Kiew, Ukraine; Berlin, Deutschland (Weltexpress). Irgendwas ist nach wie vor im Busch in Kiew, und sollte der komplette Zusammenbruch nicht überraschend schnell erfolgen, sind bestimmt noch einige Intrigenrunden im Angebot. Es gibt jedenfalls einige eigenartige Details rund um Saluschnys Absetzung.
Nein, das war noch nicht die letzte Folge des Game of Thrones in Kiew. Eher der Cliffhanger zum Staffelende: Wie wird es nun zwischen Selenskij und Saluschny weitergehen? War das wirklich ein Sieg Selenskijs oder lauert hinter der nächsten Ecke schon die nächste Intrige?
Man kann nicht behaupten, es werde nichts geboten. Vor den letzten beiden größeren Ereignissen, der Granatenlieferung an Saluschnys Stellvertreter und dem Giftkuchen für Budanows Gemahlin, gab es immerhin bereits im Vorjahr eine Umbesetzung des Innenministeriums per Hubschrauberabsturz; da wird nicht wirklich mit Samthandschuhen gekämpft. Und in den letzten Wochen sind auch noch eine ganze Reihe Gestalten aus der Versenkung wieder aufgetaucht, der ehemalige Präsident Petro Poroschenko, Merkels Freundin mit der BDM-Frisur, Julia Timoschenko, und der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko (und das trotz der regelmäßigen Abwasserüberflutungen in seiner Stadt).
Das ist kein Kampf Gut gegen Böse; sie haben alle blutige Hände. Poroschenko hatte einst den Krieg gegen den Donbass begonnen, der Einsatz von Artillerie gegen politischen Protest steht auf seiner Anklageschrift; Timoschenko war daran beteiligt, den Banderismus in der Ukraine zu fördern, und hatte die Täter des 2. Mai 2014 in Odessa ausdrücklich gelobt, und Klitschko hatte im Jahr 2014 zwei Nazibataillone finanziert. Zu den drei Hauptfiguren Selenskij, Saluschny und Budanow muss man sich eigentlich gar nicht ausführlicher äußern, da sie (zumindest bis zu Saluschnys Absetzung) alle drei schwer mit Gemetzel beschäftigt waren.
Im Verlauf der letzten zwei Wochen gab es reichlich hü und hott. Immer wieder hieß es, Saluschny sei abgesetzt, dann wieder doch nicht. Aber es gibt ein kurzes Video, das, sollte es tatsächlich neu sein, sehr Überraschendes zeigt: https://t.me/DDGeopolitics/101085?embed=1
Selenskij überreicht seinen beiden Gegenspielern eine Auszeichnung. Aber es ist Saluschny, der offenkundig bester Laune ist, während Budanow noch hölzerner wirkt als ohnehin bei ihm üblich; am Tag nach Saluschnys Absetzung ein wenig überraschend. Schließlich hatte er sich zuvor entschieden und öffentlich gegen ebendiese Absetzung zur Wehr gesetzt.
Die ganze Geschichte bleibt also weiter undurchsichtig, und die gute Laune von Saluschny lässt ahnen, dass unter der Oberfläche weniges so ist, wie es scheint. Aber das Szenario ist noch weitaus komplizierter.
Die häufigste Deutung des Konflikts war, dass sich in ihm unterschiedliche militärische Strategien widerspiegeln. Selenskij stünde dabei für eine sehr auf PR-Erfolge konzentrierte Vorgehensweise, Saluschny für eine militärisch deutlich defensivere und Budanow für eine Rückkehr zum klassischen Bandera-Terrorismus.
Schon im vergangenen Jahr kursierten immer wieder Gerüchte über Streitigkeiten zwischen Selenskij und Saluschny. Es sei Selenskij gewesen, der um jeden Preis Artjomowsk halten wollte, während Saluschny die Stadt früher aufgegeben hätte. Selenskij habe auf der Offensive bestanden, Saluschny hätte das Personal lieber für die Verteidigung genutzt; Selenskij bestünde auch jetzt auf einer Fortsetzung der Kämpfe um Awdejewka, während Saluschny lieber eine günstige Verteidigungsstellung einnehmen wolle. Wie weit diese Gerüchte der Wahrheit entsprachen, war nie ganz zu klären, aber gelegentlich wurden auch in Interviews, die beide westlichen Medien gaben, Widersprüche sichtbar.
Was Saluschny nicht zum netten Menschen macht. Im Gegenteil. Im Laufe der Auseinandersetzung veröffentlichte er ein Foto, auf dem er die rot-schwarze Fahne des Rechten Sektors hält, vor einem Porträt von Stepan Bandera. Es ist nicht ganz klar, wer mit ihm im Bild ist, aber einige Betrachter meinten, es handelte sich um Dmitri Jarosch, den Chef des Rechten Sektors. Auf jeden Fall war dieses Bild ein Hinweis auf die Tatsache, dass er über eigene Truppen verfüge und dass es sich dabei um die hoch ideologisierten Nazi-Bataillone handele.
Was die ganze Geschichte noch komplizierter macht, ist, dass zwar der Einfluss der Vereinigten Staaten in Kiew sehr stark ist, aber die US-Vertreter untereinander nicht einer Meinung sind. Grob sortiert will das State Department und die dort angesiedelte Truppe von Neokons um Victoria Nuland eine Fortsetzung des Kampfes bis zum letzten Ukrainer, wofür Selenskij steht. Das Pentagon würde lieber den Krieg nicht ganz so deutlich verlieren und gelegentlich nicht nur militärischen Unfug anstellen und steht eher hinter Saluschny, während die CIA die militärische Auseinandersetzung schon gänzlich verloren gegeben hat und mit Budanow auf eine Wiederholung des Terrors setzt, den die Bandera-Leute nach der Niederlage des Hitlerfaschismus einige Jahre lang in der Sowjetunion aufrechterhalten konnten.
Auf den ersten Blick hätte also das State Department gewonnen und Pentagon und CIA verloren, wobei das Video zumindest nahelegt, dass die CIA dritter Sieger war. Allerdings – vor wenigen Tagen erst war Victoria Nuland in Kiew, und es war erstaunlich, dass die ganze Selenskij-Saluschny-Show sich danach eben nicht in Wohlgefallen auflöste, sondern weiterging, als wäre sie niemals da gewesen. Aber wer weiß, vielleicht ist ihre Position derzeit geschwächt, weil es den Neokons nicht gelungen ist, die nächsten 61 Milliarden für Kiew durch den US-Kongress zu bringen, und US-Präsident Joe Biden, der immerhin ihr Schirmherr ist, derzeit derart sichtbar ausfällt. Jetzt gerade befinden sich übrigens Vertreter des Geheimdienstausschusses des US-Kongresses in Kiew; das dürfte dann einen Gegenzug der CIA einleiten.
Aber es gibt noch ein äußerst merkwürdiges Detail, das zusammen mit dem Video zum Nachdenken anregt, auch wenn man historisch etwas zurückgehen muss, um das zu verstehen. Eigenartigerweise waren genau am Tag der Verkündigung von Saluschnys Absetzung zwei hochrangige deutsche Militärs in Kiew, Generalinspekteur Carsten Breuer und der Ukraine-Beauftragte der Bundeswehr, Christian Freuding. Auf Einladung Saluschnys, vermeldete die Bild-Zeitung.
Warum ist es nicht der Besuch von Nuland, der das Kiewer Patt zumindest aufzulösen scheint, sondern jener der beiden Deutschen? Das weckt, zusammen mit dem Foto Saluschnys, Erinnerungen an die Vorgeschichte.
Die ursprünglichen Bandera-Truppen waren eine Erfindung der Nazis; sie kooperierten mit der Wehrmacht und setzten sich nach deren Niederlage teils nach Deutschland ab, teils verblieben sie im Untergrund. Die Mehrzahl davon ließ sich in Bayern nieder, also in der amerikanischen Zone, und vorübergehend übernahmen CIA und MI6 das Kommando. Diese Phase endete aber bereits 1956, als die Terrorgruppen in der Sowjetunion kapitulierten, und die folgenden Jahrzehnte wurden sie von der Bundesrepublik ausgehalten. Die Zentrale der ukrainischen Nazis befand sich all die Jahre über in der Münchner Zeppelinstraße.
Kaum hatte die Ukraine ihre Unabhängigkeit erklärt, begann der große Aufbruch zurück in die Ukraine. Jaroslawa Stezko beispielsweise, die Witwe des Kriegsverbrechers Jaroslaw Stezko. Ein Aufbruch, der ebenfalls von bundesdeutschen Behörden gefördert wurde und zum Aufbau von entsprechenden Strukturen insbesondere in der Westukraine führte. Zum damaligen Zeitpunkt war die bundesdeutsche Botschaft in Kiew größer als die der USA; es sollte noch einige Jahre dauern, bis man in Washington den entsprechenden Appetit entwickelte.
Interessanterweise belegen strategische Dokumente vom Beginn der 2000er-Jahre, dass noch zu diesem Zeitpunkt die US-Vertreter nicht auf die Bandera-Ideologie setzten. Das sollte sich ändern, aber den Anfang machten die Deutschen. Ist es verwegen, daraus zu schließen, dass die Hardcore-Nazitruppen in der Ukraine genau so lange auf US-Kommandos hören, bis diese mit den Deutschen kollidieren? Oder dass ein General Saluschny, der sich vor einem Bandera-Porträt fotografiert, eben nicht auf eine Victoria Nuland hört, sondern sich den Befehl zum Rückzug aus Berlin überbringen lässt?
Es gibt zwei Punkte, die darauf hindeuten. Zum einen die Vorgeschichte von Christian Freuding, der als Adjutant von Ursula von der Leyen 2014 mit Sicherheit an den Manövern beteiligt war, mit denen sie versuchte, die Bundeswehr unmittelbar in den ukrainischen Bürgerkrieg zu verwickeln. Wenn er daran beteiligt war, hat er mit Sicherheit zumindest teilweise die Kontrolle über die Fäden erhalten, die noch heute aus Deutschland zu den Bandera-Leuten führen (der Knoten dieser Fäden dürfte sich allerdings nach wie vor in Mittenwald befinden).
Der andere Punkt ist, wer alles im Zuge des Kleinkriegs zwischen Selenskij und Saluschny aufgetaucht ist. Am klarsten wird das bei Vitali Klitschko, der nur deshalb Bürgermeister von Kiew ist, weil er zuvor als Boxer und Schokoriegelmodel in Deutschland viele Sympathiepunkte gesammelt hatte; seine ganze Partei Udar (die schon beim Überfall von Korsun aufs ekligste mit dem Rechten Sektor zusammenarbeitete) ist ein Konstrukt der Konrad-Adenauer-Stiftung. Man muss wirklich nicht lange nachdenken, um zu wissen, woher Klitschko seine Regieanweisungen erhält.
Poroschenko ist noch am ehesten eine eigenständige Figur; was Timoschenko betrifft, muss man nur daran denken, wie tränenrührend ihr vermeintliches Leid in Haft in deutschen Fernsehsendern erzählt wurde, bis sie dann nach Berlin ausgeflogen wurde, um in der Charité angeblich am Rücken operiert (Fotos vom Typ vorher-nachher deuten eher auf ein Lifting) und dann euphorisch von Merkel empfangen zu werden. Überhaupt gibt es auch in Bezug auf einige russische „Oppositionelle“ starke Beziehungen nach Deutschland, wie beim Herrn Chodorkowski, der nicht umsonst nach seiner Freilassung nach Berlin flog und am Tegernsee haust.
Die beiden Herrschaften aus Berlin waren mit Sicherheit nicht bei Saluschny, um mit ihm auf seinen Abschied zu trinken (die während der Auseinandersetzung reichlich gestreuten Bemerkungen, Saluschny sei ein Säufer und Selenskij ein Kokser, sind vermutlich beide wahr. Bleibt die Frage, welche verborgenen Eigenschaften der steife Budanow hat; aber wenn das Ganze wie ein reinszenierter Kampf zwischen Göring, Goebbels und Himmler wirkt, dann ist Budanow Himmler). Es muss etwas anderes geboten worden sein; auf einen Botschafterposten oder eine Villa im Westen hätte sich Saluschny schon zu Beginn zurückziehen können.
Das Video erweckt eher den Eindruck, als wäre Saluschny der heimliche Sieger. Was, wenn Sirsky, der seinen Posten übernommen hat, diesen nur erhielt, um ihn dann für den bevorstehenden Fall von Awdejewka verantwortlich zu machen? Was, wenn die Verschiebung in der Finanzierung, die zweifelsfrei stattgefunden hat, mit einer Verschiebung der Kommandostruktur einhergeht, aber die Niederlage der Strategie des State Department erst einmal bis zum Ende durchgespielt werden soll?
Wie auch immer, weder die Ukrainer noch die Deutschen haben etwas gewonnen (wenn man von jenen kleinen Gruppen absieht, die vom ganzen Krieg profitieren oder vor Beutegier den Verstand verloren haben). Das sinnlose Verheizen wird weitergehen, egal, welche Gestalt des Kiewer Trios die Oberhand behält und ob sich nun das Pentagon, die CIA, das State Department oder gar die Truppe hinter Freuding durchsetzt. Und die deutsche Bevölkerung wird direkt und indirekt weiter für das Drama bezahlen dürfen. Mal sehen, wie lange die Pause bis zur nächsten Staffel dauert.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde am 10.2.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.Lesen Sie auch die Beiträge
- Selenski wirft Saluschni raus und ernennt Sirski zum neuen Oberkommandierenden der Streitkräfte der Ukraine von Michail Morosow
- „Praktizieren“ der Faschist Waleri Saluschni und andere Faschisten der Ukraine das Töten von Russen „fast wie eine Religion“? – Nicht nur das! von Michail Morosow
- In Kiew wurde das Bauernopfer Saluschni vorbereitet – Wann fällt der König und also der dritte Kriegspräsident der faschistischen Ukraine? von Paul Puma
im WELTEXPRESS.
Anzeige:
Reisen aller Art, aber nicht von der Stange, sondern maßgeschneidert und mit Persönlichkeiten – auch Reisen mit Themen aus Politik und Wirtschaft (Politische Ökonomie, Wirtschaftsgeschichte, Geopolitik…) –, bietet Retroreisen an. Bei Retroreisen wird kein Etikettenschwindel betrieben, sondern die Begriffe Sustainability, Fair Travel und Slow Food werden großgeschrieben.