Blitzstart für das Schlusslicht
Die Berliner hatten seit langem wieder einmal richtig Spaß am Fußballsport und belohnten 40474 unentwegte Zuschauer, die trotz kühler Witterung ins Olympiastadion gekommen waren von Anfang an mit tollen Szenen. Hertha, die ohne ihren gelbgesperrten Kaptän Arne Friedrich antreten musste (er stand mit Mütze bei den Fans, tolle Geste!), begann das letzte Heimspiel der Hinrunde bissig. Schiedsrichter Babak Rafati musste schon nach 30 Sekunden die ambitionierten Berliner Verteidiger das erste Mal zur Ordnung rufen. Nach einigen unfreiwillig komischen Einlagen in der Abwehr, die schon wieder Schlimmstes vermuten ließen, schlugen die Berliner eiskalt zu: In der achten Spielminute erzielte Adrian Ramos die Führung. Cicero hatte mit einem schönen Pass in die Nahtstelle der Abwehr den Kolumbianer mustergültig bedient und das Abseits ausgehebelt. Der völlig frei vor Rene Adler stehende Stürmer vollendete sicher (8.).
Eine Führung für Hertha, so mancher im Rund rieb sich verwundert die Augen. Zusehends konsternierte Leverkusener verloren im Anschluss mehr Zweikämpfe als ihnen lieb war. Wirkliche Torgefahr ging vom bisher ungeschlagenen Tabellenersten nicht aus, nur einmal musste Jaroslav Drobny eine hohe flanke im Fünf-Meter-Raum vor Kießlings Schädel aus der Luft fischen, ansonsten blieben kleinere Wackler der Herthaner überraschend folgenlos.
Und das Erstaunlichste: Hertha BSC spielte auf einmal richtigen Fußball.
Mit Einsatz, Begeisterung und auch mit dem nötigen Quäntchen Fortune, das den Berlinern in der Hinserie so oft gefehlt hat.
Gut in der Balleroberung, teilweise mit Doppelpässen erfolgreich und oft nur mit unfairen Mitteln vom Ball zu trennen, zeigten die Berliner ihren hungrigen Fans endlich das, worauf diese schon so lange in dieser Saison warten mussten: spannende Unterhaltung.
Debüt für Burak Kaplan, Schiedsrichter Rafati äußerst unglücklich
Leverkusen wollte nach dem Wechsel mit Macht die Wende erzingen.
Verständlich, denn welcher Tabellenerste lässt sich gern vom Schlusslicht vorführen? Bayer-Trainer Jupp Heynckes brachte das Nachwuchstalent Burak Kaplan für den verletzten Daniel Schwaab, Hertha-Trainer Funkel hatte keinen Grund zu wechseln.
Kaplan war es dann auch, der endlich für Durcheinander in der dis dahin erstaunlich sattelfesten Berliner Defensive sorgte. Sein Zuspiel auf Kießling verwertete dieser direkt, aber der bärenstarke Drobny rettete mit einer Weltklasseparade (49.).
Zwei Minuten später sehen die 40000 Hertha-Fans die Vorentscheidung, Raffael trifft zum 2:0. Die Vorentscheidung? Denkste! Schiedsrichter Rafati sieht ein Abseits, der Treffer zählt nicht. Spätestens ab diesem Moment ist der erfahrene Referee aus Hannover der Buh-Mann und wird teilweise äußerst unflätig beschimpft.
Sicher, Barati ist kein Heimschiedsrichter und man konnte über viele seiner Entscheidungen geteilter Meinung sein, aber dass Fußballfans, was die Dimension der Beschimpfung des „Gegners“ angeht, absolut nicht lernfähig sind, ist traurig.
Die Bayer-Elf übernahm im Anschluss mehr die Initiative und übte nun den von Anfang an erwarteten Druck aus. Zunächst wankte das Abwehr -Bollwerk der Hertha nur, dann aber war es soweit, innerhalb von nur zwei ganz bitteren Minuten änderte sich für Hertha alles: Nach einem zu kurz abgewehrten Eckball versenkt Bayern-Leihgabe Toni Kroos das Leder mit einem präzisen Flachschuss ins rechte Eck zum Bayer-Ausgleich(76.). Das entsetzt nicht nur die Fans. Herthas Gojko Kacar, der in der Nachspielzeit von Hälfte eins schon gelb gesehen hatte, wird von Schiedsrichter Barati wegen Ballwegschlagens mit gelb-rot in die Kabine geschickt.(77.) Au weia, Hertha!
Beide Teams schienen sich danach nicht mehr weh tun zu wollen, nur Patrick Ebert zog aus dreißig Metern einfach mal ab, doch der Ball strich knapp am Gehäuse von René Adler vorbei(88.).
Das große Finale folgte aber doch noch: Bayer-Youngster Kaplan gelingt Sekunden vor dem regulären Schluss mit einem abgefälschten Ball die insgesamt nicht verdiente Führung zum 2:1 für Leverkusen (90.).
Schock und schwere Not für die armen Herthaner, die an diesem Abend wirklich keine Niederlage verdient hatten. Und siehe: Rafati macht aus Sicht des Hertha-Anhangs auch mal etwas richtig und lässt drei Minuten nachspielen. Und tatsächlich gelingt Adrian Ramos quasi mit dem Schlusspfiff, nach einer schön geschlagenen Ecke, mit seinem ersten Doppelpack für Hertha noch der späte, hochverdiente Ausgleich (90+3).
Achterbahnfahrt mit allem was dazu gehört
Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, Jubel, Hass und Schrecksekunden: Diese Partie hatte wirklich alles was ein hochspannendes Fußballspiel braucht. Brot und Spiele: heute wurden alle satt.
Damit bleibt Bayer Leverkusen auch nach 16 Spielen ungeschlagener Tabellenführer und können am letzten Hinrundenspieltag das erste Mal seit acht Jahren wieder Herbstmeister werden. Hertha muss nächstes Wochenende zu Louis van Gaals wiedererstarkten FC Bayern, wo es nichts zu verlieren gibt, weshalb dann auch endlich diese Katastrophenserie und dieses Jahr versöhnlich zu Ende gehen sollten.