem fensterlosen Fahrzeug. „Erst die Schönhauser Allee geradeaus nach Norden, über die Bornholmer nach Pankow, da wurde es dann weich, Teerbelag, das wusste ich. Bald danach ging es rechts rum, ich hörte Flugzeuge, aha, dachte ich, Pankow, Einflugschneise. Dann ging aber wieder das Holperpflaster los, das musste nach meiner Kenntnis die Kissingenstraße sein. Irgendwie hat mich dieses Wissen beruhigt.“
Zu Weihnachten war Robert Paris draußen, stieg weiter in Abrisshäuser und auf Dächer, fotografierte die Sprengung des Gasometers im Prenzlauer Berg, der Friedrichsstadtpassage in Mitte, die Haut der Häuser. Kriegsnarben, Schutt und Ruß. Der rudimentäre Seiteneingang in die Ackerhalle, der Anbau ein Betonprovisorium. Freiflächen, Steinhaufen. Das spätere Cafe Westphal am Kollwitzplatz, Einschusslöcher, Kopfsteinpflaster, verrammelte Jalousien. Ein Hund allein auf der Straße. Blinde Fenster.
Die Häuser sind inzwischen überformt, geschönt. Die Bilder bleiben. Als melancholische Momentaufnahmen einer scheinbar ewig vergangenen Zeit.
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Robert Paris, Entschwundene Stadt, Berlin 1980-1989, Mit einer Einführung von Annett Gröschner, 125 Seiten, Mitteldeutscher Verlag, Februar 2013, 24,95 €