„Das Ende der Besatzung ist in Sicht” – Johannes Zang im Gespräch mit Jeff Halper

Jeff Halper © Foto: Johannes Zang, 2015
Zang: In Ihren Artikeln kündigen Sie das baldige Ende der israelischen Besatzung an. Wann wird es soweit sein?
Halper: Ich kenne den Zeitplan nicht. Die Besatzung wird kollabieren. Sie ist in einer Sackgasse, sie steckt fest. Und wenn etwas feststeckt, bricht es zusammen. Die Palästinensische Autonomiebehörde wird sich auflösen, Anzeichen dafür gibt es schon. Die Behörde wird die Sicherheitskooperation mit Israel beenden, da Israel für die Palästinenser bestimmte Gelder zurückhält. Und in der letzten Woche haben 3000 israelische Soldaten ein Manöver im West-Jordanland gemacht – als Vorbereitung auf den Kollaps der Palästinensischen Behörde.
Zang: Nun kommt es wieder einmal zu vorgezogenen Neuwahlen. Um was geht es im Wahlkampf?
Halper: Das weiß niemand so richtig. Es gibt eigentlich keinen Grund für diese Wahl. Der Auslöser für diese Wahlen war letztlich, dass Netanyahu ein Wohnungsbauprojekt seines Ministers Lapid blockierte.
Zang: Kommen die Palästinenser im Wahlkampf vor?
Halper: Überhaupt nicht. Es gab kürzlich eine Fernsehdebatte mit allen großen Parteien. Dabei wurde das Thema Besatzung ein einziges Mal erwähnt, von der Partei Meretz, das Wort Frieden dagegen kein einziges Mal. Für Israelis ist das kein Thema.
Zang: Welches Szenario ist nach dem 17. März denkbar?
Halper: Die Arbeitspartei hat sich als Zionistisches Lager neu erfunden, aber sie werden keine Regierung bilden können, sie haben keinen Koalitionspartner. Es könnte eine nationale Einheitsregierung entstehen: Netanyahu mit der Arbeitspartei als Partner. Netanyahu macht das vielleicht, um sich Bennett vom Leib zu halten. Es könnte aber auch sein, dass Netanyahu eine noch rechtere Regierung mit Bennett bildet und das C-Gebiet (circa 60 Prozent, JZ) des West-Jordanlandes annektiert. Das ist Bennetts Absicht.
Zang: Wer von beiden ist der größere Friedensfeind: Bennett von HaBayit HaYehudi (Ein jüdisches Zuhause) oder Außenminister Lieberman von Israel Beitenu (Israel, unser Zuhause)?
Halper: Lieberman kommt möglicherweise nicht über die Sperrklausel. Und selbst wenn er ins Parlament einziehen sollte, erringt er vielleicht nur fünf Sitze. Lieberman als wichtige politische Stimme ist passé, er ist erledigt.
Zang: Hören wir da Optimismus?
Halper: Das Ende der Besatzung ist in Sicht. Denken Sie an Südafrika unter Apartheid, an das Schahregime in Persien, an die Sowjetunion – das alles kam überraschend. Nicht einmal die CIA wusste, dass die Sowjetunion zusammenbrechen würde. Oder denken Sie an Martin Luther King. Dinge bewegen sich sehr schnell und unerwartet. Wir werden überrascht sein. Der Zusammenbruch der Palästinensischen Automiebehörde würde bedeuten, dass Israel die palästinensischen Gebiete wiederbesetzen müsste. Das wäre für die muslimische Welt und für Europa nicht hinnehmbar. Es würde einen großen Druck erzeugen. Das Ende der Besatzung kann schon nächste Woche kommen, eventuell nach der Wahl. Und ein Kollaps eröffnet neue Möglichkeiten.
Zang: Welche denn?
Halper: Heutzutage gibt es keine Lösung für diesen Konflikt. Die Zwei-Staaten-Lösung ist gestorben. Wir haben es hier wirklich mit Apartheid zu tun. Und die wird andauern solange wir diesen Stillstand haben. Über einen gemeinsamen demokratischen Staat redet niemand, aber wenn sich alles auflöst, erst die Palästinensische Autonomiebehörde und dann die Besatzung, dann wird die Ein-Staaten-Lösung realistisch. 
Zang: Sie reisen nun nach Deutschland. Wie lautet Ihre Botschaft an die deutsche Politik?
Halper: Ich habe zwei Botschaften: Hört auf, U-Boote an Israel zu verschenken oder zu verkaufen. Diese U-Boote, die atomar bestückt werden können, patroullieren dann im Persischen Golf. Warum braucht Israel in der explosivsten Weltregion neun U-Boote? Und wieso liefert Deutschland diese neun U-Boote an Israel? Deutschlands Haltung ist nicht hilfreich. Meine zweite Botschaft: Wenn wir den israelisch-palästinensischen Konflikt lösen können, können wir als nächstes die tieferen Probleme des Nahen Ostens wie IS und Al Qaida angehen. Diese sind ohne Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht lösbar. 
Zang: Sie haben einmal erklärt, dass Israel eigentlich nur drei Sätze hören müsste: Wir lieben dich. Wir schützen dich. Und nun beende binnen eines Jahres die Besatzung. Sagen Sie das noch immer?
Halper: Das israelische Volk würde die Erklärung Deutschlands oder der EU akzeptieren, die in etwa so lautet: Wir lieben euch. Wir unterstützen euer Existenzrecht. Aber die Besatzung muss aufhören. Punkt. Das würde die israelische Gesellschaft annehmen. Die Israelis sind gar nicht gegen eine Zwei-Staaten-Lösung. Denn Israelis liegt die Sicherheit am Herzen und nicht ein Stück Land.
* * *

Jeff Halpers Vortragsreise: 12.3. München, 13.3. Augsburg, 14.3. Ulm, 15.3. Kassel, 17.3. Bremen, 18.3. Aschaffenburg, 19.3. Frankfurt, 20.3. Bonn. 

Zum Autor: Johannes Zang hat viele Jahre in Israel und den Besetzten Palästinensischen Gebieten gelebt. Er ist Autor der Bücher Unter der Oberfläche – Erlebtes aus Israel und Palästina (Aphorisma, Berlin, 5. Auflage) und Gaza – ganz nah, ganz fern … (dito.).
Vorheriger ArtikelShakespeare zum Gruseln – Stefan Puchers tiefgründige „Was ihr wollt“-Show im Deutschen Theater
Nächster ArtikelBasketballkrimi in Berlin – Alba dreht Spiel und zieht durch Sieg gegen Trier nach Verlängerung vorzeitig in die Playoffs ein