Unter dem Teppich ist noch Platz – „mein deutsches deutsches Land“ bei den Autorentheatertagen

Szene mit Jonas Friedrich Leonhardi, Lea Ruckpaul und Kilian Land aus dem Stück "mein deutsches deutsches Land" von Thomas Freyer. â’¸ Foto: Matthias Horn

In Zusammenarbeit mit dem Regisseur Tilman Köhler hat Thomas Freyer sich mit dem Thema NSU auseinandergesetzt. Das Stück, das dabei entstand, ist Fiktion. Vor einigen Jahren hätte dem Autor vorgeworfen werden können, dass er absurde Verschwörungstheorien entwickelt hat. Nach allem, was mittlerweile bekannt wurde, waren es aber wohl die bei den NSU-Morden ermittelnden Behörden, die Verschwörungstheorien verfolgt haben.  

Da wir, wie Freyer meint, vielleicht nie erfahren werden, wie es wirklich gewesen ist,  hat er die Leerstellen gefüllt und beschrieben, wie es gewesen sein könnte.

Im Stück gibt es drei Zeitebenen, die bei jeder Szene auf Bildschirmen angezeigt werden: gestern, ab 2008, als Sarah, Florian und Dominik sich als SchülerInnen eines Gymnasiums kennen lernen, heute, ab 2014, während der Mordserie, in der 14 ausländische Studenten erschossen werden, und morgen, ab 2020, nachdem Florian, Sarah und Dominik nach einem Autounfall ins Krankenhaus eingeliefert worden sind. Auch die Schauplätze und die Namen der auftretenden Personen sind von den Bildschirmen abzulesen.

Sechs SchaupielerInnen, jede und jeder in vier bis sechs unterschiedlichen Rollen, verwandeln sich blitzschnell während die Bühne sich dreht, übernehmen dazu noch den Austausch der Requisiten und Ausstattungsstücke und gestalten überzeugend, in den charakterisierenden Kostümen von Barbara Drosihn, unterschiedliche Personen zwischen den Sperrholzwänden, die Bühnenbildner Karoly Risz entworfen hat.

Die kurzen Szenen folgen nicht chronologisch aufeinander. Durch die Zeitsprünge von gestern zu morgen und zu heute und gestern zurück, bekommt das Publikum die Geschehnisse und ihre Hintergründe aufregend häppchenweise serviert.

Neben den drei Zeitebenen gibt es im Stück auch drei Gruppierungen von Personen: TäterInnen, Polizei und die Politik in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz.

Im Schnelldurchlauf  wird einiges über die Herkunft von Sarah, Florian und Dominik deutlich: Sarahs Eltern sind linksliberale Intellektuelle, die ihrer Tochter viel Freiraum lassen, weil sie, anstatt Zeit mit ihr zu verbringen, lieber feuchtfröhliche Abende mit ihren FreundInnen veranstalten. Dominik fühlt sich von seiner bigotten Mutter terrorisiert. Florians Vater, von seiner Frau verlassen, ist überfordert mit der Erziehung seiner beiden Söhne. Florians älterer Bruder, sein großes Vorbild, ist bereits bei den Neonazis aktiv und sitzt wegen einer Straftat im Gefängnis. Die drei Jugendlichen langweilen sich in der ostdeutschen Stadt, in der sie leben und in der ein rechtsradikaler Heimatverein sein Unwesen treibt.

Anstatt den Weg in die Kriminalität zu wählen, hätten die Drei wohl auch in der Politik Karriere machen können. Kilian Land stellt den smarten Florian, Kopf des Mörder-Trios, ganz anders dar als den ehrgeizigen Innenminister Nöde, aber der Autor hat diese beiden Personen mit ähnlichen Eigenschaften ausgestattet. Beide sind extrem machthungrig, geltungssüchtig und egozentrisch, und keiner von beiden hat gelernt, Empathie zu empfinden.

Dominik (Jonas Friedrich Leonhardi), Florians Bluthund, der mit kaltblütiger Entschlossenheit den ersten Mord ausführt, hätte mit seiner Brutalität und seiner Bereitschaft zu bedingungslosem Gehorsam einen erfolgreichen Mitarbeiter im Verfassungsschutz abgeben können.

Sarah (Lea Ruckpaul) ist anfänglich eine unsichere, verschlossene junge Frau. Ins rechtsradikale Milieu gerät sie dadurch, dass sie sich in Florian verliebt. Weil ihre Eltern, in plötzlicher Sorge, ihr den Umgang mit dem gefährlichen jungen Mann verbieten, entscheidet sich Sarah dafür, ihr komfortables Heim zu verlassen und sich Florian anzuschließen. Als der einen alten Mann zusammenschlägt, ist Sarah entsetzt und macht Florian heftige Vorwürfe, die von ihm verächtlich zurückgewiesen werden.

Sarah will Florian nicht verlieren. Sie passt sich ihm an und findet mehr und mehr Gefallen an seinen menschenverachtenden Ideen. Von Sarah kommt schließlich der Vorschlag, ausländische Studenten zu ermorden.

Der Verfassungsschutz ist in Thomas Freyers Stück vor allem ausführendes Organ des Innenministeriums. Von Aktivitäten der V-Leute in der rechten Szene ist nur am Rande die Rede. Die Mordopfer werden mit der Dienstwaffe eines Beamten der Mordkommission erschossen, dem frühere Kontakte zur rechten Szene nachgewiesen werden können. Ob dieser Beamte seine Pistole aus purer Geldnot einem ehemaligen Kumpan verkauft hat oder ob er immer noch zu den Neonazis gehört, bleibt im Dunkeln.

Politiker und Verfassungsschützer sympathisieren hier nicht mit rechtsradikalen Gesinnungen. Ihnen geht es ausschließlich darum, die Existenz  einer gewalttätigen rechten Szene vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Um einen Skandal zu verhindern, der die Karriere des nach Höherem strebenden Innenministers schädigen könnte, müssen die Ermittlungsergebnisse der Mordkommission verschwiegen oder uminterpretiert werden.

Kriminalkommissar Joachim Wolff (Thomas Braungardt) und seine Kollegin Stotzner (Ina Piontek) sind schon früh auf der richtigen Spur. Stotzner wird versetzt und Wolff von den Ermittlungen abgezogen, schließlich suspendiert und am Ende wohl gar eines Verbrechens beschuldigt.

Innenminister Nöde entdeckt sehr schnell die Nützlichkeit des neuen Assistenten Schmissert (Matthias Luckey)  beim Verfassungsschutz und macht ihn zu seinem Werkzeug. Mit nahezu unbegrenzten Machtbefugnissen ausgestattet, gelingt es Schmissert, alles drohende Übel aus der Welt zu schaffen.

Florian ist bei dem Autounfall gestorben. Die beiden anderen wurden nur leicht verletzt, und Dominik hat ein umfassendes Geständnis abgelegt, das jedoch nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Nur eine kleine Pressenotiz erwähnt den Unfalltod von drei jungen Leuten. Sarah und Dominik werden mit neuen Identitäten in die Freiheit entlassen. Ein mordendes Neonazi-Trio hat es nicht gegeben.

Das Stück von Thomas Freyer ist ein bisschen zu glatt und auf Fernsehkriminiveau unterhaltsam. Durch die großartigen Leistungen der SchauspielerInnen wird jedoch auch das unfassbar Grauenvolle hinter der spannenden Handlung spürbar. Das Gastspiel vom Staatsschauspiel Dresden bei den Autorentheatertagen wurde vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen.

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