Seuche trifft auf geschwächten Staat: Corona und Shareholder Value

Wall Street. Quelle: Pixabay, Foto: Gerd Altmann

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Es fing in Deutschland damit vor gut vier Wochen an, sich Gedanken über die Belastbarkeit von Lieferketten mit Endpunkt in China, etwas später zu Norditalien als dem Zentrum der feinmechanischen Industrie für Westeuropa zu machen. Es war nicht so, dass man Verständnis für die Fragen gefunden hätte. Es gab bestenfalls ein Schulterzucken und den Hinweis, nach dem man selbst nicht betroffen sei. Als die Speerspitze der tödlichen Virus-Seuche über uns hereinbrach, traf sie auf schutzlose Menschen, handlungsunwillige Regierungen bis auf den Gesundheitsminister Jens Spahn und einen Staat, der durch das amerikanische Ausplünderungsverfahren, genannt Shareholder Value bereits so skelettiert war, dass die Virus-Seuche wie durch ein offenes Scheunentor einmarschieren konnte.

Wie stark unser Staat durch die gemeingefährliche Praxis des Shareholder Value heruntergewirtschaftet worden ist, konnte man an der Reaktion der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung auf die Seuchenwelle absehen. Ereignisse wie die heutige tödliche Seuche wurden durch die Spitzen unseres Staates und gemeinsam mit anderen Staatsführungen in der Zeit des Kalten Krieges alle zwei Jahre so geübt, dass die Handgriffe und die staatliche Vorgehensweise geradezu im Vergleich zu den jetzt monatelangen Anlaufschwierigkeiten „saßen“. Da hing unser Überleben bei Seuchen- und Migrationsbewegungen nicht von der wohltuenden Tatkraft eines Ministers ab. Damals funktionierte der Staat und er verfügte bis zu den medizinischen Laboren und den nicht der Gewinnmaximierung verpflichteten Krankenhäusern in geradezu vorbildlicher Weise.

Der amerikanische Wahn in den neunziger Jahren, nach dem man den „Kalten Krieg“ gewonnen habe, führte im amerikanischen Bündnisbereich dazu, die politische, sozial- und wirtschaftliche Struktur den amerikanischen Plünderungsinteressen des „schlanken Staates“ derart anzupassen, dass die heutige Corona-Seuche auf europäische und nordamerikanische Staaten trifft, deren staatliche Leistungsfähigkeit das erste Seuchenopfer geworden ist, bevor der erste Mensch der Seuche in Westeuropa zum Opfer fiel.

Europa kämpft in diesen Tagen geradezu um sein Überleben und es sind keine feindlichen Panzer, die vor unseren Städten und Dörfern stehen. Wir sind zunehmend damit beschäftigt, unser Überleben zu sichern. „Life first“ muss die Parole sein. Das verengt in tödlicher Weise die Herausforderung für uns. Sollten die Aussagen eines Spitzenvertreters im chinesischen Außenministerium in diesen Tagen zutreffen, müssen die USA unter die Lupe genommen werden, was die Verantwortung für die tödliche Seuche anbetrifft. Dann haben wir es nicht mit einem Virus sondern mit einem Virus als Waffe zu tun und mit der Frage, welche Ziele mit dieser globales Todesattacke verbunden sein könnte?

Der Tod steht vor den Toren unserer Welt und die einzige Chance die wir haben, ist die angemessene Verteidigung Deutschlands, gemeinsam mit allen unseren Nachbarn und allen Staaten auf dieser Welt. Gehandelt kann unter diesen Umständen aber nur, wenn die tödliche Seuche von interessierter Seite nicht dazu benutzt werden kann, die Welt und auch Deutschland nach ihren Bedürfnissen umzubauen. Wir kämpfen hier um unser Überleben und der türkische Präsident will diese Gelegenheit nutzen, uns die Folgen seiner Kriegspolitik überzustülpen. Wenn es heute darum geht, unsere Grenzen zu schützen, muss man von der Bundesregierung erwarten, alle, alle deutschen staatlichen Potentiale in Übereinstimmung mit nationalen und internationalen Bestimmungen in den Schutz der Grenzen zu stellen. Die Bundesregierung muss dem deutschen Volk gegenüber die Frage beantworten, welche Risiken sich durch die Schutzlosigkeit der deutschen Grenzen 2015 und den hunderttausendfachen Aufenthalt nicht bekannter Personen in Deutschland für die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems ergeben?

Bei nüchterner Betrachtung, die in einer tödlichen Bedrohung Voraussetzung für das Überleben ist, sollte die Bundesregierung sich der Frage stellen, ob und gegebenenfalls Maßnahmen des staatlichen Notstandes ergriffen werden müssen oder die Grundlagen für ein entsprechendes Vorgehen dann geschaffen werden müssen, sollten diese nicht vorliegen.

„Not kennt ein Gebot“ und das ist entschlossenes staatliches Handeln und die klare Erkenntnis, dass wir über diese tödliche Krise zu der staatlichen Leistungsfähigkeit zurückkehren müssen, die uns vor Shareholder Value ausgezeichnet hatte.

Wer die Pressekonferenz des amerikanischen Präsidenten Trump gesehen hatte, in der Präsident Trump wegen Corona den nationalen Katastrophenfall ausgerufen hatte, sieht deutlich, worauf transatlantisch die Kampflage hinausläuft: leistungsfähige staatliche Strukturen für alle Bürger oder Vertrauen in den Markt, dass er wenigstens die Belange bestimmter Gruppen bedienen kann.

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Willy Wimmer
Staatssekretär des Bundesministers der Verteidigung a.D. Von 1994 bis 2000 war Willy Wimmer Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).