Stralsund, Deutschland (Weltexpress). Dichter Nebel deckelte am Morgen des 13. Dezember nicht nur Sund und Stralsunder Hafen, sondern auch das vielbefahrene Seegebiet im Bornholmsgat. So heißt das maritime Nadelöhr zwischen der schwedischen Südspitze und Bornholms Nordostküste.
Aus Sicherheitsgründen hat die schwedische Seefahrtsverwaltung Sjöfartsverket hier ein sogenanntes Verkehrstrennungsgebiet eingerichtet: Nordgehende Schiffe nutzen den Fahrstreifen vor Bornholm, südgehende den vor Schweden. Damit herrschen hier eigentlich klare Verhältnisse wie auf einer Autobahn. Staus gibt es auf See zwar nicht wie an Land, aber man kommt hier schon mal ins Gedränge, weil alle durch diesen Flaschenhals müssen. Darunter sind schwerfällige Riesen und leichtgewichtige Zwerge. Da kann man weder sofort bremsen – manchmal braucht es mehrere Seemeilen Stoppstrecke – noch einfach im Zick-Zack hindurchfahren. Davon abgesehen wird der Verkehrsstrom von Landradarstationen aus überwacht wie zum Beispiel die berüchtigte Kadetrinne zwischen Warnemünde und Rostock.
Radar ersetzt nicht Augen
An besagtem frühen Morgen des 13. herrschten zudem Dunkelheit und pottendicker Nebel, der immer noch eine große Gefahr für die Seefahrt darstellt. „Da nützt auch sämtliche moderne Technik manchmal nicht viel“, meint der Stralsunder Seelotse Jens Mauksch, „wenn der Faktor Mensch nicht mitmacht“. In der Marineausbildung eine gängige Redensart.
Während der Ausbildungszeit wird jungen Nautikern auch immer wieder von ihren Kapitänen gesagt, dass „Radar nicht die eigenen Augen ersetzt“. Das heißt: Immer gehört auch der Blick durchs Fernglas dazu. Denn die Situation vor den Brückenfenstern stellt sich oft anders dar als auf dem Geräteschirm. So sollte man es eigentlich verinnerlicht haben, wenn man ein Schiff führt, zumal bei schlechtem oder unsichtigem Wetter. „Wobei auch mit verminderter Geschwindigkeit gefahren werden sollte. Vorfahrtsregeln bei Nebel sind dann ausgesetzt“, betont der Rostocker Kapitän Joerg Laudahn.
Laut Aufzeichnung von marinetraffic fuhren die dänische Kiesbarge „Karin Hoej“ (Schute mit Maschinenantrieb, Baujahr 1977, 55 Meter lang, 9 Meter breit, 492 tdw) und der englische Mini-Bulkcarrier (kleiner Schüttgutfrachter, Baujahr 2021, 90 Meter lang, 15 Meter breit, 5150 tdw) „Scot Carrier“ zunächst den gleichen Kurs Südwest. Während „Karin Hoej“, von Södertälje kommend, den Hafen Nyköbing im Norden der Insel Falster zum Ziel hatte und folglich weiter auf Westkurs Richtung Öresund gehen wollte, änderte „Scot Carrier“, im russischen Ust-Luga gestartet, seinen Kurs auf Südsüdwest mit Ziel Kiel-Holtenau am Nord-Ostsee-Kanal und Weiterfahrt ins schottische Inverness.
Beide Schiffe waren sich schon bedrohlich nahe.
Risiko menschlicher Faktor
Seelotse Jens Mauksch vermutete, „dass hier bereits das Unglück vorprogrammiert wurde, weil einer nicht aufpasste“. Der Abstand verringerte sich nach der Kursänderung rapide, und die schnellere, stärkere sowie hochmoderne „Scot Carrier“ lief jetzt im spitzen Winkel auf ihren eingenebelten Gegner zu – bis es krachte. „Sicher spielten Müdigkeit und Abgelenktheit um diese Zeit auch eine Rolle. Bei beiden. Auch das weiß jeder Seefahrer“, weiß der finnische Kapitän Jan Rautavaara, der das letzte Volkswerft-Schiff überführte.
Jonas Frantzen, Sprecher von Sjöfartsverket, sagte noch in der Nacht: „Der genaue Grund für die Kollision ist noch unklar“. Stichfeste Aussagen zur Schuldfrage könne man erst nach Auswertung der Brücken-Voicerecorder sowie der Radarbilder treffen. Aufgrund der Tatsache, dass der Steuermann auf der „Scott“ alkoholisiert war, werde wegen „grober Fahrlässigkeit ermittelt“. Hinzu kommt, dass die „Karin“ unterbesetzt war. Sie darf nur im Einsatz als Baggerschute mit zwei Mann gefahren werden, bei Seereisen über zwölf Stunden sind noch ein Steuermann und ein Decksmann vorgeschrieben. Hier sollten Kosten gespart werden – auf Kosten der ertrunkenen Seeleute. Derr Reeder wird sich hier verantworten müssen.
„Möglicherweise wollte er hinter dem Dänen passieren“, mutmaßte Mauksch, „doch der Engländer verschätzte sich“. So konnte es zur Kollision kommen. Er kenne solche Situationen aus eigener Erfahrung als Frachter-Kapitän. Die Kollision zweier Großtanker an dieser Stelle wäre außerdem noch zu einer verheerenden Umweltkatastrophe geworden. Deswegen werden von solchen manchmal bis 300 Meter langen und über 14 Meter Tiefgang messenden Kolossen auch Seelotsen angefordert, die in Allinge auf Nordbornholm ihren Stützpunkt haben. „Das ist keine Vorschrift“, so Mauksch, „sondern in das Ermessen des Kapitäns gestellt“.
Nach den abgesetzten Notrufen waren schnell dänische und schwedische Retter mit Hubschraubern, Flugzeugen und neun Booten an der Unglücksstelle, darunter auch auf der Wolgaster Peenewerft gebaute Boote der schwedischen Küstenwache. Es waren nach Aussagen der „Scott“-Besatzung auch noch Hilferufe von der gekenterten „Karin“ zu hören. Die Hoffnung, die zwei Dänen in dem vier Grad kalten Wasser noch lebend zu finden, dürften sehr gering sein. Ein Schlepper soll das kieloben liegende Wrack in flaches Wasser vor der schwedischen Küste schleppen, um das Schiffsinnere besser nach dem zweiten Toten durchsuchen zu können.