Riga, Lettland (Weltexpress). Diese Inszenierung aus dem Jahr 2004 wies, je länger der Abend dauerte, umso mehr Merkwürdigkeiten auf, nachdem sie reichlich konventionell begonnen hatte. Schade, denn die musikalischen Leistungen waren hervorragend: Das glänzende Orchester der lettischen Nationaloper in Riga intonierte Puccinis Meisterwerk in majestätischer Größe und die lettische Sopranistin Liene Kinca überzeugte als Tosca mit einer warmen, reifen schon eindeutig ins Mezzo-Fach übergreifende Stimme. Raimonds Bramanis, einer der führenden Tenöre der lettischen Nationaloper, gab den Cavaradossi mit weichem, tenoralem Schmelz, nachdem die „Recondita armonia“ aus dem ersten Akt irgendwie mit der Akustik des Hauses in Konflikt geraten war. Sein „E lucevan le stelle“ im dritten Akt war dann so berührend, wie es zu sein hatte – ungeachtet der inszenatorischen Ungereimtheiten, die den Sänger umgaben.
Giacomo Puccini, “Toska” („Tosca“) in der Lettischen Nationaloper
Das runde Goldfischglas stand seit dem zweiten Akt dieser lettischen „Toska“ ganz vorne auf der rechten Hälfte der Bühne – und blieb dort auch im dritten Akt. Weshalb? Diese Frage blieb ebenso unbeantwortet wie jene, ob denn tatsächlich ein Goldfisch in dem kugelrunden Glas herumschwamm. Meine Begleiterin behauptete, sie habe einen Fisch gesichtet, was ich allerdings nicht bestätigen konnte, da ich mein Opernglas unvorsichtigerweise im Hotelzimmer gelassen hatte. Rätselhaft war allerdings noch anderes in dieser schon etwas gereiften Inszenierung aus dem Jahr 2004 (Wiederaufnahme 2020), Regie: Dmitrijs Bertmans: Nach einem konventionellen Beginn im ersten Akt, ziemlich realistisch in der Kirche Sant’Andrea della Valle in Rom verortet und einer (vom Goldfischglas vorne rechts abgesehen – aber vielleicht ist dieser Scarpia ebenso tierliebend wie er Menschen verachtet) ebenso üblichen Fortsetzung im beginnenden zweiten Akt begannen auf der Bühne die etwas rätselhaften Vorgänge.
Henkersmahlzeit auf dem Flügel
Scarpia – offenbar nicht nur Tier- sondern auch Musikliebhaber – nahm sein Diner (das ihm ja zur Henkersmahlzeit werden sollte) auf einem großen Flügel ein, auf dem er denn auch von Tosca ins Jenseits befördert wurde und den dritten Akt als schwarz verhüllte Leiche zierte. Tosca führte ihren Tyrannenmord nicht wie üblich mit dem Messer aus dem Besteck des Polizeichefs, sondern mit einer Schere. So weit so gut. Weshalb sie aber die Orchesterpartie nach der Bluttat dafür nützt, sich mit eben dieser Schere die Haare zu kürzen, statt wie sonst üblich zwei Kerzenleuchter links und rechts der Leiche zu platzieren, blieb ebenso unklar wie die Funktion jenes einsamen Goldfisches. Vielleicht weiß da die Psychologie eine fundierte Antwort.
Ziemlich verworren wurde allerdings die Sache im dritten Akt. Da stand, auf eine Modell-Puppe drapiert, ein weißes Hochzeitskleid, das Cavaradossi liebevoll umarmte (das aber dieser etwas fülligen Tosca unmöglich passen konnte), das von Rihards Linde wundervoll interpretierte Lied des Schäfers vor Sonneneingang wurde von Gefangenen gestört, die im Kreis herumschritten, was sie dann leider auch taten, als Puccinis geniale Musik eigentlich ganz eindeutig das langsam-bedrohliche Heranschreiten des Erschießungskommandos intonierte. Die Erschießung fand dann irgendwie statt und doch nicht, jedenfalls gab es keine Gewehre, aber Cavaradossi fiel dennoch tot um. Immerhin sprang dann am Ende Tosca, wie sie laut Textbuch zu springen hatte, von der Engelsburg nämlich.
Wunderbare Stimmen – hervorragendes Orchester
Das Orchester der lettischen Nationaloper unter der souveränen Stabführung des Chefdirigenten am Opernhaus von Riga, Martins Ozolins, gab Puccini grandiosem Meisterwerk, was man ihm schuldig zu sein hatte: Gewaltige Größe beim Auftritt des Baron Scarpia zu Beginn der Messe, Präzision ohne Pathos und Subtilität dort, wo es die Liebe zwischen den Protagonisten verlangte. Doch die Sensation des Abends – allerdings vom Publikum seltsam sparsam mit Applaus bedacht – war die lettische Sopranistin Liene Kinca, die als Tosca mit einer warmen schon eindeutig ins Mezzo-Fach übergreifende Stimme überzeugte. Kincas Stimme floss durchs Gehör wie reifer, alter Wein über den Gaumen fließt – ein Hochgenuss. Ihr Partner, Raimonds Bramanis, einer der führenden Tenöre der lettischen Nationaloper, gab seinen Cavaradossi mit weichem, tenoralem Schmelz. Im ersten Akt, in der Arie „Recondita armonia“ allerdings schien seine vollendet schöne Stimme irgendwie mit der Akustik des Hauses in Konflikt zu geraten und kam weit weniger zur Geltung als im dritten Akt, mit dem berühmten „E lucevan le stelle“, das Bramanis zu einem überaus berührenden Abgesang auf sein eigenes Leben werden ließ. Der lettische Bariton Janis Apeinis überzeugte mit einem maskulin und brutal auftretenden, stimmlich dominanten Scarpia.
- Giacomo Puccini, “Toska” („Tosca“), Lettische Nationaloper, 7. Oktober 2021
- Regie: Dmitrijs Bertmans (Dmitry Bertman)
- Bühne: Andris Freibergs
- Dirigent: Martins Ozolins
- Floria Tosca: Liene Kinca
- Mario Cavaradossi: Raimonds Bramanis
- Vitellio Scarpia: Janis Apeinis
- Cesare Angelotti: Rihards Macanovskis
- Sakristan: Krisjanis Norvelis
- Schäfer: Rihards Linde
- Orchester und Chor der Lettischen Nationaloper
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Dr. Charles E. Ritterband wurde kürzlich in „Klassik begeistert“ erstveröffentlicht.