Fallbeispiel
Ein vierzigjähriger Besitzer eines Reisebüros war an einem Kehlkopfkrebs erkrankt. Er schilderte, noch im Krankenhaus habe er Pläne gewälzt, was er nun machen könne. Er hat den Beruf gewechselt und sich den lang ersehnten Wunsch, Ausdauersport zu betreiben, erfüllt. Beim Triathlon habe ich ihn 10 Jahre später kennen gelernt. Um Sport ausüben zu können, meinte er, mit dem Rauchen aufhören zu müssen. Rauchen gilt als Risikofaktor bei Krebserkrankungen der Atemwege. Er schilderte, sein Bettnachbar, der das Gleiche hatte, sei in eine Katastrophenstimmung und Verzweiflung gefallen und bald darauf verstorben.
Einen ähnlichen Zusammenhang berichtete die Frankfurter Rundschau vor einigen Jahren bei HIV-Positiven. Ein HIV-Positiver hatte in aller Ruhe sein Leben weitergeführt und war in über 20 Jahren nicht an Aids erkrankt, während die Verzweifelten schon lange gestorben waren. Deswegen dient die psychotherapeutische Nachsorge vor allem der Beruhigung und Aufhebung von Katastrophenstimmung und Verzweiflung. Andere Krebspatienten, die Veränderungen in ihrem Leben herbei führen, etwa sich lang ersehnte Lebenswünsche, Reisen oder Trennungen aus unerträglichen Lebenssituationen erfüllen, können dadurch überleben. Die Vorstellungen über diese Veränderungen müssen jedoch in ihrem Weltbild vorhanden sein oder sich durch äußere Anregungen und Ermutigungen ergeben. Können die Erkrankten sich nicht aus unerträglichen Lebenssituationen befreien, etwa einer völlig zerstrittenen Familiensituation, haben sie eine ungünstigere Prognose.
Psychosoziale Faktoren in der Nachsorge
In der Nachsorge ist der Einfluss von psychosozialen Faktoren, das heißt die Persönlichkeit und die zwischenmenschlichen Beziehungen, auch in der traditionellen, organmedizinischen Behandlung anerkannt und wird vielfältig als therapeutisches Mittel eingesetzt. Ein Krebspatient, der allein körperlich auf die befallenen Organ fixiert ist und sich den heilenden Einfluss der Zwischen- und Mitmenschlichkeit nicht vorstellen kann, hat also eine schlechtere Prognose. Daneben gibt es noch eine Vielfalt von esoterischen und pflanzlichen Behandlungsmethoden wie die Mistel, die außerhalb der Organmedizin angewandt werden, und wo wohl mehr der Glaube, beziehungsweise der Plazeboeffekt wirkt, also psychosoziale Faktoren in der Übermittlung von Glauben und Hoffnung. In ihrer Not greifen viele Krebspatienten zu allem, was irgendwie und irgendwo Hoffnung und Heilung verspricht.
Psychosoziale Faktoren bei der Entstehung
Psychosoziale Faktoren bei der Entstehung und als Teilursache der Krebserkrankung sind jedoch absolutes Tabu. Als ich dieses Thema bei einem Vortrag über die psychotherapeutische Nachsorge anzusprechen wagte, stach ich in ein Wespennest, wurde sofort nieder geschmettert und auf den Scharlatan Grossarth-Maticek verwiesen, der vor zig Jahren ein Buch über die angebliche Krebspersönlichkeit geschrieben hat und seine Untersuchungen gefälscht habe. Dieser hatte in seinem Buch über Faktoren der Krebspersönlichkeit wie Opferhaltung, massive Angst und unterdrückte Aggressionen geschrieben. Diese Faktoren finden sich vielfach auch bei Menschen, die deswegen noch lange nicht an Krebs erkranken. Bis auf die Angst stellen die Opferhaltung und die Aggressionsbewältigung durch Unterdrückung hohe kulturelle und gesellschaftliche Werte dar. Die Gründe und Hintergründe dieser aggressiven Verbannung sehe ich in den sowieso schon vorhandenen Schuldgefühlen von Krebskranken, der Stigmatisierung von Schwäche und Versagen, die durch den Begriff der Krebspersönlichkeit noch verstärkt würde. Viele Krebskranke halten Krebs für eine Bestrafung für ihre Sünden. Deswegen erzeugte alleine die Erwähnung psychosozialer genetischer Faktoren bei der Krebserkrankung heftige Aggressionen im gesamten Umfeld.
Krebs und Traum
Zum Vorstadium und zur Persönlichkeit von später Krebserkrankten zwei kleine Fallbeispiele: Eine Frau schilderte ihrer Freundin einen Traum, in dem sie eine Seefahrt unternahm und sämtliche weiblichen Attribute über Bord warf. Sie wurde bald darauf an Brust – und Unterleibskrebs operiert. Als sie später auf diesen Traum hingewiesen wurde, konnte sie sich an nichts erinnern. Ein Depressiver, der als Sozialarbeiter tätig war, schilderte merkwürdige und bizarre Tagträume. Einen makaberen Traum, weil ich ihn für so zutreffend hielt, behielt ich in Erinnerung. Er schilderte den zwischenmenschlichen Zusammenhang als einen Kreis von Menschen, in dem jeder seinen Kopf im Arsch des Anderen hatte. Nach meinem Eindruck habe ich ihm wenig helfen können. Er war zu sehr fixiert auf seine Helferhaltung und Angst- und Aggressionsfreiheit. Etliche Jahre später rief er mich an und erwähnte nebenbei, er sei an Nasenkrebs erkrankt. Spontan dachte ich, kein Wunder bei den Gerüchen, die er auszuhalten hat. Als ich zwei ärztlichen Kollegen diese Geschichte erzählte, hielten sie begeistert diese Geschichte für den Beweis der Psychogenese des Krebses. Als Beweis halte ich die Geschichte für übertrieben, aber vielleicht als Hinweis. In beiden Fällen war die Wahrnehmung und Erinnerung für die Betroffenen äußerst flüchtig. Aber das Umfeld, die Freundin, die den Traum auch mehr zufällig schilderte, und der Psychotherapeut bewahrten die Erinnerung. Bei den Betroffenen waren diese Träume tief im Unbewussten versunken und hatten dennoch eine dynamische, selbstzerstörerische Kraft.
Selbstheilendes Fallbeispiel
Ein psychologischer Kollege schilderte mir seinen Umgang mit seinem Blasenkrebs. Blasenkrebs hat eine starke Nachwachstendenz und in seiner Form war fast mit Sicherheit mit einem Nachwachsen, wenn auch nicht mit einer tödlichen Metastasierung zu rechnen. Laut Aussage seines Urologen kam er knapp an einer künstlichen Blase vorbei. Er fasste den Krebs als Warnsignal und als einen Schuss vor den Bug auf, etwas in seinem Leben zu verändern. Durch seinen Beruf sowieso schon auf die Wahrnehmung seiner inneren Befindlichkeit und seines Sozialraumes ausgerichtet, sagte er sich, er dürfe nicht in Katastrophenstimmung und Verzweiflung verfallen, – musste noch eher seine Gattin beruhigen -, müsste noch mehr sich selbst akzeptieren, innerlich präsenter sein, da er sich bei gutem äußeren Funktionieren im Inneren öfter latent durcheinander fühlte, und sich seine Aggressionen zu gestehen und mehr heraus lassen. Leichter fiel im dies, weil er schon früher mit der Selbstwahrnehmung, vor allem seiner Ängstlichkeit, günstige Erfahrungen gemacht hatte. Seinen Lebensweg und die äußere Anerkennung betrachtete er eher verwundert, da dies nicht seiner inneren Welt entsprach.
Prägend sah er seine kalte, beherrschende Mutter, voll unterdrückter Wut, die ihn immer entwertet hatte, worunter seine Hingabe-, Liebes- und Abgrenzungsfähigkeiten gelitten hatten, und als Folge seine automatische Tendenz, sich nicht genügend zu akzeptieren, sich innerlich Berge aufzubauen (Rückenbeschwerden) und vor diesen angstvoll zurück zu schrecken, statt Nähe Distanz zu suchen und die eigenen Aggressionen zu unterdrücken. Auch der Vater hatte kein Gegengewicht gebildet, sondern eher ins Horn der Mutter geblasen. Offenbar gelang ihm die innere Veränderung so gut, dass der Krebs nicht nachwuchs. Jedoch schilderte er, diese Vorgänge seien eine lebenslange Aufgabe, da er immer wieder die Neigung habe, in das alte Fahrwasser zurückzufallen.
Von einem alten Schulenfreund erzählte er, dass dieser an Blasenkrebs gestorben sei. Er forschte bei der Gattin nach und erfuhr, der ältere Bruder müsse der Mutter nun helfen. Aber dieser habe zwei linke Hände. Es stellte sich heraus, dass der Freund auf Abruf und Kommando der Mutter immer geholfen hatte, dies einmal verweigerte und die Empörung der Mutter über sich ergehen lassen musste. Vielleicht war die Krebserkrankung die Strafe für sein Unfolgsamsein. Eine psychologische Betreuung hatte er in der Rehabilitation nach einer künstlichen Blase abgelehnt.
Psychosoziale Faktoren bei der Genese
Autoaggression
Jeder Mensch wird in seiner Kindheit geprägt und hat insofern andere Menschen in sich. Es kommt darauf an, was er in sich herum trägt, ob dies negative, schlimme Inhalte sind. Sollte man psychosoziale Faktoren bei Krebserkrankungen akzeptieren und diese nicht weit von sich zu weisen, erscheinen mir die Konzepte der Autoaggression, beziehungsweise der Identifikation mit dem Aggressor, der projektiven Identifizierung und zur Überwindung und Selbstheilung das der Triangulierung hilfreich. Krebs könnte man zu den Autoaggressionskrankheiten zählen. Über diese Konzepte habe ich bereits Artikel geschrieben.
Die Autoaggression stellte die Aggression auf die verinnerlichten frühen Primärobjekte dar. Durch die Übernahme, also Verinnerlichung oder Introjektion der Welt der und den Erfahrungen mit den Primärobjekten, hauptsächlich der Mutter, befinden sich diese in der eigenen Person, im eigenen Selbst und die ursprünglichen Aggressionen auf das Umfeld richten sich gegen dieses eigene Selbst. Wut und Hass auf das primäre Umfeld werden also zu Wut auf die eigene Person und zu Selbsthass. Man kann auch von Identifikation mit dem Aggressor sprechen. Zur Autoaggression gehören auch die Schuld und die Schuldgefühle, die eigene Entwertung und Entwürdigung, Selbstverachtung und Schamgefühle. Die Scham ist die Folge eines Größenbildes von Autonomie und Stärke als Reaktion auf das ursprüngliche Ausgeliefertsein und die Ohnmacht des kleines Kindes.
Projektive Identifizierung
Die Autoaggression ist in der zwischenmenschlichen Beziehung auch die Folge der projektiven Identifizierung. Die Primärobjekte, meist die Mutter, aber auch des Vaters und anderer Familienangehöriger, projizieren Anteile ihrer Aggressionen auf sich selbst, Selbstentwertung und Selbsthass auf das Kind, sehen sich selbst also im Kind, und das Kind identifiziert sich mit diesen ursprünglich fremden Selbstanteilen. Diese Vorgänge finden sich bei vielen Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen,
Containerfunktion
Aus einer anderen Perspektive gesehen kann die für die menschliche Reifung wichtige Containerfunktion, das heißt Beruhigung, Tröstung und Wiedergutmachung, der Mutter/Eltern in der Beziehung zum Kind gestört sein. Im Gegenteil, oft verursachen die Spannungen des Kindes zusätzliche Spannungen und Aggressionen der Eltern, an denen sie das Kind schuldig sehen wie „du machst mir Ärger, Kummer und Sorgen“ für Dinge, für die sich andere Eltern gar keinerlei Sorgen machen. Diese Zuschreibungen übernimmt das Kind, so dass die Hingabe und das Vertrauen gestört sind. Oft findet sich sogar eine Rollenumkehr, das Kind beruhigt die Mutter/ Eltern (Paternalisierung), etwa schön lieb, brav, anständig zu sein, gute Schulnoten zu präsentieren oder die hohen Ansprüche zu erfüllen, die die Eltern für sich nicht erfüllen konnten. Eine frühere Patientin, zu deren Familientradition es gehörte, dass, wenn das Kind etwa 15 Jahre alt war und selbstständiger wurde, die Mutter entweder ein neues Kind bekam oder an Krebs verstarb, berichtete, sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als sich mit ihren Problemen an ihre Mutter zu wenden.
„Falsche“ Empathie
Auch unter der Perspektive der Empathie, das Sichhineinversetzen und Hineinfühlen in jemand anderes, kann man die frühe zwischenmenschlichen Kommunikation betrachten. Eine Mutter mag glauben, den Charakter oder die Befindlichkeit ihres Kindes genau zu kennen, wobei sie ihre Bilder oder Befindlichkeiten aus sich selbst oder aus früheren Erfahrungen mit ihrem Umfeld nimmt, die jedoch in keiner Weise dem Kind entsprechen. In das Kind wird also ein fremdes und falsches Selbst platziert, an das das Kind glaubt und das seine Gefühlslage bestimmt. Dazu ein Beispiel: Eine junge Frau war bei ihrer Großmutter aufgewachsen, die immer wieder betont hatte, wie froh und glücklich die Enkelin sei, bei ihrer Oma aufwachsen zu dürfen. Die junge Frau betonte später "und sie war froh und glücklich ", bei einer Frau, bei der das Umfeld von einer Hexe sprach. Sie war also regelrecht verhext, worin ich den symbolischen Hintergrund der früheren Hexenverbrennungen sehe. Durch den inneren Widerstreit von eigenem und fremdem Selbst, gerät das Kind lebenslang in innere Zerrissenheit oft in Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung und verliert sich selbst.
Transgenerationelle Perspektive
Man sieht, die Krebserkrankung kann die Folge tragischer zwischenmenschlicher Verstrickungen und mangelhafter Abgrenzungen über Generationen hinweg sein. Bei der an den weiblichen Attributen operierten Frau wurde wohl schon über Generationen hinweg geprägt, dass sie so sehr ihre Weiblichkeit ablehnte und diese zerstörte. Allein schon das christliche Heiligenbild der „Jungfrau Maria“ verweist auf die Verteufelung der Sexualität. Der Sozialarbeiter beschrieb den zwischenmenschlichen Zusammenhang in einem demütigenden Bild, wo die Selbstbestimmung, der eigene Kopf sich im Anderen auf entwürdigende Weise verlor.
Auslösungspunkt
Diese psychosozialen Erfahrungen werden im Körper, hauptsächlich im Gehirn, gespeichert und mögen jahrzehntelang dahin schlummern. Das fremde Selbst und dessen Geist sind also im eigenen Körper körperlich vorhanden. An einem Auslösungspunkt kann das fremde Selbst körperlich im Körper des Erkrankten anfangen zu wuchern, so wie es schon früher der Geist tat und durch die Verinnerlichungen weiterhin getan hat, sich auszubreiten und hat die Neigung, den Körper des Erkrankten zu zerstören. Vorherrschend sind wohl die Gefühle der Ver- oder Erbitterung und Verzweiflung, lebenslang enttäuscht oder benachteiligt zu sein, und der Hoffnungslosigkeit hinsichtlich Veränderungen. Eine Frau etwa fühlte sich von ihrer Mutter trotz ihrer Bemühungen, alles ihr recht zu machen, nie akzeptiert und musste alle Hoffnungen begraben, als diese starb. Ihre Aggressionen, im Stich gelassen zu sein, breiteten sich als tödlicher Darmkrebs aus. Eine andere Frau konnte ihrer Mutter nicht verzeihen und reagierte verbittert, daß sie das Haus ihrem nächsten Mann vererbt hatte. Sie meinte, es stehe ihr zu, so wie sie sich in vielen Situationen von ihrer Mutter benachteiligt sah. Beide Mütter hatten in ihren Töchtern ihr negatives Selbst (das Objekt als Selbst, Selbstobjekt) erlebt und konnten deswegen nicht gute Mütter sein.
Wahrscheinlich hängt der Grad der Bösartigkeit des Krebses vom Maß der Autoaggression ab. Ist diese sehr stark und massiv verankert, sind die Überlebenschancen geringer. Wegen der Weitergabe über Generationen hinweg kann der Krebs auch eine transgenerationelle Perspektive haben und in Familien gehäuft auftreten. Bei dem Freund des Psychologen mag die Aggression der Mutter, die Sünde des Ungehorsams und die Unterdrückung der eigenen Aggressionen dieser Punkt gewesen sein. Der Psychoanalytiker Günter Maass beschreibt als Auslösungspunkt in den Wechseljahren das Ziehen einer Lebensbilanz, in der das eigene Scheitern im Vordergrund steht und im Zukunftsentwurf Hoffnungslosigkeit besteht, jemals noch etwas ändern zu können. Dabei mögen Vorhaltungen und Vorwürfe des Umfelds eine auslösende Rolle spielen.
Jedoch spielen nicht nur negative Gefühle eine auslösende Rolle, sondern auch die Tendenz, in der Erkrankung das zu finden, was man im Leben nie gefunden hat wie Fürsorge, Kümmern und eine Erlösung von einem harten Leben. Die Darmkrebskranke hatte an ihrem Partner kein gutes Haar gelassen und wurde schließlich von einem Gruppenmitpatienten gefragt, warum sie überhaupt noch bei ihm bleibe. Sie antwortete, weil er sie so schön pflege und sie sich so geborgen fühle.
Triangulierung
Grossarth-Maticek hatte mit seinen Mitarbeitern ein Autonomietraining entwickelt und zur Selbstwahrnehmung ermuntert. Nicht mehr Herr in der eigenen Person zu sein, Eigenregie führen zu können und dunklen Mächten ausgeliefert zu sein, sind wohl die eigentliche Katastrophe, die im Krebs wieder erlebt wird, wieder erlebt, weil der das fremde vernichtende Selbst die eigentliche Katastrophe darstellt. Diese Selbstwahrnehmung ist im doppelten Sinne zu verstehen, einmal die eigene Befindlichkeit, die eigenen Gefühle, Bilder, Phantasien und, wie oben dargestellt, die Träume, inwieweit sie Ausdruck des eigenen Lebens sind, wahrzunehmen und inneren Realitäten entsprechen. Weiterhin gehört hinzu, sich selbst im Kontext der Vergangenheit und Prägungen zu erleben, dort die Kindheitsperspektive mit ihren Verinnerlichungen, und aktuell die Einwirkungen von außen, etwa Vorwürfen, die auf einen vorbereiteten Boden treffen und zu Schuldgefühlen, Selbstentwertungen und Aggressionen führen.
Zum anderen ist die eigene Interessenswahrnehmung innerhalb des Sozialraumes gemeint. In einem Klima und in einer Kultur der Opferhaltung, Verantwortung und Rücksichtsnahme für andere und nicht der Selbstverantwortung und Rücksichtsnahme auf sich selbst – siehe den obigen Kreis – wird die Interessenswahrnehmung naturgemäß durch Vorwürfe wie Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit erschwert. Durch die Selbstwahrnehmung wird die Regie in der eigenen Person innerhalb des Sozialraumes wieder hergestellt oder erst gewonnen.
Diese Selbstwahrnehmung beinhaltet das Konzept der Triangulierung, sich selbst und die sozialen Bezüge sozusagen wie eine dritte Person von außen zu betrachten und für sich selbst wie ein guter Vater zu sein, der das Kind aus den Verstrickungen mit der Mutter und anderen zwischenmenschlichen Bezügen heraus führt. In ihr stecken die Chancen. Deswegen stellt der Vater, im deutschen Märchen der Prinz oder im Christentum der Gott Jesus Christus, so etwas wie eine Erlöserfigur dar. Die Symbolik von Märchen und Religion können so Realität im Alltag werden.
Der Psychologe hat seinen Blasenkrebs als Chance und Reifungsschritt verstanden. Sich selbst im Kontext seiner Kindheit zu sehen, war ihm vertraut, und er konnte seine Kindheit in der Aktualität wieder erleben. Unter seiner angegebenen vermehrten Präsens kann seine Selbstwahrnehmung verstanden werden. Er konnte seine innere latente Verwirrung durch die Aufspaltung und Unvereinbarkeit seiner inneren Widersprüche, etwa Nähe und Distanz, der Wunsch nach eigenen Schritten und Anlehnung und Geborgenheit, Rücksichtsnahme auf andere und auf sich selbst, integrieren, d.h. zu einer Einheit zusammen führen.
Das Wichtigste ist die Selbstakzeptanz, -achtung oder -anerkennung, mit sich und dem eigenen Leben einverstanden zu sein, egal wie dieses aussieht, die auch in der Selbstwahrnehmung geschaffen wird. Wurde man schon nicht in der Kindheit anerkannt und sieht als Folge die Nichtanerkennung in die Umwelt hinein, gilt es, diese nachzuholen. Die verhinderte Selbstwahrnehmung durch Verdrängung, Verleugnung oder Projektion dreht das ursprüngliche Ziel in das Gegenteil um. Schließlich muß es ja etwas Schlimmes sein, wenn man es nicht wahrnehmen will. Der Vogel Strauß beschwört sozusagen die Gefahren, vor denen er den Kopf in den Sand steckt. Diese Abwehrmechanismen sind jedoch nicht ein bewusster Willen und Vorgang, sondern eine meist unbewusste, lebenslange innere Automatik, denen man auf die Schliche kommen kann. Der Psychologe realisierte auch, daß die Selbstwahrnehmung- und -akzeptanz ein lebenslanger, unter veränderten Bedingungen wie veränderten Lebensphasen und Alterungsprozessen und veränderten zwischenmenschlichen Beziehungen und Einflüssen, immer wieder ein neu zu erringender Prozess ist, da er seit seiner Kindheit eine ganz andere Welt in sich hat. Wird dieser Prozess aufgegeben, weil man etwa ein Problem ein für alle mal gelöst haben will, wird das Leben aufgegeben.
Zur Selbstachtung gehören auch der Verzicht und das Loslassen ursprünglicher Ansprüche und Lebensziele. Lebensziele können Erfolg, nach welchen Kriterien auch immer, äußerlich anerkannter Status, wofür sich viele in Schulden stürzen, oder die Familienharmonie sein, auf deren Altar die unterschiedlichen Interessen geopfert werden und alle ihren Kopf im Arsch des Anderen stecken lassen.. Der Verzicht auf die Ansprüche an andere schafft die Achtung für andere und damit mehr zwischenmenschliche Harmonie. Das konnten die oben erwähnten Krebskranken nicht, und ihre Erbitterung verbreitete sich in ihren Körperzellen.
Wichtig ist auch die Betrachtung anderer, vor allem der nächsten Bezugspersonen, wenn dies auch oft Konflikte schafft, auf deren Hintergründe und Motivationen. Schließlich schlagen sich deren Aussagen, deren Glauben und Realitäten und deren Verhalten als Einflüsse in der eigenen Person nieder. Anhand von Vorwürfen und Vorhaltungen – im Bild zeigt der ausgestreckte Zeigefinger auf den Anderen, unter der Hand verdeckt zeigen drei Finger auf den Vorwerfenden zurück – ist gut zu verdeutlichen, daß Vorwürfe mehr mit dem Vorwerfenden zu tun haben. Nimmt man die Vorwürfe an, besteht zwar ein besseres zwischenmenschliches Klima, aber ein schlechteres inneres Klima von Autoaggression. Weist man sie zurück, besteht ein besseres inneres, aber schlechteres zwischenmenschliches Klima. Die Tragik ist, daß bei Entwertungen immer ein schlechtes Klima herrscht, deswegen die Selbstakzeptanz. Schließlich ist man nicht immer Herr für gute Beziehungen und Konflikte vorprogrammiert. In diesem Klima helfen Gespräche oft nicht weiter, da der Eine oder Andere fürchtet, daß es dann nach dem Kopf des Anderen geht und dieser die Vorherrschaft übernimmt. Ein Mediator oder ein Coach kann weiter helfen.
Das Beispiel des HIV-Positiven zeigt, daß eine Bedrohung wie der HIV-Virus durchaus vom menschlichen Körper verkraftet werden kann, wenn Ruhe und Besonnenheit und nicht ein allzu großes Maß an Autoaggression vorherrscht. Die Bedingungen müssen schon in der Kindheit geschaffen sein. Die psychosozialen Bedingungen, die Krebs auslösen können, sind nicht so spezifisch und können mehr oder weniger für viele organische und alle psychischen Erkrankungen zutreffen, so daß man meiner Ansicht nach nicht von einer Krebspersönlichkeit sprechen kann. Der Weg der Triangulierung ist überall, dies trifft auch auf die gesunde Persönlichkeit zu, nützlich und kann lebensrettend sein.
Wie sehr die Verweigerung der Opferhaltung im Helferumkreis verpönt ist und zu Empörung und Aggressionen führt, mag das folgende Beispiel zeigen: Als seine Frau an Krebs erkrankte, begab sich der Ehemann auf große Reise und ließ verlauten, er komme erst zurück, wenn sie geheilt sei. Vielfach wird sein Verhalten als Rücksichtslosigkeit, Pflichtverletzung und Verweigerung von Hilfe gesehen oder vielleicht auch als eine panische Angst vor Ansteckung. Man kann sein Verhalten auch anders sehen. Er gab ihr die Chance, sich auf sich selbst zu besinnen, ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren und nicht mehr mit ihm verstrickt zu sein. Kann sie sein Verhalten bejahen, besinnt sie sich, hat sie bessere Überlebenschancen. Stimmt sie in den Chor der Empörten ein, lässt ihre Aggressionen heraus, möglicherweise auch. Pflegt er sie hingebungsvoll, kann er sie zu Tode pflegen wie der Partner der Darmkrebskranken, über den sie so empört war, oder auch lebensrettend sein. Meist wird es besser sein, sich von fremden Personen betreuen zu lassen, mit denen der Kranke nicht so involviert ist. Wer kann darüber urteilen, was richtig oder falsch ist? Es wird aber nach den Normen unserer Kultur, in der Krebs eine der häufigsten Erkrankungen ist, meist vehement geurteilt und verurteilt. Wahrscheinlich ist das Maß der Aggressionen infolge der Anspruchshaltung und das Loslassen während der Pflege oder Nichtpflege ausschlaggebend für den weiteren Verlauf.