Tanz den Nowitschok

Einer tanzt den Kasatschok.: Quelle. Wikimedia; CC BY 2:0; Foto. Imagine Cup, BU: Stefan Pribnow

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Nowitschok (deutsch Neuling). Ein Name für ein Nervengift geistert durch Politik und Presse. Behauptet wird beispielsweise von Alexander Graf Lambsdorff (FDP), dass das ein „äußerst kompoliziert herzustellendes und auszubringendes Nervengift“ sei. Von einem russisches Gift, ja, einem Gift des Kreml ist die Rede.

Stimmt das denn?

Die Antwort ist einfach. Nein! Nach dem Zusammenknall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) und dem Fall des Eisernen Vorhangs fand Nowitschok den Weg in den Westen. In „Süddeutsche Zeitung“ (16.5.2018) teilen Georg Mascolo und Holger Stark unter der Überschrift „Geheimdienste: BND beschaffte Nervengift „Nowitschok“ in den 90er Jahren“ mit, dass dass Nowitschok nicht nur in der BRD gelangte, sondern eine Probe nach Schweden gegeben wurde. „In einigen Nato-Ländern kam es auch zu der Produktion von winzigen Mengen des Giftes, um eigene Schutzausrüstung, Messgeräte und mögliche Gegenmittel zu testen.“

Wie groß die Mengen waren, die hergestellt wurde, und sind, die gelagert werden, wir wissen es nicht. Aber nicht nur in NATO-Staaten, sondern auch in „neutralen“ Staaten wie Schweden ist Nowitschok verbreitet und wohl auch in Warschauer Vertragstaaten.

Um einzig und allein auf die Russische Föderation und den Kreml zu kommen, muss man entweder bekloppt oder bezahlt sein. Ein aparte Mischung aus beiden ist nicht auszuschließen.

Nowitschok ist in nicht nur in der Russischen Föderation (RF) bestens bekannt, sondern auch in den VSA und im VK sowie der BRD. Denn die Geschichte der Kampfstoffe in der RF und ihrem Vorgänger UdSSR ist mit der des Deutschen Reiches verbunden. Gerhard Schrader, ein deutscher Chemiker, entwickelte laut „RTL“ (2.9.2020) „im Jahr 1938 eine gelbliche, geruchlose Flüssigkeit mit der komplizierten Bezeichnung Methylfluorphosphonsäureisopropylester“. Unter der Überschrift „Heftige Krämpfe, Spasmen, Atem- und Herzstillstand sind die Folge – Das richtet das Kampfgift Nowitschok im Körper der Opfer an“ heißt es weiter: „Gedacht war diese Substanz als Insektizid, aber auf landwirtschaftlichen Feldern sollte man sie wohl besser nicht einsetzen. Der Stoff, heute als Sarin bekannt, ist quasi der Vorfahre der dann in den 1970er und 1980er Jahren in der Sowjetunion entwickelten Nowitschok-Kampfstoffe. Die wurden dort entwickelt, um die Chemiewaffenkonvention zu umgehen.“

In Chemie waren und sind Deutsche immer noch vorne mit dabei. Paul-Anton Krüger teilt in „Süddeutsche Zeitung“ (3.9.2020) unter dem Titel „So entwickelte die Sowjetunion Nowitschok-Nervengifte“ nicht nur Vergangenes mit, sondern auch die Ansicht von Wil „Mirsajanow, der heute in den USA lebt“ und der einmal behauptete, dass „nur der russische Staat das Gift herstellen“ könne. Gut möglich, dass Graf Lambsdorff der Jüngere nichts Besseres einfiel, als das Kaninchen, dass in „Kuranty“ (10.10.1991) unter dem Titel „Inversion“ aus dem Hut geholt wurde. Klar, kann man machen, wenn man nichts Besseres hat.

Für Krüger scheint „denkbar … noch der Fall eines rogue scientist – eines Kollegen Mirsajanows, der sein Wissen weiterverkauft hat. Allerdings sind über die Strukturformeln hinaus die Prozesse der Synthese bis heute, anders als bei den meisten anderen Kampfstoffen, nicht öffentlich bekannt – den Geheimdiensten und westlichen Armeen dagegen vermutlich schon.“

Vermutlich? Ganz sicher! Nicht nur Geheimdienste und Streitkräfte von Staaten dürften sowohl über das Wissen verfügen als auch über den Stoff, sondern auch die eine oder andere Organisationen und Kapitalgesellschaft. Denn mit der richtigen Ausbildung und Anleitung kann man Nowitschok in einer ausreichend ausgestatteten Hexenküche herstellen. Das Zeug ist schließlich kein Zaubertrank und schon lange kein Neuling mehr.

Um Lambsdorff jr. voll und ganz der Lächerlichkeit preis zu geben, dokumentieren wir die Pressemitteilung der Fraktion der Freien Demokraten vom 2.9.2020 in Gänze: „Der Anschlag auf Nawalny konnte sicher nicht ohne das Zutun staatlicher Stellen verübt werden, denn Nowitschok ist ein äußerst kompliziert herzustellendes und auszubringendes Nervengift. Angesichts der herausragenden Rolle Nawalnys müssen wir auch davon ausgehen, dass die Vergiftung keine unkontrollierte Aktion war. Der ganze tragische Vorgang macht deutlich, wie nervös der Kreml angesichts der Demonstrationen in Minsk und Chabarowsk sein muss. Russland muss jetzt das klare Signal bekommen, dass dieses Vorgehen vollkommen inakzeptabel ist. Es reicht nicht, nur den russischen Botschafter einzubestellen. Bundesaußenminister Maas muss Sondersitzungen des OSZE-Rates und des Ministerkomitees des Europarates verlangen. Zudem muss der deutsche Botschafter in Moskau zur Berichterstattung nach Deutschland gerufen werden. Am wichtigsten ist jedoch, dass russische Dissidenten unsere Solidarität erfahren: Wenn sie Asyl in Deutschland beantragen, müssen sie dieses auch bekommen. Legitime, auch von der russischen Verfassung gedeckte politische Arbeit, kann lebensgefährlich sein, wie der Fall Nawalny einmal mehr tragisch zeigt.“

Alexei Anatoljewitsch Nawalny dürfte sich – nebenbei bemerkt – nicht nur viele Gegner gemacht haben, sondern auch Feinde und vielleicht ist der laut Merkel-Regierung und anderen wie Lambsdorff mit Nowitschok vergiftete Mann auch nur ein Bauer in einem größeren Spiel.

Nawalny, der am 20. August 2020 im sibirischen Tomsk ein Flugzeug nach Moskau bestiegen, fühlte sich während des Flugs erst unwohl und wurde dann bewusstlos. Der Pilot landete die Passagiermaschine daher in Omsk. Dort kam er in ein Krankenhaus und wurde in ein künstliches Koma versetzt. Nach Stunden der Diplomatie wurde Nawalny mit einer Privatmaschine am 22. August 2020 nach Berlin geflogen und in die Charité eingeliefert. Ärzte der Charité – Universitätsmedizin Berlin erklärten, dass Nawalny durch eine Substanz aus der Gruppe der Cholinesterasehemmer vergiftet worden war. Gestern gab die Merkel-Regierung bekannt, dass Experten der Bundeswehr einen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe nachgewiesen hätten. Wohl wahr, die müssen es wissen, aber wissen sie auch, wer der Täter ist und so weiter?

Geneigte Leser könnten diesbezüglich den Kaffeesatzleser von der FDP befragen, aber bitte nur nach Behauptungen fragen, nicht nach Beweisen – das kann man sich beim Nowitschok tanzenden Grafen wohl abschminken.

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