Prospero im Gehäuse – „The Tempest“ von Thomas Adès als deutsche Erstaufführung an der Frankfurter Oper

im Boot v.l.n.r Sungkon Kim (Sebastian), Simon Bailey (Gonzalo), Michael McCown (Antonio; stehend) und Richard Cox (Alonso) sowie Ensemble (im Schattenriss)

Es passiert also allerhand in diesen gut zwei Stunden, in denen Prosperos Schicksal sich ver- und entwirrt. Es ist Adrian Eröd von der Wiener Staatsoper, der mit philosophischem Bariton stimmlich und gestisch diesen Intellektuellen aus dem Zauberreich als ’Fels in der Brandung’ im Inselgeschehen darstellt. Ihm hat Boris Kudlicka einen Kubus auf die Bühne gebaut, der uns in allererster Linie an die Darstellungen von Hieronymus im Gehäuse erinnerte, mit dem vielen Papier – das mal in die Hand genommen die Handlung weiterspinnt oder dramatisch zerrissen den Handlungsfaden abschneidet – und dem Habitat der Gelehrtenstube als Denkzentrale. Die runden Öffnungen dieses Kubus lassen allerdings die Außenwelt derart ins Innere gelangen, daß kein Hortus Conclusus bestehen bleibt, sondern multifunktional auch eine Laterna Magica sichtbar wird, ein Brennspiegel für das Geschehen sozusagen auch.

Die Handlung? Die haben Librettistin und Komponist stark auf die Zweierkomponente des Stückes komprimiert. Denn immer geht es um zwei, die entweder miteinander gehen oder gegeneinanderstehen, wie Prospero, einst Herzog von Mailand und sein Bruder Antonio, der ihn entmachtet und mitsamt Tochter Miranda auf dem Meer aussetzt, so daß diese von Naturgeistern bewohnte Insel unter dem Trottel Caliban (als Wilder von Peter Marsh etwas eindimensional überzeichnet), die Prospero erreichte, von ihm als sein neues Reich okkupiert wurde. Seine Gedankenkraft läßt das an dieser Insel vorbeifahrende Schiff des Königs von Neapel, der vor zwölf Jahren die Machenschaften des Bruders Antonio unterstütze, stranden. Und wieder sind es zwei, die nun über die Insel irren: Alonso, der König von Neapel (Richard Cox) und sein Ratsherr Gonzalo (Simon Bailey), die sich an Land retten konnten, aber Sohn Ferdinand (Carsten Süß) tot glauben und seinen Leichnam suchen.

Dieser Königssohn aber wurde flugs von Prospero in Fesseln gelegt, die die entfesselte Miranda (Claudia Mahnke) löst, denn beide – wieder zwei – sind von der ersten Sekunde in Liebe verfallen und halten diese auch engumschlungen und wunderschön singend bei strapaziösen Versteckspielen durch. Fehlt am Personal noch das Zweiergespann der betrunkene Diener Stefano (Magnus Baldvinsson) und der Narr Rinculo (Christopher Robson), die durch die Oper in typisch britischem Humor torkeln, Albernheiten aushecken und uns vernachlässigbar schienen, hier aber große Auftritte haben. Den allergrößten aber hat die Domina des Geschehens, der Luftgeist Ariel (Cyndia Sieden), den Komponist und Regisseur schon vorher liebten und den die Zuschauer lieben lernten.

Unglaublich, welche schrillen, spitzen, unmelodischen, dann wieder surrenden Kantilenen Adès der Sängerin auf den Leib schrieb, die schon die Londoner Uraufführung 2004 gestaltete. Durch die Töne der Königin der Nacht verpflichtet, vom Geschehen her als Chefsekretärin agierend, doch eigentlich auch als Mary Poppins durch die Lüfte segelnd, hat der Komponist hier eine in jeder Hinsicht neue Rolle gestaltet, die Keith Warner und Cyndia Sieden zum Zentrum der Aufführung machen und als Weltgeist Auftragsarbeit mit eigenen Absichten verwirklichen läßt. Sie rettet die Schiffsbrüchigen auf die Insel, sie läßt mit der Stimme des Alonsobruders Sebastian eine Intrige los, sie verwirrt, wie sie entwirrt. Eine spannende Figur, eine irrwitzige Rolle, eine hinreißende Darstellung und eine völlig neuartige musikalische Figur. Seien wir ehrlich, wir finden vor allem deshalb, daß man sich außerhalb Frankfurts auf den Weg nach hierher machen sollte, wo man bis in den Februar hinein diesen Irrwisch erleben kann.

Aber auch insgesamt ist dies eine Aufführung, die in der Bundesrepublik Neuland ist. Der Komponist, dem bei der Uraufführung wie auch bei anderen Werken Ekklektizismus vorgeworfen wurde, nimmt tatsächlich vorhandene Mittel und etliche Anleihen bei Vorbild Benjamin Britten und strickt daraus eine musikalische Textur, die weder besonders neu, aber auch nicht besonders schiach ist. Insofern ist der Frankfurter Ansatz, mit einer phantasievollen Regie den eigentlichen Gehalt des Stückes, die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt, kurzweilig uns vorzuführen richtig und Teile im ersten und dem dritten Akt sind dabei perfekt gelungen. Ach ja, wäre alles perfekt, wäre vielleicht auch wiederum des Guten zuviel getan. So hat man eine Aufführung erlebt, über die viel nachzudenken ist und die als luftiges Etwas in Erinnerung bleibt, was bei der Gedankenschwere des Zauberers Prospero dann doch überrascht. „Ein Traum, ein Traum ist unser Leben auf Erden hier. Wie Schatten auf den Wogen schweben und schwinden wir und messen unsre trägen Tritte nach Raum und Zeit”¦“ sagte schon Johann Gottfried Herder. Daran hat sich auf der zeitgenössischen Opernbühne in Frankfurt wenig geändert.

P.S. Die Rolle des Chores, der das Geschehen kommentiert, stützt, in Frage stellt und dessen Personal sich immer als erdfarbene Gestalten außerhalb des weißen Kubus aufhalten, trägt seinen Teil an der Stabilität der Aufführung und entspricht noch am ehesten der seiner griechischen Vorgänger als Verdoppelung des Handlungsfadens, der auch anders hätte verlaufen können. Der Chor gibt so auch immer wieder Momente des Innehaltens und der Reflexion. Das Orchester der Frankfurter Oper gibt das musikalische Geschehen unter der Leitung von Johannes Debus ansprechend wieder und läßt den Sängern viel Raum, die im übrigen von Jorge Jara in Phantasiekostüme gesteckt wurden, die wie bei Prospero die Rolle stärkten, wenn diese seine Gedankenspiele von den Handlungsanweisungen dadurch schied, daß er seinen langen Gelehrtenmantel auszog oder anzog, auf jeden Fall mit ihm herumwedelte.

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Weitere Vorstellungen am 15., 17., 23., 29. Januar und 6. Februar 2010

Internet: www.oper-frankfurt.de

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