Berlin, Deutschland (Weltexpress). Unser Schiff, die „Nicko Spirit“, schwimmendes Hotel für elf Tage, sieht nicht nur elegant und ultramodern aus in ihrem stromlinienförmigen Design: Erst letztes Jahr konstruiert, bietet dieses brandneue, 110 Meter lange Flusskreuzfahrtschiff in seiner Innenarchitektur perfekte Ästhetik, durchdachte und auch bei Doppelbelegung praktisch konzipierte Gestaltung der Kabinen, die sich im Ober- und Mitteldeck (nicht bei den wenigen im untersten, im Hauptdeck befindlichen Kabinen) mittels Knopfdruck rasch in Balkonkabinen umgestalten lassen, indem die Panoramafenster zur Hälfte versenkt werden. Dass das Badezimmer durch eine klare und nicht eine Milchglasscheibe von der Kabine getrennt ist, was bei Doppelbelegung vereinzelt zu Kritik führte, lässt sich zweifellos noch modifizieren. Lediglich 170 Passagiere sind an Bord, betreut von 38 Besatzungsmitgliedern – eine optimales Verhältnis, das individuelle Bedienung im Speisesaal und in der Bar zulässt. Bei der Gestaltung der öffentlichen Räume wurde das elegante Konzept der Kabinen konsequent weitergeführt – Raffiniert die Glaskuppel in der lichtdurchfluteten Lobby und der bei den Passagieren besonders beliebte „schwimmende Garten“ im windgeschützten Bug des Schiffes. Das großzügige Sonnendeck mit dem (beim Passieren niedriger Brücken versenkbaren) High-Tech-Cockpit bedeckt die ganze Länge der „Nicko Spirit“
Die entspannendste Form des Reisens
Ich kenne keine entspanntere Form des Reisens: Einmal eingecheckt, Kleider und Kosmetika in Schränken und Fächern, die Koffer unsichtbar für die ganze Reise unter den Betten verstaut, entfällt das übliche, zeit- und energieraubende Hin und Her in Hotels bei Landreisen. Im Schiff kann man sich ganz den kulinarischen Genüssen und den spannenden Landausflügen widmen, ohne sich um Logistik zu kümmern: Ruhig gleitet die herrliche Landschaft an den Gestaden von Rhein und Mosel vorbei – vor allem auf der Mittelrheinstrecke, eine der schönsten Flußlandschaften Europas und seit 2002 Teil des Unesco-Weltkulturerbes: Man schaut, liest und genießt entspannt. Stürme und Seekrankheit sind auf Flußreisen bekanntlich kein Thema und ein gelegentlicher Regenguss (uns fantastisches Sommerwetter beschert!) läßt sich leicht verkraften.
Die Mahlzeiten an Bord – Frühstücksbuffet und am Tisch serviertes Mittag- und Abendessen stießen bei den Passagieren auf Zuspruch, und wer ein besonderes Mahl mit spektakulärer Aussicht auf die wunderbare Flußlandschaft im Heck des Schiffes, eventuell dort auch auf der Terrasse genießen wollte, musste einfach (übrigens ohne Aufpreis!) in „Mario’s Grill“ buchen, wo die kulinarische Qualität und die individuelle Aufmerksamkeit der Kellner nochmals ein paar Punkte nach oben zulegte… Dreimal wurde auf dieser Reise ein fünfgängiges Gala-Abendessen mit besonderen Köstlichkeiten angeboten – schade nur, dass die Passagiere den Anlass nicht mit entsprechend eleganter Kleidung zu würdigen wussten – eine schöne Tradition, wie sie nach wie vor auf gewißen Hochseeschiffen gepflegt wird. Der Einmann-Bordunterhalter stieß bei vielen Gästen auf Anklang – nicht bei mir, aber das ist wohl Geschmackssache.
Zu den Höhepunkten dieser Flussfahrt, die unter der Flagge „Falstaff-Genussreise“ segelte, gehörten, selbstverständlich in dieser weltberühmten Weinregion – viele Wein- und Schaumweinproben auf dem Schiff und in stimmungsvollen, uralten Weinkellern in den Dörfern, in denen wir unterwegs anlegten. Das war nicht nur genussvoll, sondern zugleich auch überaus lehrreich: Mir selbst eröffnete sich die Weinwelt des Rieslings, der mir bisher zwar ein Begriff war – aber ein Begriff ohne Inhalt. Ich lernte diese Traube auf der Nicko-Flussreise schätzen wie nie zuvor.
Faszinierend und lehrreich: Die Landausflüge
Weit wichtiger noch als die Genüsse und die kontemplativen Stunden während der Flußfahrt waren mir die Erlebnisse und Einsichten, welche durch die vielen angebotenen Landausflüge vermittelt wurden. Meine Empfehlung: Wer diese und andere Flussreisen bucht, sollte auf keinen dieser Ausflüge verzichten. Perfekt und minutengenau organisiert, mehrheitlich von ausgezeichneten, sehr sachkundigen Guides betreut, sind diese Busfahrten und geruhsamen Spaziergänge durch die romantischen Dörfer und die namhaften Städte am Rand der beiden Flüsse extrem lehrreich und oft auch extrem spannend. Ich jedenfalls habe auf dieser Reise große weiße Flecken auf meiner persönlichen Europa-Karte mit farbigen Inhalten gefüllt.
Zweimal wurden diese Führungen besonders originell gestaltet: Schon am zweiten Tag empfing uns in Bingen, kostümiert mit authentischem Rheinländer-Akzent und entsprechendem Humor ausgestattet, der „Vater Rhein“ und wusste über das von Richard Wagner in unsterbliche Musik umgesetzten „Rheingold“ zu berichten – die Tour begann gegenüber der berühmten „Germania“ auf dem gegenüberliegenden Ufer, dem pompösen „Niederwalddenkmal“ oberhalb von Rüdesheim, das an die Einigung Deutschlands im Jahr 1871 erinnern soll – mit zahlreichen Übernamen bedacht und vom bekannten Kölner Schokoladehersteller Ludwig Stollwerck 1893 für die Weltausstellung in Chicago aus 300 Kilogramm Schokolade und in 12 Metern Höhe nachgebaut ist es zusammen mit dem Oberen Mittelrheintal Teil des Unesco-Weltkulturerbes. Im Andernach erwartete uns in der Dämmerung der „Nachtwächter“, der jedem von uns eine Fackel in die Hand drückte und uns die Geschichte der romantischen Kleinstadt näher brachte, als er uns durch eines der Stadttore und vorbei an alten Festungsmauern geleitete.
Porta Nigra und der Name der Rose
Fast täglich begeben wir uns auf dieser Reise auf die Spuren der Alten Römer, die vor zwei Jahrtausenden hier den Weinbau eingeführt hatten – einen der unbestrittenen Höhepunkte unserer Flußfahrt bildete der Besuch der an Baudenkmälern reichen, ältesten Stadt Deutschlands: Der von Kaiser Augustus im Jahr 17 vor Christus als Augusta Treverorum gegründete Stadt Trier mit der imposanten Porta Nigra, dem römischen Stadttor, den Thermen, der Römerbrücke über die Mosel, der gewaltigen Konstantinbasilika und der Domkirche, der ältesten Bischofskirche Deutschlands. Das Römerbergwerk Meurin vermittelte höchst aufschlussreiche Einblicke in die hochentwickelte Technologie der Römer.
Zum überaus vielfältigen Ausflugsprogramm gehörte ein Abstecher nach Luxemburg und, nach einer Fahrt durch die wunderschöne Landschaft des Eifel-Gebirges, der Besuch des Benediktinerklosters Maria Laach. Eine besondere Attraktion war der Ausflug ins ehemalige Zisterzienserkloster Eberbach aus dem 12. Und 13. Jahrhundert mit Weinprobe im imposanten Kellergewölbe. Hier sind noch vereinzelte Kulissen und Requisiten der Dreharbeiten zum Film „Der Name der Rose“ (1986) zu sehen, die so authentisch wirken, dass nur ein Hinweis des Guides uns erkennen lässt, dass es sich um Nachbauten von Säulen und Kerzenleuchtern handelt.
Irrwege des Kaiserdenkmals
Für viele Gäste der Höhepunkt war die Stadt Koblenz dem Zusammenfluss von Rhein und Mose(der Name Koblenz kommt vom lateinischen „Confluenters“, die „Zusammenfliessenden“, eine der ältesten Städte Deutschlands. Das Schiff unternahm ein waghalsiges Manöver am „Deutschen Eck“, als es vom Rhein in die Moselmündung einbog – vorbei am gewaltigen Kaiser-Wilhelm-Denkmal, errichtet 1871. Angeblich wurde das Denkmal bewusst so konzipiert, dass Kaiser und Pferd stramm in Richtung Berlin blicken, während Monarch und Reittier den Franzosen das Hinterteil zuweisen. Zur jüngeren Geschichte dieses berühmten Denkmals gehört, dass es gegen Ende des Zweiten Weltkriegs einen Artillerie-Treffer abbekam und das dHaupt des Kaisers herunterhing.
General De Gaulle wollte das Denkmal als Mahnung an die Deutschen so bewahren, doch über Nacht verschwand damals die riesige Kupferskulptur, deren Material von unschätzbarem Wert war. Sie tauchte alsbald, von Unbekannten eingeschmolzen, als Kupferdraht wieder auf und dieser wurde für die Oberleitung der wieder eingesetzten Koblenzer Straßenbahn verwendet – scherzhaft war deshalb vom „längsten Denkmal der Welt“ die Rede. Doch die Geschichte ging weiter: Die Vorlage war nämlich bombensicher eingelagert und einem neuen Guss des Denkmals stand eigentlich nichts im Wege – doch die Neuerrichtung war umstritten: 1953 bis 19990 diente der leere Sockel als „Mahnmal der Deutschen Einheit“ und als diese im Zuge der Wiedereinheit verwirklicht wurde, stand denn auch 1993 der Aufstellung der genauen Nachbildung der ursprünglichen Figurengruppe nichts mehr im Wege.
Viele weitere attraktive Programmpunkte erwarteten uns – meist wurden Besuchsprogramme Vormittags und Nachmittags in pünktlich bereit stehenden Luxusbussen angeboten: Eine Weinprobe beispielsweise in dem von Falstaff mit fünf Punkten prämiierten Weingut Georg Breuer im prominenten Weinstädtchen Rüdesheim, die wir dann in eigener Regie von einem Bummel durch die gemütlichen Weinlokale des Ortes (inclusive Schunkeln) weiterführten. Oder die „Filmische Führung“ in Wiesbaden – der renommierte Kurort war Drehort für viele bekannte Streifen der Nachkriegsjahre. Auch im wunderschönen Bernkastel gab es eine Weinverkostung, diesmal nicht im Weinkeller sondern mitten im Weinberg. Und den unbestrittenen landschaftlichen Höhepunkt bot, nach einem kurzen Waldspaziergang,m die Aussicht auf die großartige Saarschleife am Aussichtspunkt Cloef.
Fazit: Eine durch und durch gelungene Flußreise in einem komfortablen, neuen und schönen Schiff – mit einem faszinierenden und vielfältigen Besichtigungs- und Ausflugsprogramm, das in seiner Fülle fast konkurrenzlos ist.