Wir waren in der Ausstellung und wissen nun viel mehr. Vor allem auch, was es mit dem eigenartigen Titel der Ausstellung auf sich hat. Die Schau ist nämlich gegliedert wie eine Wohnung, wobei den Räumlichkeiten aber Städte zugegeben sind, die im Leben des 1887 geborenen Ernst Toch existentiell waren, gleichzeitig ist „Leben wie eine geographische Fuge“ aber sprachlich auch dem von ihm komponierten Stück von 1930 anverwandelt: „Fuge aus der Geographie, 3. Satz aus Gesprochene Musik o.op., ein rhythmischer Sprechgesang, mit dem er Berlin begeisterte. Es beginnt mit dem Schlafzimmer und gleichzeitig sind bei den Stationen von Zimmern und Städten auch Tageszeiten und Lebensdaten vereint! Da ist man doch überrascht, gleich in den intimeren Bereich als Beginn der Ausstellung einzutreten. Aber das hat einen tieferen Sinn. Denn die Untertitel sind Wien/Nacht, 1887-1909. Also imaginieren wir uns auch seine Geburt ins Schlafzimmer, denn es geht erst einmal um die elterliche Wohnung, in der er in der Leopoldstadt bürgerlich aufwuchs, wenngleich die Zirkusgasse, die für ihn eine wichtige Rolle spielt, nicht nur darauf verweist, daß im zweiten Bezirk der Pratr steht und es auch sonst viele Vergnügungsstätten gibt. Aber nahe der Zirkusgasse im 2. Bezirk, wo viele Juden, gerade auch sephardische Juden wohnten, stand die maurisch getönte Synagoge, der türkische Tempel, und das ist eine Korrespondenz zum darunter liegenden Stockwerk und der Ausstellung „Türken in Wien“, wo dieser Tempel eine wichtige Rolle spielt.
Für Ernst Toch nicht, denn das bekommen wir bald mit, die Religion war seine Sache nicht, und er hat eher widerstrebend sich später mit dem Judentum beschäftigt, wenn ihn schon die Nazis und damit die ganze Welt zum Juden machten, als der er sich nicht fühlte. Dieser Raum ist bestückt mit einem Bett, in dem eingelassen steht, „Mozart als heimlicher Lehrer“, was man entschlüsselt, denn wie andere Kinder Comics unter der Bettdecke gelesen haben, so studierte Toch heimlich im Bett seinen Mozart, dessen Taschenpartituren er sich schon mit zehn Jahren gekauft hatte. Die W.A.Mozart, Kritische Gesamtausgabe von 1877-1910, aus dem Besitz von Ernst Toch, sind mitausgestellt, wie auch eine Folge von Essgeschirr, über das man sich erst einmal im Schlafzimmer wundert, aber schnell den Faden der Ausstellung weiterspinnt, denn der hochmusikalische Knabe Ernst konnte mit allem, was Rhythmus erzeugt, Musik machen, seien es Gabeln, Messer oder andere Gerätschaften, die nur einen Klang gaben. Man sieht Fotos, auch die von seiner Hochzeit, dem Kriegseinsatz, Zeitungsausschnitte und Partituren und seine Lieblingslektüre. Der Zusammenhang vom Tode Johannes Brahms und dem seines Vaters liegt trotz der sieben auseinanderliegenden Jahre darin, daß es dem Vater das Herz brach, daß sein Sohn Komponist werden wollte und das väterliche Ledergeschäft nicht übernahm. Wie es auch geschah. Fortsetzung folgt.
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Ausstellung: bis 31. Oktober 2010
Katalog: Ernst Toch. Das Leben als geographische Fuge, hrsg. Von Werner Hanak-Lettner und Michael Haas, Jüdisches Museum der Stadt Wien 2010. Liest man den zweisprachigen Katalog, linkds das Englische, rechts auf Deutsch, dann will man anschließend gleich wieder in die Ausstellung hineingehen. Denn wie immer, übersieht man so manches, was einem beim Lesen auf einmal so interessiert, daß man die Originale sehen will. Erst recht die Musik hören. Das aber haben die Katalogmacher schon vorausgesehen und das einzig Vernünftige gemacht, was man bei einem Musiker tun sollte. Seine Hörbeispiele der Ausstellung sind auf der CD in elf Stücken mit über 76 Minuten Hörzeit wiedergegeben. Das erste beginnt 1930 „Fuge aus der Geographie“, aber die frühesten sind von 1926 und die letzten aus dem Jahr 1954. Nicht nur für Musikinteressierte sind Katalog und CD sinn- und hilfreich. Wir haben nur eine kurze Biographie von Ernst Toch vermisst, aber vielleicht war die versteckt? Entschädigt wird man auch ohne Katalog mit einer „Spielanleitung mit Objekten“, die jeder Museumsbesucher nehmen kann und in der die Ausstellungsräume hervorragend mit den Lebensdaten und den Objekten eine Einheit finden. Ein wirklich überdurchschnittlicher Ausstellungsführer!
Internet: ww.jmw.at
Reiseliteratur:
Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch
Tipp: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.
Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.
Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.
Essen und Trinken: Völlig zufällig gerieten wir im Februar 2010 nur kurz in die Eröffnung des NASCH im Hilton Plaza. NASCH heißt das neue Restaurant aus gutem Grund, denn es geht auch ums Naschen, man kann sich seine Vorlieben in kleinen Portionen, dafür vielfältig aussuchen, in der Art der spanischen Tapas. Das Entscheidende am neuen Restaurant im Hilton Plaza aber ist, daß die Grundlage die österreichische Küche ist. Man kann sich quasi durch Österreich durchessen. Wir werden das ein andermal tun und dann darüber berichten. Das haben wir immer noch vor!
Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, den Hilton-Hotels Wien und dem Wien Tourismus.