Berlin, Deutschland (Weltexpress). Im Tross von US-Präsident Ronald Reagan kam dann im Januar 1981 die brandgefährliche Mischpoke aus Russen hassenden, neokonservativen Kriegstreibern an die Schaltstellen der amerikanischen Macht, z.B. mit Leuten wie Richard Perle und Paul Wolfowitz. Sie propagierten eine Strategie des präventiven Enthauptungsschlages gegen die UdSSR, um die angebliche sowjetische Bedrohung ein für alle Mal zu neutralisieren. Das Mittel dazu sollten die neuen, im Rahmen der nuklearen Modernisierung in Europa stationierten, hochpräzisen US-Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II sein.
Da die neuen Pershings auf den Punkt genau trafen, bräuchte man – so die Neokons – nur kleine taktische Atomwaffen, um ohne massive zivile Opferzahlen die Kommando-, Kontroll- und Kommunikationszentren der Roten Armee und des sowjetischen Staatsapparats in einem Überraschungsschlag zu zerstören.
In meinem NATO-Büro erklärte mir damals ein durchreisender US-Werber für diese neue Strategie, dass nach einem solchen Schlag, „die mächtige Rote Armee wie ein Huhn mit abgeschlagenem Kopf über den Bauernhof rennen“ würde und nicht mehr fähig wäre, einen Gegenschlag zu führen.
Die neokonservative Mischpoke propagierte diese Strategie nicht nur lauthals in Reden und Think-Tank-Publikationen, sondern ergriff schon frühzeitig militärische und nachrichtendienstliche Maßnahmen zur Umsetzung ihrer Ziele. So ging man z.B. mit allerlei Tricks und provokativen Grenzverletzungen der SU dazu über, systematisch die geographischen Koordinaten der Knotenpunkte in den sowjetischen Befehls- und Kommunikationsstrukturen zu sammeln, die im Ernstfall eingeschaltet würden.
Das und vieles mehr dieser Art konnte ich während meines rotierenden Einsatzes im NATO-Situation Center verfolgen. Denn viele dieser Koordinaten samt Beschreibung wurden von den US-Diensten an die NATO weitergegeben.
Derweil hatten 1981 in Moskau der damalige KGB-Chef Andropow und Staatschef Leonid Breschnew, die bereits 1941 die Erfahrung eines verheerenden Überraschungsangriffs auf ihr Land gemacht hatten, die Operation „Raketno Yadernoye Napadenie (RYAN)“, zu Deutsch in etwa: „nuklearer Raketenangriff“, ins Leben gerufen. Dazu gehörte auch, dass alle Agenten der russischen und befreundeten Nachrichtendienste dringendst dazu angehalten wurden, jeden noch so kleinen Hinweis auf die Vorbereitung eines Erstschlages sofort zu melden. Auch ich war über Ostberlin entsprechend instruiert worden.
Am 2. November 1983 begann in Deutschland im Rahmen des jährlichen Herbst-Manövers die NATO-Übung ABLE ARCHER 83 bei der unter sehr realistischen Bedingungen 10 Tage lang ein nuklearer Raketenangriff auf die Sowjetunion im Maßstab 1:1 geübt wurde. Im Gegensatz zu den Manövern der Vorjahre registrierte Moskau diesmal wesentliche, äußerst beunruhigende Unterschiede, die alle in das Bild eines Überraschungsangriffes aus der Bewegung des NATO-Manövers hindeuteten. Was da ablief sah genauso aus, wie man sich in Moskau den von den US-Neo-Konservativen propagierten atomaren Enthauptungsschlag vorgestellt hatte.
Im Kreml musste eine Entscheidung getroffen werden. Der Start der Pershing II konnte nicht abgewartet werden, da diese Raketen bereits nach 5 Minuten sowjetisches Territorium erreichen würden. Am besten wäre es präventiv die Pershing II, deren Dislozierung ins Feld man verfolgt hatte, mit eigenen Jagdbombern aufzuspüren, die selbst mit taktischen Nuklearwaffen bestückt waren, um die Pershings zu zerstören.
Tatsächlich habe ich Jahre später erfahren, dass auf zwei russischen Flugplätzen in der DDR nuklear bestückte Jagdbomber mit laufenden Motoren auf der Startpiste auf den Einsatzbefehl aus Moskau gewartet hatten – der zum Glück nicht kam.
Während der gesamten Krise stand ich in ständigem Kontakt mit der HVA-Zentrale in Ostberlin und meldete jeden Tag, dass es weder im NATO-Lagezentrum (CitCen) noch anderswo in der NATO besondere oder gar verdächtige Vorkommnisse gab.
Tatsächlich war auch an mir – trotz der wiederholten und dringenden, expliziten Sorgen in Moskau – der Ernst der Lage komplett vorbeigegangen.
Professor Vojtech Mastnyi, der an einer amerikanischen Kriegsakademie Strategie unterrichtete, fragte im Jahr 2003 zum 20. Jahrestag von ABLE ARCHER 83: „Did East German Spies Prevent A Nuclear War?“ („Haben ostdeutsche Spione einen Atomkrieg verhindert“). Immerhin billigt Prof. Mastnyi ostdeutschen Aufklärern einen gewichtigen Anteil an der Verhinderung des Weltuntergangs zu. Zu einem ähnlichen Schluss gelangte auch der spätere US-Verteidigungsminister Robert Gates, ehemaliger CIA-Vizechef, dem erst Jahre später bewusst wurde, wie nervös die Finger der Russen 1983 am atomaren Abzugshebel gewesen waren.
Auch der offizielle CIA-Historiker Benjamin Fischer äußert sich in diese Richtung. Nicht wenige Experten halten die RYAN/Able Archer-Krise heute für die gefährlichste Phase des Kalten Krieges. Vor allem deshalb, weil sie sich komplett außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung abgespielt hatte. Zugleich zeigt die Krise, wie gefährlich das aggressive Schwadronieren mit nuklearen Erstschlag-Phantasien vor dem Hintergrund einer zwangsläufig unzureichenden, politischen und militärischen Transparenz ist. Das ist zumindest eine der Lehren, die wir auf die aktuelle Situation in der Ukraine übertragen können.
Auch im Ukraine-Konflikt ist es vor allem die angloamerikanische Fraktion in der NATO und deren Sprechpuppe Stoltenberg, die immer wieder die angebliche Gefahr des Ersteinsatzes von Nuklearwaffen durch die Russen gegen die Ukraine ins Spiel bringen. Noch unlängst warnte NATO-Chef Stoltenberg vor einem russischen taktischen Atomwaffeneinsatz in der Ukraine und erklärte, die NATO müsse „unbedingt bereit sein, den Russen Gleichwertiges“ entgegenzusetzen.
Mit Aussagen dieser Art wird der westliche Nachrichtenkonsument unterschwellig auf einen eventuellen Einsatz von taktischen Atomwaffen durch die NATO gegen die Russen in der Ukraine vorbereitet. Bereits jetzt wird die Schuld für einen solchen Einsatz den angeblich „verzweifelten Russen“ zugeschoben, „weil die den Krieg in der Ukraine auf gar keinen Fall nicht verlieren wollen.“
Umgekehrt wird jedoch erst ein Schuh daraus. Auch diesmal geht die nukleare Gefahr von den US/NATO-Kriegstreibern aus. Die Ukraine ist bereits am Ende. Sie konnte nie und wird auch niemals gewinnen. US/NATO-Kriegstreiber haben sich total mit ihrem Ukraine-Abenteuer verrechnet. Sie haben die Ukraine mit ihren westlichen Wunderwaffen und ihrer westlichen Führung maßlos über- und Russland als Dritte-Welt-Tankstelle mit chaotischer Wirtschaft genauso maßlos unterschätzt.
Es sind die US-Eliten mit ihren Vasallen aus dem kollektiven Westen im Schlepptau, die alle ihre Karten auf den Sieg der Ukraine gesetzt hatten und nun bei Strafe ihres eigenen politischen Untergangs einen Sieg Russlands in der Ukraine mit allen Mitteln verhindern müssen und wollen. Die politischen US/NATO-Eliten haben zu viel in diesen Krieg investiert, als dass sie es sich leisten könnten, ihn zu verlieren.
Dabei haben sie mächtige Unterstützer im Tiefen Staat ihrer eigenen Länder. Denn für sie alle geht es in der Ukraine um viel mehr als um die Ukraine selbst. Es geht um die Erhaltung der westlichen Hegemonie über den Rest der Welt und die weitere Durchsetzung ihrer „regelbasierten Ordnung“ rund um den Globus. Denn die Niederlage von US/NATO in der Ukraine wird im Globalen Süden noch mehr Länder, die an den Zukunftsaussichten des angeblich so „goldenen Westens“ zweifeln, in die Reihen von BRICS und SCO und an die Seite von China und Russland treiben.
Die westlichen Kriegstreiber sind verzweifelt, sie wissen nicht mehr was sie noch tun können, um die unabwendbare Niederlage zu verhindern.
Deshalb muss die Welt darauf vorbereitet sein, dass die skrupellose Fraktion der Neo-Konservativen im Biden-Regime zu weiteren, spektakulär gefährlichen Eskalationen fähig ist, z.B. zum Einsatz amerikanischer Truppen in der Westukraine, um sie dort als „Stolpersteine“ gegen die Russen zu platzieren, in der Hoffnung, dass die Russen dann aus Angst vor einen Konfrontation mit US-Soldaten ihren Kampfeswillen verlieren.
5.000 Soldaten der legendären 101. US-Luftlandedivision der „Screaming Eagles“ warten bereits seit Oktober 2022 in Polen (1.000) und Rumänien (4.000) grenznahe zur Ukraine auf ihren Einsatzbefehl in der Ukraine. Sie waren bereits Ende Juli 2022 auf Anordnung des Weißen Hauses dorthin geschickt worden. Nachdem sie sich in Rumänien und Polen etabliert hatten, trat ihr Kommandeur, US-General John Lubas, am 30.10.2022 vor die Presse und erklärte gegenüber dem US-Sender CBS, dass seine „Screaming Eagles“ „bereit sind, schon heute Nacht zur Verteidigung des NATO-Territoriums zu kämpfen.“ Und im „Falle einer Eskalation der Kämpfe oder eines Angriffs auf die NATO sind sie voll und ganz darauf vorbereitet, die Grenze in die Ukraine zu überqueren„, so der US-General. Das ist die Stolperstein-Funktion der „Schreienden Adler“, die im Ernstfall keine Chance zum Überleben haben.
Denn als leicht bewaffnete Luftlandetruppe können die „Screaming Eagles“ trotz ihres legendären Rufs gegen die haushohe Überlegenheit der Russen an Soldaten, schweren Waffen und der totalen Lufthoheit der Russen über der Ukraine nichts ausrichten. Gleichzeitig hat der Kreml wissen lassen, dass Soldaten, egal welcher Nationalität, die in der Ukraine mit der Waffe in der Hand den Russen entgegentreten, vernichtet werden. Die amerikanischen Adler würden im Ernstfall massakriert.
In den USA würden dann die Kriegstreiber hysterisch nach Vergeltung schreien. Aber die Reserven der NATO an konventionellen Waffen und Munition sind weitgehend erschöpft. Ein konventioneller Angriff der USA mit US-Bodentruppen gegen die Russen in der Ukraine bedürfte einer sehr langen Vorbereitungszeit. Und auch dann würden die Amerikaner den Kampf verlieren, wie ihre eigenen Kriegssimulationen (RAND) ihnen bereits klar gemacht haben. Und Wirtschaftssanktionen gegen Russland sind nur noch eine Lachnummer.
Aber die Forderungen, die Russen schwer zu bestrafen, weil sie die berühmten und beliebten „Screaming Eagles“ dezimiert haben, würden – angefeuert von der Hetze in den Medien – ins Unendliche gesteigert.
Doch die einzigen Waffen, die im US-Arsenal noch für einen vernichtenden Schlag gegen die Russen übrig wären, sind taktische Atomwaffen, die die USA bereits in Europa haben. Und dann käme der Moment, den sich viele Kriegstreiber in den USA und auch in Berlin regelrecht herbeizusehnen scheinen, nämlich der Ruf nach dem Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen gegen die bösen Russen.
Aus bekannten Gründen, die wir bereits eingangs im Zusammenhang mit WINTEX besprochen hatten, würden die amerikanischen Nuklearplaner jedoch sehr darauf achten, dass keine dieser taktischen A-Waffen auf russisches Territorium fällt, weil dies eine sofortige Vergeltung auf US-Territorium auslösen würde.
Die USA müssten also russische Ziele in der Ukraine oder anderswo außerhalb der Grenzen Russlands angreifen. Aber die Realität des Krieges in der Ukraine unterscheidet sich von einer WINTEX-Stabsübung dadurch, dass nach dem Ersteinsatz der US-Atomwaffen gegen russische Ziele der Krieg nicht plötzlich zu Ende ist und alle Teilnehmer am Kriegsspiel nach Hause gehen. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit würden die Russen mit taktischen Atomwaffen auf US-Ziele und -Stützpunkte in NATO-Europa zurückschlagen. Und dort leben wir.
Das Ergebnis wäre ein auf Europa beschränkter begrenzter Atomkrieg mit nicht-strategischen Nuklearsprengköpfen. Denn kein Amerikaner, auch kein Neo-Konservativer, ist bereit, einen strategischen nuklearen Schlagabtausch mit Russland zu riskieren, weder wegen der Ukraine noch wegen Europa.
Aber ein begrenztes nukleares Gefecht in Europa, das das russische Militär in der Ukraine erheblich schwächen und große Teile Europas zerstören würde, ohne den USA nennenswerten strategischen Schaden zuzufügen, könnte für die kriegssüchtigen Verbrecher des Biden-Regimes in Washington durchaus eine attraktive Option sein. Diese Option würde Washington den Weg ebnen, sich mit China auseinanderzusetzen, ohne dass Russland in die Quere kommt, und gleichzeitig könnten die USA vom Exodus europäischer Industrieunternehmen profitieren, die den verwüsteten alten Kontinent in Richtung der unzerstörten und florierenden USA verlassen und dort zur schnellen Re-Industrialiserung des Landes beitragen würden.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Rainer Rupp wurde am 2.11.2023 in „RT DE“ erstveröffentlicht.
Rainer Rupp hielt unter obigem Titel „Beinhaltet der Ukraine-Krieg die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes?“ dazu eine Rede beim „Jahreskongress des International Peace Council“ in Berlin.
Siehe auch den Beitrag
- Serie: Beinhaltet der Ukraine-Krieg die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes? (Teil 1/2) von Rainer Rupp
im WELTEXPRESS.