Schwerpunkt Afrika – Aufregung um Brett Bailey und Erhellendes von andcompany&Co. bei Foreign Affairs

Szene aus Exhibit B © Foto: Anke Schuettler

Anregung für seine Exhibit-Serie, die mit „Exhibit A“, produziert von den Wiener Festwochen und dem Festival Theaterformen Braunschweig startete, fand Brett Bailey bei den im 19. Jh. beliebten Völkerschauen. Dort konnten Menschen der nicht-westlichen Welt in ihrer nachgebauten heimischen Umgebung besichtigt werden.

Völkerschauen waren Attraktionen auf Jahrmärkten und Volksfesten, in Tierparks und bei Industriemessen, Kolonial- und Weltausstellungen. In mehr oder weniger aufwändigen Inszenierungen präsentierten die ausgestellten Menschen Szenen, die angeblich ihr Alltagsleben wiederspiegelten, die jedoch vor allem westlichen Klischees entsprachen und darauf abzielten, die Minderwertigkeit der Fremden zu offenbaren. Wissenschaftler, darunter bis heute berühmte wie Rudolf Virchow, untersuchten die lebenden Ausstellungsobjekte, um die Besonderheiten herauszufinden, durch die sich die „Primitiven“ von zivilisierten Menschen unterschieden.

Heute sind die Völkerschauen allenfalls noch als kuriose Erscheinungen von Anno dazumal in Erinnerung, wie auch in Deutschland die relativ kurze deutsche Kolonialgeschichte mit ihren dennoch mörderischen und bis heute spürbaren Auswirkungen kaum angemessen verarbeitet wurde.

„Exhibit B“ war in Berlin im Kleinen Wasserspeicher zu erleben, einem stimmungsvoll düsteren Gewölbe. Die weiße Dolmetscherin, von der die BesucherInnen hinein geführt werden, protestiert mit ihrem schwarzen Gesicht vielleicht gegen die Proteste. In einem Vorraum gibt Brett Bailey eine kurze Einführung. Hinter ihm hockt eine schwarze Frau mit nacktem Oberkörper in einer Glasvitrine.

Während Bailey referiert und die Dolmetscherin ins Deutsche übersetzt, erklingt das „Ave Maria“ von Bach/Gounod, und zum schmelzenden Gesang einer Sopranistin erhebt sich die wunderschöne schwarze Frau langsam und dreht sich um selbst. Bailey und die Dolmetscherin lassen die Frau ganz unbemerkt.

Beim Gang durch die Ausstellung frage ich mich zunächst, ob es sich bei den Gestalten, die mir ins Auge fallen, um Wachsfiguren handelt. Sie stehen völlig unbewegt da. Beim Nähertreten bemerke ich lebendige Augen in den erstarrten Gesichtern.

Die Tatsache, dass seine PerformerInnen die auf sie gerichteten Blicke erwidern und so auch die Schauenden zu Objekten machen, erklärte Brett Bailey vorab in Interviews als Besonderheit, die seine Installation von den Völkerschauen unterscheide.

Berichten zufolge bestand allerdings ein wesentlicher Reiz der Völkerschauen darin, dem furchterregenden Blick eines „Wilden“ Stand zu halten, sich vor den böse funkelnden Augen einer schwarzen Zauberin zu fürchten oder beim Blickwechsel mit einem stolzen Indianerhäuptling in Entzücken zu geraten.

Die Besonderheit bei Brett Baileys Performance besteht wohl darin, dass die Bewegungslosigkeit der ausgestellten Menschen wie Protest erscheint. Sie sind eingefügt in Szenarien, in denen sich die sadistische Grausamkeit der europäischen Kolonialherren zeigt, aber sie präsentieren sich nicht als Opfer, sondern wie Demonstranten, die stumm auf das unfassbare Unrecht hinweisen.

Die PerformerInnen sind in Berlin lebende afrikanische MigrantInnen und SchauspielerInnen aus Namibia. Der Augenkontakt mit ihnen ist wenig ergiebig. Da sie sich weder bewegen noch sprechen dürfen, ist es unmöglich, mit ihnen zu kommunizieren.

Die nachgestellten Szenen betreffen extreme Grausamkeiten, über die auf Tafeln vor den Szenerien kurze Texte zu lesen sind. Auf diese Weise werden die PerformerInnen schließlich doch zu bloßen Exponaten, denen Erklärungen beigefügt werden müssen.

Neben Bildern aus der Kolonialzeit, darunter dem einer Frau, die in der einen Hand einen Totenschädel und in der anderen eine Glasscherbe hält, die sie aus dem Schädel entfernen musste, damit der zu wissenschaftlichen Zwecken nach Deutschland transportiert werden konnte, gibt es auch einen Bezug zu unserer Zeit. So ist ein Mann auf einem Flugzeugsessel zu sehen. Seine Hände sind auf seinem Rücken gefesselt, und sein Mund ist mit einem breiten Klebestreifen verschlossen, ein Afrikaner, der bei seiner Abschiebung von Polizisten getötet wurde.

Die musikalische Begleitung der Ausstellung liefern singende Köpfe auf hölzernen Pfeilern, ein namibischer Chor mit traditionellen Klagegesängen. Das geisterhafte Arrangement hat etwas Absurdes und lässt mich an Beckett denken.

Das 18. Jh. ist exemplarisch vertreten durch Angelo Soliman, hier als Toter aufgebahrt, obwohl er doch ausgestopft und als halbnackter „Wilder“ mit Federschmuck im Naturalienkabinett von Kaiser Josef II in Wien ausgestellt wurde. Soliman ist der einzige Prominente unter lauter Unbekannten, ein Opfer von Rassismus, aber auch ein Mann mit einem außergewöhnlich erfolgreichen Leben.

Die Ausstellung präsentiert ein paar Sensationen mit Schock- oder Gruseleffekten. Die Menschen sind kombiniert mit den Accessoires der weißen Herren: Jagdtrophäen, kostbare Möbel, Kitsch und überall das christliche Kreuz. Entweder habe ich das „Ave Maria“ noch im Ohr oder es dringt tatsächlich vom Vorraum in die Ausstellung und verbindet sich mit den afrikanischen Gesängen zu etwas schwer Erträglichem.

Während „Exhibit B“ überdeutlich auf die emotionale Erschütterung der BesucherInnen abzielt und damit vielleicht auch zu besserem Verstehen führen kann, sind in Brett Baileys „medEia“-Inszenierung klischeehafte Vorstellungen von Afrika ohne erkennbar kritischen Ansatz verarbeitet. Allenfalls könnte Medeas am Ende des Stücks wütend und verächtlich ins Publikum gespuckte „fuck you“ bedeuten, dass die ZuschauerInnen vorher zu sehen bekommen hatten, was ihren Vorurteilen entspricht, weil sie etwas Anderes ohnehin nicht verstehen würden.

In dem im Programm abgedruckten Interview spricht Brett Bailey jedoch über den thematischen Bezug seiner Inszenierung zu den menschenunwürdigen Ausgrenzungen und Abschiebepraktiken, unter denen AfrikanerInnen im heutigen Europa zu leiden haben. Dabei lässt sich Baileys Medea ganz und gar nicht mit den AfrikanerInnen vergleichen, die aus Überlebensgründen nach Europa kommen.

Das auf der Tragödie des Euripides basierende Stück des niederländischen Schauspielers und Dramatikers Oscar von Woensel hat Brett Bailey als eine Art Musical in Szene gesetzt. Vorn links auf einem Podium bewegen sich drei wunderschöne junge Rapperinnen, in weißen, langen Kleidern. Sie erzählen die Story abwechselnd aus der Perspektive von Medeas Freundinnen und der bösartiger Lästerzungen. Im Hintergrund sitzt der großartige Drummer Frank Paco, dessen Darbietungen durch Einspielungen von Pop-Musik ergänzt werden.

Zu Beginn kniet Medea als Königstochter und Oberpriesterin mit bärtiger Maske rechts vorn. Um sie herum auf Pfähle aufgespießte Köpfe. Ein Priester nebelt die dunkelrot beleuchtete Szene mit Rauchschwaden ein. Es riecht nach schwarzer Magie und Kannibalismus.

Dass nun, wie die Erzählerinnen mitteilen, weiße Eroberer mordend, raubend und vergewaltigend durchs Land ziehen, erscheint lediglich wie eine neue Grausamkeit in einer ohnehin barbarischen Hölle. Zudem sind die Eindringlinge für die „Primitiven“ Vertreter einer Traumwelt der Zivilisation und der unermesslichen Reichtümer.

Medea verfällt Jason, der in engen, schwarzen Lederhosen machotypisch daher kommt, in leidenschaftlicher Liebe. Sie verschafft ihm das Goldene Vlies, den wertvollsten Schatz ihres Volkes und tötet ihren Bruder, als der sie an der Flucht mit Jason hindern will.

Die Liebe ist, wie der Chor immer wieder versichert, der einzige Grund für Medeas Verbrechen, und Jasons Verrat veranlasst Medea zu weiteren Morden, schließlich sogar zur Tötung ihrer Kinder.

Nicht nur Christa Wolf hat die mythologische Figur der Medea als unschuldiges Opfer von Fremdenfeindlichkeit interpretiert. Solche Freisprechungen gibt es in Brett Baileys Inszenierung ist. Hier ist Medea zweifellos eine fünffache Mörderin.

Diese Medea in die Nähe von heutigen Asylsuchenden zu rücken, denen nur allzu oft zu Unrecht unterstellt wird, sie hätten ihre Heimatländer wegen dort begangener Verbrechen verlassen, ist eine kaum nachvollziehbare Idee.

Brillant dagegen und weder abseitig noch missverständlich setzt sich das Kollektiv andcompany&Co. in seiner Performance „Black Bismarck previsited“ mit der Geschichte des deutschen Kolonialismus auseinander.

Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma entlarven den 3. Oktober, an dem in Deutschland die Wiedervereinigung gefeiert wird, als ein bedenklich vorbelastetes Datum: Am 3.Oktober 1942 wurde in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde die erste V2 Rakete abgeschossen, und am 3.Oktober 1904 erklärte Hendrick Witbooi, Kaptein der Nama und ehemaliger Verbündeter der Deutschen, dem Deutschen Reich den Krieg. Der sogenannte „Hottentotten-Aufstand“ in Deutsch Südwest-Afrika begann mit grauenhaften Folgen für die Nama und die Herero.

Die PerformerInnen, seit 2007 artist-in residence am Berliner Hebbel am Ufer, die mit ihren Stücken internationale Erfolge verbuchen, planen für 2013 die Produktion „Black Bismarck“ zum Thema Post-, Anti- und Neo-Kolonialismus und präsentierten beim Festival Foreign Affairs den ersten Zwischenstand ihrer Recherche als kabarettistischen Dia-Vortrag.

Pointiert, geistreich und sehr fundiert geschieht hier die Demontage des „eisernen Kanzlers“, der 1884 in Berlin die „Kongo-Konferenz“ einberief, bei der die europäischen Mächte den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten und willkürlich Grenzen festlegten, die z.T. bis heute gültig sind und immer wieder politische Konflikte verursachen.

Unkritische Bismarck-Verehrung, wie sie u.a. in Bismarck-Türmen in 173 deutschen Städten zum Ausdruck kommt, deutsche Ahnungslosigkeit in Bezug auf den von Deutschen begangenen Völkermord während der Kolonialzeit, harmlos daher kommender Rassismus in Schlagern und bei Afrika-Parties und, nicht zuletzt, die anhaltende Bevormundung und Ausbeutung afrikanischer Staaten durch Europa, weisen darauf hin, dass die Ideologie der weißen Herrenmenschen nicht nur die Sache einiger Rechtsradikaler ist.

Die PerformerInnen zitieren Toni Morrison, kombinieren historische und aktuelle Dokumente und machen den ganz selbstverständlich immer noch deutsche Köpfe beherrschenden Kolonialismus schmerzhaft bewusst.

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