Sie meinen es verdammt ernst

Gaddafi aber will nicht aufgeben. Lieber will er als Märtyrer sterben, als dem Druck nachgeben, den das Volk und auch die Weltmächte auf ihn ausüben, wie er in einer Fernsehansprache mitteilte. Einer seiner Söhne drohte bereits am Sonntag im libyschen Staatsfernsehen mit erhobenem Zeigefinger, dass mehr Menschen getötet würden, sollte die Lage sich nicht beruhigen. Seine aussagekräftige lümmelige Haltung sprach geradezu Bände über seine innere Haltung zum eigenen Volk. Gestern Nachmittag dann war ein wütender und schreiender Muammar al-Gaddafi zu sehen der davon sprach, diese „Handvoll Ratten“ zu fassen und für das Vaterland zu kämpfen – auch er mit erhobenem Zeigefinger. Aufgeregt und zusammenhanglos las er aus seinem Grünen Buch vor, das die „Revolutionäre Verfassung“ des Landes erklärt, sozusagen die „Offenbarung in Grün“. Seine modische Beduinenkleidung hielt der nervösen Gestikulation des „Führers“ nicht stand, verrutschte und Gaddafi bemühte sich während der Rede, sie wieder zu ordnen. Ein fast tragisches Bild. Trotz Drohgebärden wirkte dieser Auftritt eher erbärmlich, wahrscheinlich auch darum, weil er offenbar den Eindruck zu erwecken versuchte, als spreche er vor Tausenden seiner Anhänger. In Wirklichkeit aber stand er ganz alleine auf dem Balkon und wenn er einmal nicht von der Kamera angezoomt wurde, konnte man unschwer erkennen, dass außer ihm und dem Kamerateam niemand sonst anwesend war.

Anders als bei den Revolutionen in Tunesien und Ägypten gibt es in Libyen so gut wie keine unabhängigen Beobachter mehr, sie alle wurden aufgefordert, das Land zu verlassen. Libysche Journalisten werden in ihrer Arbeit behindert, das Internet wurde abgeschaltet und Fernsehsendern wie Al-Dschasira die Satellitensignale blockiert.

„Bruder Führer“ – der spinnerte und brutale Diktator

Dass Gaddafi ein Spinner, ein Verrückter, gar ein Verbrecher und Mörder ist, ist nicht neu. Fast zehn Jahre lang litt das Land, das durch seine reichen Erdölvorkommen wohlhabend sein könnte, unter dem Wirtschaftsboykott, den die USA und die Vereinten Nationen über Libyen verhängten. Gaddafi musste für das Attentat auf das PanAm-Flugzeug über dem schottischen Lockerbie, bei dem 270 ums Leben kamen, bestraft werden. Auch der Anschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ 1984 war noch nicht vergessen. Der libysche Diktator galt als Terrorist und geriet in eine außenpolitische Isolation, was sich aber 2003 änderte, nachdem er die Verantwortung für den Lockerbie-Anschlag übernahm und Entschädigungszahlen für die Hinterbliebenen versprach. So weit so gut! Danach machte man den vormaligen Schurkenstaat wieder hoffähig und die jeweiligen Staatschefs ließen es sich dann auch nicht nehmen, im Beduinenzelt ihres Gastes aufzutauchen, das in ihrem Garten stand.

Eine enge Männerfreundschaft verbindet den Herrscher über Öl- und Gasvorkommen auch mit dem italienischen Staatschef Berlusconi- wen wundert`s – sicher nicht nur deswegen, weil Libyen als Bollwerk gegen Migranten gilt, die aus afrikanischen Ländern über Libyen nach Italien wollen, um sich dann ins übrige europäische Ausland zu verteilen. Berlusconi seinerseits war unzweifelhaft beeindruckt von Gaddafis weiblicher Leibgarde und dem exzentrischen Lebensstil des Libyers. Mit seinen Phantasieuniformen und nicht minder phantasievoller Beduinenkleidung aus edelstem Tuch wirkte der Diktator über die Jahre zunehmend bizarr, wie Berlusconi mit seinen Ausflügen in die Welt der käuflichen Erotik und seinen zahllosen Skandalen seinem nordafrikanischen Freund sicher das Wasser reichen kann.

Lustig fast, wie der Libyer, der offenbar noch sehr an der nomadischen Lebensweise hängt, auf Staatsbesuche sein Beduinenzelt mitnahm, um es in den Vorgärten der jeweiligen Staatspräsidenten-Residenzen aufzuschlagen. Mit von der Partie sollen auch schon mal weibliche Kamele gewesen sein, damit der spinnerte Diktator morgens seine frisch gemolkene Kamelmilch zum Frühstück trinken konnte. Leider ist uns nicht bekannt, ob die Kameldamen die gepflegten, englischen Rasen zertrampelt und die Blumen gefressen haben. Im Garten des Moskauer Kremls habe er grillen lassen, wird berichtet. Dazu wird er wohl so schnell keine Gelegenheit mehr finden.

Dass die Revolution in Tunesien eine vorhersehbare Kettenreaktion in der arabischen Welt auslösen wird, wusste man spätestens dann, als klar wurde, dass das tunesische Volk es verdammt ernst damit meinte, Ben Ali endgültig aus dem Land zu scheuchen und dieses Regime abzuschaffen. Danach gingen die Menschen in Ägypten auf die Straße und entledigten sich Mubaraks. Jetzt ist Libyen an der Reihe. Bleibt die Frage, ob die Menschen, das libysche Volk nach 42 Jahren Gaddafi in der Lage ist, demokratische Verhältnisse nicht nur einzuführen, sondern auch zu leben oder ob das Land zuerst einmal in Stammesfehden und Chaos taucht. Weiterhin die Frage, ob die neuen Regierungen in der Lage sind, ihren Menschen das zu geben, was sie eigentlich wollen, nämlich ein bisschen mehr Wohlstand, eine erstrebenswerte Zukunft für die stark vertretene junge Bevölkerung. Die gesamte Region befindet sich in diesen Tagen in einem äußerst sensiblen Zustand. Die ersten Auswirkungen des Regierungswechsels in Ägypten sind bereits deutlich in der Präsenz zweier Militärschiffe verkennbar, die durch den Suez-Kanal einen syrischen Hafen anfahren wollten, um dort für ein Jahr stationiert zu werden. Wer und warum Erlaubnis gab, darum dreht sich derzeit ein Verwirrspiel.

Nicht nur die Sicherheit des Nahen und Mittleren Osten steht auf dem Spiel, sondern der Welt. Während wir uns darüber freuen, dass die Bürger dieser Länder gegen ihre Diktatoren und Despoten aufbegehren, werden wir noch den Atem anhalten müssen, wie sich die Dinge entwickeln.

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