Denn in der Vierer-Vorrundengruppe rangieren die Berliner einen Spieltag vor Abschluss (12. Dezember beim Tschechischen Meister Budejovice) nun mit 11 Zählern unangefochten hinter dem russischen Pokalsieger (12), der abschließend den bislang sieglosen Vertreter Montenegros Budva erwartet.
Alle Vorzeichen sprachen am Dienstag für den fünften Erfolg im fünften Match für die russische Startruppe. Sie hatte die Berliner im Heimspiel 3:1 – wenn auch teilweise mit engen Satzergebnissen – sicher im Griff gehabt. Und Nowosibirsk behauptet in der wohl derzeit stärksten Liga der Welt – wie die BR Volleys in der Bundesliga – den Platz an der Spitze. Noch vor dem CL-Gewinner der Vorsaison, Zenit Kasan.
Angeführt von ihrem Kapitän und Spielmacher Alexander Butko, Mitglied der russischen Goldformation bei den Olympischen Spielen im Sommer in London, düpierten die Gäste zunächst mit allem, was russischer Spitzenvolleyball momentan zu bieten: knallharte Aufschläge, kaum zu überwindender, hoher Block (fünf Akteure der Startformation über 2 Meter) und gnadenlos harte Schmetterschläge!
Die Bälle flogen den chancenlosen Berlinern im ersten Durchgang buchstäblich um die Ohren, klatschten punktebringend in deren Feld.
In der Pause brachten die Fans auf den Rängen Kaweh Niroomand, Manager, Visionär und Macher der Volleys, ein „Happy birthday“-Ständchen zu dessen 60. Geburtstag. Der zeigte sich gerührt, machte aber eine süßsaure Miene, weil die Partie ja so gar nicht nach seinen geheimsten Hoffnungen verlaufen war…
Ob die Gäste Niroomand und den Fans die Feierlaune dann nicht mehr verderben wollten oder die BR-Profis dank mahnender und richtungsweisender Worte von Cheftrainer Mark Lebedew wachgerüttelt worden waren, bleibt Spekulation.
Fakt ist, dass dann das Geschehen sich 180 Grad drehte. Die Volleys spielten alles oder nichts, mit vollstem Einsatz und größtem Risiko. „Da haben wir gezeigt, dass wir eine Mannschaft sind, in der alle 100 Prozent mitkämpfen“, fand hinterher BR-Libero Martin Krystof.
Die sibirischen Riesen mit drei Profis aus der Slowakei, Schweden und Finnland brachten nun unter akustischer Begleitung des Uralt-Hits „Das ist die Berliner Luft, das ist die…“ wussten nicht, wie ihnen geschah. Wurden wie eine Junioren-Formation 25:12 überrollt und kassierten zwei weitere Satzverluste zum 1:3!
Nach der bislang besten Saisonleistung der Hausherren, die sich hier die Nutzung mit den gleichfalls in der europäischen Königsklasse ihrer Branche, den Handball-Füchsen, teilen, gegen das bislang stärkste Aufgebot, das sich in dieser Saison in der Arena im Prenzlauer Berg vorstellte!
Jubilar Niroomand sprach nach Ende von einer „Sternstunde“ für den Verein, vergleichbar mit einem Ereignis vor acht Jahren. Da hatten die Berliner in der Meisterklasse des Kontinents Treviso nach großem Kampf 3:2 in die Knie gezwungen. Da hatten die italienischen Klubs die internationale Szenerie dominiert, die mittlerweile von den finanzstarken Protagonisten des Rekord-Weltmeister Russland diktiert wird.
Der gebürtige Iraner Niroomand, im Zuge der Studenten-Revolten gegen das Schah-Regime nach Deutschland geflüchtet und seit rund 45 Jahren mit Volleyball verbandelt, empfand den Sieg „als Supergeschenk der Mannschaft“ zu seinem Ehrentag. „Dass die Jungens das Ding nach dem Ausgang des ersten Satzes noch total drehen, habe ich nie erwartet. Nicht gegen so einen hochklassigen Gegner. Aber sie haben die Ruhe bewahrt und sich fantastisch gesteigert. Eine tolle Leistung.“
Tage zuvor hatte der ehrenamtliche Manager in einem Interview geäußert, man habe vor, „sportlich zu wachsen und den Verein zu einer festen Größe in Europa“ machen zu wollen.
Die letztjährige Meisterschaft und der mehr oder minder sichere Einzug in die Elite der 16 Topteams sind erste, erfolgreiche Schritte in diese Richtung.
Die Sibirsker, begleitet von einem Dutzend Fans mit rot-grünen Schals, nahmen die unerwartete Niederlage relativ gefasst. Denn Rang eins nach der Vorrunde dürfte nicht gefährdet sein.
Ihr slowakischer Außenspieler Lukas Divis, Nationalmannschafts-Kollege von Berlins Mittelblocker Tomas Kmet, meinte: „Berlin hat klar stärker als im Hinspiel agiert und uns mit seiner einsatzfreudigen Abwehr zu vielen Fehlern gezwungen. Ich denke, unsere Mannschaft war heute müde und unkonzentriert.“
Eine Erklärung dafür lieferte Lok-Cheftrainer Alexej Woronkow: „Champions League und nationale Liga, das sind für uns immer Spiele und Reisen über Tausende Kilometer. Von Nowosibirsk bis Moskau und von da nach Minsk oder Jaroslawl, wo wir am 8. Dezember wieder gefordert werden.“
Von Sibirien bis Berlin sind es allein mehr als 5000 Kilometer, über mehrere Zeitzonen hinweg. Andere Temperaturen, anderes Klima, der Jetlag. Aber er sagte auch: „Berlin hat eine starke Mannschaft und hat großartig gespielt und gekämpft. Und unser Angriff hat dann nicht mehr den Schlüssel gefunden.“
Eine Sternstunde, ein Supergeschenk – was bedeutete Berlins Bankchef, Mark Lebedew dieser Triumph? – „Es war nach dem Titelgewinn in der Bundesliga für mich der schönste Sieg auf internationaler Klubebene“, gestand der Australier. Nach dem misslungenen Auftakt hatte er seinen Schützlingen angeraten, variabler im Angriff zu agieren, mutig, schnell und kompromisslos zu attackieren und keinen Ball verloren zu geben.
Ein Rezept, das aufging.