Osten ist jetzt Westen – Mehr Geld für Musiker: Seit dem 1. Januar gilt ein neuer Orchestertarifvertrag – aber nicht für alle

Nach fünfjährigen zähflüssigen Verhandlungen einigten sich die Gewerkschaft Deutsche Orchestervereinigung (DOV) und der Deutsche Bühnenverein als Arbeitgeberverband auf den neuen Tarifvertrag Kulturorchester, abgekürzt TVK. Hauptstreitpunkt war die automatische Anpassung der Löhne an die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst. Da der Tarifvertrag zum Teil gekündigt worden war, hatten die Musiker seit 2004 keine Gehaltserhöhung mehr erhalten. Mit gezielten Streiks, darunter vom Gewandhausorchester Leipzig und dem Württembergischen Staatsorchester Stuttgart, wurde die Anpassung schließlich durchgesetzt, aber die Gewerkschaft verzichtete auf die eigentlich berechtigte Erhöhung ihrer Gehälter für 2008 und 2009 – die Jahre, in denen laut Hans-Böckler-Stiftung die Gehälter im öffentlichen Dienst am stärksten gestiegen waren. Auch mit anderen Opfern wurde der neue TVK erkauft: Das Urlaubsgeld wurde gestrichen und das 13. Monatsgehalt von 82 auf 72 Prozent gekürzt. Geregelt ist nun die Anerkennung von Bildungsarbeit in den Schulen und die Betreuung von Jugendorchestern als Arbeitszeit. Um wieviel der Reallohn steigen wird, hat die DOV nicht errechnet.

Ausgenommen sind wieder einmal die drei Berliner Opernorchester und das Konzerthausorchester, weil der Berliner Senat den neuen Tarifvertrag für Berlin nicht übernommen hat. Trotz vager Versprechungen vom Kulturstaatssekretär André Schmitz bei der Protestkundgebung der Gewerkschaften vor dem Roten Rathaus am 5. November, in den Haushalt 2,4 Millionen Euro einstellen zu wollen, hat der Senat noch kein Verhandlungsmandat erteilt. Die 2,4 Millionen würden nach Schätzung der Gewerkschaft allerdings auch nur ausreichen, um die im Jahre 2004 nicht gewährten Tariferhöhungen des öffentlichen Dienstes nachzuholen.

Die Erhöhung des Tarifs kommt den 7500 Musikern direkt zugute, die in städtischen und landesfinanzierten Orchestern beschäftigt sind. Orchester mit Haustarifverträgen können indirekt gewinnen, wenn sie sich an den Flächentarif anpassen. Nichts davon haben Orchester wie die Berliner Symphoniker, denen die staatlichen Zuwendungen gestrichen wurden und die sich aus eigener Kraft über Wasser halten – jenseits der Tarife. Wenig Nutzen haben Orchester wie die Staatskapelle Halle, das einen »variablen Gehaltsverzicht« annahm, um angesichts der vom Stadtrat beschlossenen Stellenstreichungen den angeblich überzähligen Musikern wenigstens eine zeitweilige Beschäftigungsgarantie geben zu können.

Im Jahre 2008 hatten in Deutschland 9747 Orchestermusiker eine Festanstellung. Im Vergleich zum Vorjahr waren das 421 weniger, was der Stärke von vier bis fünf großen Orchestern entspricht Die Zahl der freischaffenden Musiker dürfte etwa noch einmal so groß wie die der angestellten sein – sehr gut ausgebildete, hochmotivierte Künstler, die keine feste Stelle finden. Sie werden von keiner Gewerkschaft vertreten.

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Der Artikel von Sigurd Schule wurde am 08.01.2010 in der jungen Welt erstveröffentlicht.

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