Shakespeare zum Gruseln – Stefan Puchers tiefgründige „Was ihr wollt“-Show im Deutschen Theater

Szene aus "Was ihr wollt" in einer Inszenierung von Stefan Pucher am Deutschen Theater in Berlin. © Foto: Arno Declair

In Stefan Puchers Inszenierung überlebt Viola diese Katastrophe offenbar auch nicht.  Zu Beginn des Stücks ist eine Projektion des tobenden Meeres zu sehen, die am Schluss noch einmal erscheint. Das Land Illyrien, in dem Viola gestrandet ist, liegt auf dem Grund der See. Dort unternimmt Herzog Orsino Ausflüge in einem Tauchboot. Meerestiere, darunter auch Phallusfische und Spermien, schwimmen vorbei, und das Riesenauge eines überdimensionalen Seepferdchens glotzt auf die Szenerie.

Susanne Wolff ist der Kapitän, der Viola begleitet und der ebenso erotisiert ist von der jungen Frau wie kurz darauf die ebenfalls von Susanne Wolff verkörperte Olivia von der als Page Cesario verkleideten Viola.

Katharina Marie Schubert ist sowohl als Viola als auch als ihr Bruder Sebastian zu erleben, der schließlich doch noch in Erscheinung tritt. Wahrscheinlich existiert dieser junge Mann in demselben dunkelroten Anzug mit kurzen Hosen wie seine als Junge verkleidete Schwester jedoch nur in ihrer Vorstellung, so wie die groteske Unterwasserwelt, die für die Ertrinkende lebendig wird.

Die von Barbara Ehnes eingerichtete Bühne dreht sich, und einmal senkt sich auch eine Spielfläche herab. Auf den Videos von Chris Kondek und Philip Hohenwarter rauschen, neben den Erscheinungen der Tiefsee, auch die eleganten Räumlichkeiten in Herzog Orsinos Palast vorbei.

Andreas Döhler als unglücklich in Olivia Verliebter torkelt im geblümten Bademantel über die Bühne, ein Verzweifelter im Drogenrausch, der immer noch Boten mit Heiratsanträgen zu Olivia schickt, obwohl er die Hoffnung, erhört zu werden, längst aufgegeben hat. Ganz anders erscheint Andreas Döhler als Antonio, Begleiter des Sebastian, mit dem er heiße Küsse tauscht. Wie in einem Traum wechseln einige Personen in dieser Inszenierung ihre Gestalt.

Eine öde Spaßgesellschaft bilden Olivias Hofschranzen, ihr Onkel Sir Toby (Christoph Franken), sein Kumpan Sir Andrew, der hier nicht Bleichenwang sondern Backenfahl heißt (Bernd Moss) und das Kammermädchen Maria (Anita Vulescia), das verzweifelt bemüht ist, die traurige Langeweile eines Daseins, das nur aus Saufen und Sex besteht, durch mehr oder weniger originelle Einfälle zu beleben.

Kostümbildnerin Annabelle Witt hat die AkteurInnen mit farbenfrohen Kostümen aus unterschiedlichen Zeiten ausgestattet. So präsentiert sich Susanne Wolff als Olivia wie eine Königin in einem Kleid mit Reifrock und Rosenmuster. Später steigt sie aus dieser Robe aus, und in einem schwarz-weißen Kimono wird aus der edlen Gräfin eine lüstern zupackende Frau. Bernd Moss zeigt sich androgyn mit Tilda-Swinton-Frisur. Er und Christoph Franken tragen kurze Pumphosen zu bunten Oberteilen und farblich disharmonierenden Strumpfhosen, und Anita Vulescia sieht wie eine Nixe aus mit blonder Lockenperücke und einem knappen Trikot in Leopardenlook, an den Beinen grün eingefärbt.

Obwohl auch in der Unterwasserwelt Hochzeiten ausschließlich zwischen Frauen und Männern geplant werden, spielen Geschlechtsunterschiede bei Verliebtheiten und beim sexuellen Zeitvertreib keine Rolle. Nur Viola, geliebt von Olvia, die sie für einen Jungen hält und von Orsino, den das Mädchenhafte an dem vermeintlichen Jungen bezaubert, fühlt sich zerrieben zwischen ihrer Männerrolle und ihrem weiblichen Selbst, wobei sie ihre Identität, aufgrund des Verlusts ihres Bruders, ohnehin als beschädigt empfindet.

Sehr präzise und mit ganz sparsamen Mitteln gestaltet Katharina Marie Schubert die Figur des Cesario, die sich nur durch ein bisschen mehr Forschheit von der ängstlichen Viola unterscheidet. Als Sebastian nimmt sie dann mutig einen Kampf auf, vor dem Cesario davonlaufen wollte.

Sir Toby hatte sich eine hübsche Abwechslung versprochen, als er den feigen Andrew Backenfahl und den hübschen Pagen des Herzogs aufeinander hetzte. Der Anblick eines Kampfes zwischen zwei Memmen hätte ein bisschen Spannung ins eintönige Hofleben gebracht. Dafür sorgt dann Maria mit ihrer Intrige gegen Olivias Haushofmeister Malvolio, der den spaßversessenen Höflingen gerade wieder die Laune verdorben und sie bei seiner Herrin verpetzt hat.

Wolfram Koch, in einem modernen grünen Anzug, gibt Malvolio zunächst betont seriös und nur leicht manieriert. Ganz und gar außer Kontrolle gerät der Ehrgeizling dann aber, als er sich, nach Lektüre eines von Maria verfassten Briefes, halbnackt seiner Herrin aufdrängt und, verzerrt grinsend wie einer, der nicht weiß, wie er ein Lächeln zustande bringen könnte, seine Beine in gelben Strumpfhosen wie besessen mit schwarzem Klebeband umwickelt. Es ist eine Szene, die, in ihrer furchtbaren Peinlichkeit, eher erschreckend als komisch ist.

Bei Shakespeare erzählt Maria, sich ausschüttend vor Lachen, ihren Kumpanen von Malvolios absonderlichem Aussehen und Betragen. In Stefan Puchers Inszenierung belauscht Maria, am Rand der Bühne, hinter einer Topfpflanze verborgen, den hemmungslosen Überfall des Haushofmeisters auf Olivia. Anita Vulescia begleitet die Szene mit tonlosem, sehr ansteckendem Gelächter, wobei das Kammermädchen sich dreht und windet und sich beinahe in die Hose macht.

Malvolio, den Olivia für besessen hält, wird auf ihren Befehl vom triumphierenden Sir Toby abgeführt und ist dann auf einem Video als Folteropfer in einem niedrigen Keller zu sehen, geknebelt und wie ein Paket zusammengeschnürt.

Als LivemusikerInnen treten Chris Kondek und Masha Qrella in Erscheinung. Mit der Musik von Christopher Uhe untermalen sie das Geschehen jedoch nicht, sondern kommentieren es eigenständig, mitreißend oder auch Ohren betäubend. Wie alle anderen Figuren sind auch sie wie Traumgestalten, die auf der Drehbühne vorbei rauschen und den Kern ihrer Aussagen für sich zu behalten scheinen.

Das Beunruhigende und Bedrohliche in dieser Inszenierung findet auch in der Sprache seinen Ausdruck. In Jens Roselts Übersetzung, von Stefan Pucher bearbeitet, ist nichts mehr von der Schlegelschen Romantisierung zu spüren. Es ist eine derbe, ungeschliffene Sprache mit unreinen Reimen, in der Vulgäres und Banales unverblümt benannt wird, in der aber auch das Rätselhafte und Unbegreifliche meisterlich zum Ausdruck kommt.

Herr der Worte, und vielleicht der Beherrscher der ganzen geheimnisvollen Unterwasserwelt, ist Margit Bendokat als Narr. In einem dunklen Nadelstreifenanzug, gekleidet und frisiert wie ein Eintänzer aus den Zwanziger Jahren, Mann und Frau in einer Person, mit der Blechtrommel auch ein Kind, scheint dieser Wahrsager, der seine düsteren Kommentare verkündet wie Gerichtsurteile, alle Fäden in der Hand zu haben. Nur am Schluss, wenn sie das Publikum zum Applaudieren auffordert, zeigt Margit Bendokat sich von einer volkstümlichen Seite und verbreitet fast so etwas wie Berliner Gemütlichkeit.

Vorher versammeln sich die AkteurInnen vor riesigen Projektionen von Viola und Sebastian und rätseln über die Unbegreiflichkeit dieses einen Wesens, das in zweifacher Ausführung für Verzauberung und Verwirrung gesorgt hat. Und dann erscheint das Ensemble wie ein Reigen seliger Geister in durchsichtigen rosa Schleiern, unter denen die jeweils konträren Geschlechtsmerkmale erkennbar sind, und singt das Narrenlied.

Nach Margit Bendokats versöhnlichen Schlussworten und dem Fallen des Vorhangs ist das Stück jedoch noch nicht ganz zu Ende. Rache schwörend tritt Malvolio vors Publikum. Eine Welt ist untergegangen, aber der Keim des Bösen, der dort angelegt wurde, wächst weiter.

„Was ihr wollt“ von William Shakespeare hatte am 27.02. Premiere im Deutschen Theater. Nächste Vorstellungen: 14., 15. und 26.03.2015.

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