Aber wir haben das Goethezitat deshalb benutzt, weil es zu den Merkwürdigkeiten dieser Stadt gehört hatte, daß es gleichzeitig zwei Struwwelpetermuseen besaß, eines in der Schubertstraße im Westend und eines im Annex der Schirn am Römerberg. Dies nur noch einmal zur historischen Klarstellung, denn wir sind auf dem Weg zum einzigen und einzigartigen Struwwelpetermuseum in der Schubertstraße 20, das nun den Bestand beider Museen vereint. Direktorin Beate Zekorn-von Bebenburg – nein, kein Pseudonym von Heinrich Hoffmann, der es ja sprachlich faustdick hinter den Ohren hatte – hatte schon auf der großen Presskonferenz zum Heinrich Hoffmann Sommer 2009 auf die Neugestaltung des Museums zum 17. Mai hingewiesen und tatsächlich ist die neue Dauerausstellung im Struwwelpetermuseum für viele Erwachsene der erste Schritt in dieses Museum, das andererseits für Kinder und Frankfurter Schulklassen geliebter Alltag ist.
Einzigartig ist auch, daß dies tatsächlich ein Museum für Erwachsene, Jugendliche und Kinder aller Alterstufen ist. Während wir noch im Eingangsbereich uns orientieren und links die Verkaufsabteilung sehen und vor uns Puppen, die die handelnden Personen aus Hoffmanns Bilderbuch darstellen, ist Lena schon im gewaltigen Tintenfaß verschwunden. Wir haben uns nämlich eine Vierjährige mitgenommen, um auszuprobieren, wie diese, die den Struwwelpeter kennt und mag, auf diese Museumswelt reagiert. Sehr gut kann man nur sagen, und daß erst passive Resistenz die Reaktion der Kleinen war und dann lautes „Ich bleibe hier“-Sagen, als es nach über zwei Stunden wieder heimwärts ging. Die Erwachsenen waren erschöpft. Das Kind nicht. Das hat auch mit der Konzeption des Museums zu tun, daß auf jeder Etage diverse Spielmöglichkeiten für Kinder bereit hält.
Und aus dem riesengroßen Tintenfaß war sie auch nur hervorzulocken, weil wir uns etwas dumm anstellten in der Zuordnung der von Linda Rasch 1977 fabrizierten 17 Puppen in zwei Glasvitrinen zu den Rollen im Struwwelpeter. Mit Absicht natürlich, denn unser Mißverstehen war die beste Motivation für die Vierjährige, wieder ans Licht der Welt zu treten und uns zu belehren, wer hier wen darstellt und wer zu wem gehört. Im ersten Stock beginnt es und da beginnt es so richtig für Erwachsene, die, wenn Sie es noch nicht wußten und nicht die drei bisherigen Weltexpressartikel gelesen hatten, sich nur wundern können über diesen Heinrich Hoffmann, was das für ein gewitzter Kerl war, ein Tu-gut im besten Sinne, ein Neugieriger, der von sich bekannte, seine größte Leidenschaft sei es, Vereine zu gründen, dem es aber auch gelang, für sein Vorhaben immer viele Freunde zu finden, denn er hatte die richtigen Ideen zur richtigen Zeit. Wie oft erlebt man das schon, daß man zum Lebenswerk eines Menschen bewundernd sagen möchte: der rechte Mann am rechten Platz.
Und dann auch noch das weltberühmte Kinderbuch, von dem er als Selbstporträt zum Lebensende hin eine Karikatur fabrizierte, in der deutlich wird, daß er alle seine sonstigen Initiativen, sozialer, gesellschaftlicher, medizinischer, kultureller Art für viel wichtiger einschätzte und ihnen so viel mehr Zeit widmete, als diesem Struwwelpeter, dessen Erfolg ihm in den Schoß fiel. Und ihn, wenn auch nicht reich, doch so aber wohlhabend machte.
Das alles erfährt man mit vielen historischen Quellen an den Wänden im ersten Saal, in dem man sich schon mal gut eine halbe Stunde aufhalten kann, denn es gibt viel zu lesen, viel anzuschauen und viel nachzudenken, wie ein Mann alleine so ein Lebenswerk gestalten kann. Die Lebensdaten hatten wir in den zwei ersten Artikeln schon inhaltlich gefüllt, hier kommen noch Details dazu, wie, daß sein Kosename in der Familie „Richel“ war und er zwar aus gutem Haus, aber einem mit wenig Geld kam. „Blutarmut im Portemonnaie“ hat er diese Situation bezeichnet und so liest man mit einem Lächeln auf den Lippen vom Witz dieses Mannes, der so unternehmungslustig, wie gesellschaftlich verantwortlich, so sprachbegabt wie zeichenstark war.
Solanus Tuberosus und Polykarpus Gastfenger war er auch, daß er sich Reimerich kinderlieb nannte und Peter Struwwel, ist schon eher bekannt, und auch Heulalius von Heulenburg und Josef Dunkel, da schwant einem was. Als Peter Struwwel, Demagog hat er im Revolutionsjahr 1848 „Das Handbüchlein für Wühler”¦“ herausgebracht und wir vertiefen uns in „Prinz Grünewald und Perlenfein mit ihrem lieben Eselein“, was er 1871 schrieb und „Bastian der Faulpelz“, 1854. Der Mann schrieb immer, dabei gründete er doch Vereine, berief sie ein, leitete sie, führte Protokoll, setzte die Beschlüsse um, und war gleichzeitig der vielbeschäftigte Irrenarzt Dr. Heinrich Hoffmann, dem es gelang, in Nullkommanichts die Frankfurter Pfeffersäcke zu gewaltigen Spenden zu animieren, für ein neues Haus für die geistig Behinderten und sonstwie Beschädigten, die bisher zusammengepfercht mitten in der Stadt hausten und nun im Grünen ein Irrenschloß auf dem Affenstein bekamen.
Ernsthaft, ein den königlichen Barockanlagen nachempfundenes historisierendes Gebäude, das auf dem Bild so schön aussieht, daß man sich wundert, daß die Farbwerke Höchst, die das Gelände aufkauften, nicht dort ihr Zyklon B vermarkteten, mit dem das Vergasungsprogramm der Nazis schneller erledigt werden konnte. Andererseits ist das heutige IG-Farben-Haus, das 1928 als Repräsentationsbau von Hans Poelzig erbaut wurde und noch vor Kriegseintritt von den Amerikanern für ihr künftiges UDS Headquarter in Europa bombenfrei gehalten wurde, auch sehr schön. Und als dies in den 90er Jahren frei wurde, war es die Tat der hessischen Landesregierung, dies großzügige Gebäude mit einem noch großzügigeren Areal nicht an die Schlange stehende Industrie zu teueren Preisen zu verkaufen, sondern dort die aus ihren Räumen platzende Johann Wolfgang Goethe Universität anzusiedeln.
Das hätte fast eine Idee von Heinrich Hoffmann sein können. Wir sagten es doch: Franfurt stickt voller Merkwürdigkeiten. Und wir sind immer noch im ersten Raum. So wird das nichts. Noch mal von vorne und systematisch anfangen. Wie gut, daß das Kind beschäftigt ist. Im nämlichen Raum am Fenster vor den Blicken verborgen spielt Lena mit ihrem Vater „Reise um die Welt“ in 77 Tagen oder so und sie gewinnt dauernd. Kein Wunder, daß sie nicht weg will. Schon wieder einmal: Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich. Schade, daß uns bisher noch niemand aufklären konnte, weshalb über eine Verbindung von Heinrich Hoffmann und Wilhelm Busch nichts bekannt ist und noch leichter zu eruieren, weshalb die beiden bekannten und zeitgleichen Frankfurter Literaten, Heinrich Hoffmann für die Kinder und Erwachsenen und Friedrich Stoltze als Lokaldichter nie zusammen auftauchen. Frankfurt war damals so klein. Hat denn Stoltze keine Vereine besucht? Dabei wollen wir doch erst einmal dieses Museum zu Ende besuchen, was wir im nächsten Artikeln tun.
www.frankfurterbuergerstiftung.de
Gängige Struwwelpeterausgaben:
Der Struwwelpeter. Mit einem Nachwort von Peter von Matt, Reclam, Stuttgart 2009
Der Struwwelpeter, Schreiber, Esslingen 1992
Bis zu seinem Todestag am 20. September werden in Frankfurt viele Ausstellungen diesen Heinrich Hoffmann Sommer begleiten, auf die wir noch eingehen.