„Nur Pferdefreund sein reicht nicht“ – Christina Heß im WELTEXPRESS-Exklusivinterview

Christina während eines Wanderritts mit Paso Peruanos in Argentinien, 2018, BU und © Christina Heß

Saarbrücken, Deutschland (Weltexpress), Christina Heß saß mit 3 Jahren zum ersten Mal auf einem Pony, mit 5 Jahren hatte sie ihre erste Reitstunde auf einem Isländer und von da an war sie mit dem Pferdevirus infiziert.

Mittlerweile bezeichnet sie sich als ambitionierte Freizeitreiterin. Ihre Grundlage war die klassische Dressur, gelegt von verschiedenen Reitlehrern in mehr als 15 Jahren regelmäßigem Reitunterricht. In den letzten 10 Jahren hat Christina ihr Wissen auf diversen Kursen und Lehrgängen erweitert, von Natural Horsemanship über Gangpferdereiten bis Clickertraining und Yoga für Reiter. Die individuellen Bedürfnisse des Pferdes stehen für sie immer im Zentrum und gerade dafür schaut sie gerne über den Tellerrand der verschiedenen Reitweisen und Trainingsansätze.

Nur Gewalt und Leistungsdruck schließt sie für sich aus: „Das hat im Umgang mit Pferden für mich nichts verloren. Genauso wenig halte ich davon sein Pferd mit tausend Hilfsmitteln und Verschnürungen in eine Form zu zwingen. Die großen Dressurturniere kann ich mir kaum anschauen, bis auf wenige Ausnahmen ist das für mich keine gute Reiterei.“

Sie begreift den Umgang mit Pferden als lebenslangen Lernprozess.

Das Interview

Paschel: Liebe Christina, wir haben neben den Pferden mindestens zwei weitere Gemeinsamkeiten. Wir lieben Katzen und malen gern. Beruflich haben wir eine weitere Gemeinsamkeit. Wir betätigen uns pädagogisch und versuchen dabei nicht belehrend zu sein. Das fällt mir auf, wenn ich deine Youtube-Videos sehe, die du fleißig produzierst. Deine Zielgruppe sind überwiegend Mädchen. Liege ich da richtig?

Heß: Die Zielgruppe meiner YouTube-Videos sind definitiv jüngere Reiter/-innen. Jungs schließe ich da gar nicht aus, aber von denen gibt es einfach nicht so viele unter den Reitern. Das Alter hängt vor allem mit dem Medium zusammen, die Zuschauer auf YouTube sind grundsätzlich eher jünger. Wobei laut meiner YouTube-Statistik gut die Hälfte meiner Zuschauer über 35 Jahre alt ist. Das deckt sich auch mit der Leserschaft meines Blogs, den es schon lange vor dem YouTube-Kanal gab – hier lesen vor allem ältere Neu- und Wiedereinsteiger/-innen und Freizeitreiter/-innen mit.

Paschel: Als wir vor ca. 10 Jahren anfingen als Gruppe, über den Missbrauch der Pferde zu berichten, fiel uns kein Name ein. Wir nannten uns dann Pferdefreunde, obwohl uns bewusst war, dass der Begriff ziemlich abgedroschen ist, da sich wahnsinnig viele Pferdehalter als Pferdefreunde verstehen, die aus unserer Sicht das Gegenteil sind. Was soll der Begriff Herzenspferd aussagen?

Heß Das ist ein ganz lustiger Zufall, ich habe mal einen Blogbeitrag darüber geschrieben, warum es nicht reicht „nur“ Pferdefreund zu sein. Die Essenz dieses Artikels ist, dass wir „wissende“ Pferdefreunde werden müssen – gute Absichten alleine reichen nicht aus, wir müssen auch an uns arbeiten und lernen, Pferde zu verstehen und artgerecht zu behandeln und zu trainieren. Ich denke das ist wahrscheinlich auch ein Ziel eurer Gruppe!

Paschel: Mit Herzem: „Ja.“

Heß: Der Name „Herzenspferd“ hat erstmal einen ganz unromantischen Hintergrund: Als ich den Blog vor nun schon fast 6 Jahren gestartet habe, musste ich mir eine Domain suchen, die noch frei ist und im besten Falle etwas mit Pferden im Namen hat. Nach ein bisschen Überlegen fand ich dann Herzenspferd ganz passend und die Tagline „Der Blog für Reiter mit Herz“ war geboren. Außerdem hatte ich gleich eine Idee für das Logo und das Farbschema und so war es beschlossene Sache. Mittlerweile würde ich – vor dem Hintergrund, dass ich mehr Wissensbeiträge als „Ponyhofgeschichten“ schreibe – vermutlich eher einen anderen Namen wählen, aber nun ist Herzenspferd schon eine nicht unbekannte Marke, an der ich auch hänge.

Und ganz abgesehen von diesen ganzen rationalen Überlegungen, passt der Name schon auch zu meinen Inhalten, in denen es oft auch darum geht im Umgang mit dem Pferd auf sein Herz zu hören, wenn man ein ungutes Gefühl bei der Sache hat, und sich nicht zu etwas drängen zu lassen nach dem schrecklichen Motto: „jetzt hau dem Gaul mal eine, das haben wir schon immer so gemacht und das geht nicht anders“

Paschel: Der bekannte Pferdeflüsterer und Coach Heinz Welz, den ich mehrfach interviewt habe, sagt gern: „Wenn du zu uns kommst, bring dein Herz mit.“ Kannst du damit etwas anfangen?

Heß: Ob Herr Welz mit dem Satz nun das aussagen will, was ich darunter verstehe, kann ich nicht beurteilen, aber für mich ist das eine klare Sache: Wer sein Herz und seine Empathie im Umgang mit Pferden abschaltet, wird es schwer haben eine gute Partnerschaft aufzubauen (das gilt übrigens nicht nur für den Umgang mit Pferden).

Das Herdentier Pferd reagiert schon rein evolutionär bedingt so fein auf Stimmungen, dass einem da ein wichtiges Kommunikationsmittel verloren geht, wenn man nicht mit Empathie arbeitet.

Abgesehen davon ist es natürlich immer angeraten sein Herz nicht abzuschalten, wenn man mit einem Lebewesen zu tun hat, das einem so sehr ausgeliefert ist wie ein Pferd. Natürlich können sich Pferde wehren, aber am Ende sitzt der Mensch immer am längeren Hebel und Pferde leiden unter Umständen sehr lange sehr still.

Entspannen mit der Herde auf der Koppel in Island, 2018, BU und © Christina Heß

Paschel: Manchmal denke ich, dass ich mit Pferden mehr  Empathie habe als mit Menschen. Vielleicht ist das auch eine erlernte Berufskrankheit. Als Sportpädagoge habe ich 38 Jahre lang Lehramtsstudentinnen unterrichtet, also Erwachsene und war mir nie sicher, ob sie wirklich etwas von mir gelernt hatten oder primär die gute Note im Auge hatten. Mit Kindern hatte ich nur nebenberuflich als Fechtmeister zu tun und muss gestehen, besonders anstrengend fand ich immer pubertierende Mädchen. Beim Reiten habe ich deshalb nie unterrichtet, weil dort die pubertierenden Mädchen und Frauen in Überzahl sind. Wie ich dich einschätze, hast du da ein besseres Händchen. Warst du selbst mal so ein typisches Pferdemädchen?

Heß: Ich weiß was du meinst, muss aber sagen, dass man das nicht wirklich verallgemeinern kann.

Paschel: Verallgemeinern wollte ich jetzt nicht. Als Mann kann ich mich vielleicht nicht so gut in ein Mädchen hinein versetzen, das im Begriff ist, eine Frau zu werden, als beim Jungen in dieser Entwicklungsphase.

Heß Ja, die kleinen Jungs in meinen Anfängerstunden waren auf andere Arten anstrengend. (lacht)

Es ist halt grundsätzlich die Frage, was man unter typischem Pferdemädchen versteht: Wenn das heißen soll, dass alles pink sein musste, Ponys getüddelt und dramatische Kleinkriege mit anderen Mädchen geführt wurden, dann nein (wobei das schon sehr klischeehaft ist). Wenn es heißt viel Zeit am Stall zu verbringen, schon stolz und glücklich zu sein, wenn man auch nur mal ein Pferd alleine putzen und rumführen durfte, viel Quatsch mit den Pferden zu machen (Kunststückchen, ohne Sattel über die Koppel und Co.) und natürlich Ponys zu betüddeln, dann ja. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich nie an einem typischen Vereinsstall mit vielen jungen Mädchen war, sondern hauptsächlich an kleineren Privatställen. Mit 7 oder 8 Jahren bin ich mit meinem Vater und einer Gruppe anderer Reiter vom Stall mehrere Tage durch die französischen Vogesen geritten (zum Schrecken meiner Mutter) – das war dann mein Abenteuer-Pferdemädchentraum.

Christina auf ihrem ersten Wanderritt, 1995. © BU: Christina Heß

Paschel: Da hattest du anscheinend Glück mit deinen Eltern und brauchtest nicht den Trotz zu deiner Abgrenzung. Auf der anderen Seite sollte jeder Pädagoge, Eltern wie Lehrer, die Fähigkeit zur Selbstkritik haben. Du bist zwar aus meiner heutigen Sicht noch sehr jung mit 30 Jahren, aber ich könnte mir vorstellen, dass du dank deiner Kritikfähigkeit in deinem Leben schon einige Veränderungen erlebt hast.

Heß: Ja klar! Man lernt ja glücklicherweise nie aus und ich denke gerade wenn man anfängt, muss man erst mal darauf vertrauen, dass einem sein/e Lehrer/in keinen Quatsch erzählt. Erst mit steigendem Wissen und auch selbständigem Lernen kann man dann anfangen Dinge zu hinterfragen.

Paschel: Wissen haben auch Fachidioten, aber selbstständiges Lernen kann ich voll unterstreichen, wenn es um Autonomie und Kritikfähigkeit geht.

Heß: Fundiertes Wissen, dass man sich selbstständig aneignet, wäre präziser ausgedrückt.

Ich finde es völlig normal, dass man viele Fehler macht und bin auch nicht auf alles stolz, was ich in meinem Reiterleben gemacht habe, wobei ich mit meinen Lehrern und Ställen generell Glück hatte.

Paschel: Wie mir scheint, hast du ein sehr positives Selbstbild und gutes Selbstwertgefühl?

Heß: Ach, ich denke mir geht es da wie den meisten Menschen: Manchmal ist man ganz zufrieden mit sich und manchmal nicht (lacht). Ich habe aber in den letzten Jahren mehr und mehr meinen Frieden damit gemacht, dass ich nicht perfekt bin – und das auch gar nicht sein muss. Selbstreflektion und Weiterentwicklung reichen völlig aus. Bezogen auf den Umgang mit Pferden finde ich in dem Zusammenhang wichtig, dass man eben zu jedem Zeitpunkt sein bestmögliches gibt, um sich nach bestem Wissen und Gewissen um sein Pferd zu kümmern und sich weiterzuentwickeln. Mehr kann man ja nicht machen.

Und der entscheidende Schritt ist dann – wenn man lernt, dass man möglicherweise etwas falsch gemacht hat – sich den Fehler auch eingestehen zu können und sein Vorgehen zu ändern. Klar fühlt es sich im ersten Moment echt mies an, wenn man erkennt, dass man seinem Pferd vielleicht sogar geschadet hat, aber es hilft ja nichts, an den alten Fehlern festzuhalten, nur weil man sich dem nicht stellen will.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass das Eingestehen von Fehlern so verpönt ist in der Reiterwelt und häufig sehr harsch über Andere geurteilt wird. Da wird ein Anspruch auf Perfektionismus geschaffen, der so von niemandem zu leisten ist und am Ende bei vielen Reitschülern dazu führt, dass sie sich nicht mal mehr trauen in der Reitstunde eine Frage zu stellen, aus Angst vor den Reaktionen der Anderen. Ich finde das sehr traurig und bin der Meinung, dass wir da dringend an einem toleranteren und respektvolleren Umgang miteinander arbeiten müssen. Niemand ist perfekt – und niemand wird besser, indem er andere klein macht.

Paschel: Ich finde, dass in der Reiterwelt sehr viel Scheinwissen verbreitet wird. Symptomatisch dafür ist auch die Fachsprache der selbsternannten Horsemen (Menschen, die sich angeblich mit Pferden auskennen), die sich hinter Schlagworten verstecken, mit Definitionen aus sogenannten Lehrbüchern glänzen und bisweilen mit der Aussensicht von Bewegungsbeschreibungen den Anschein von Wissenschaftlichkeit erzeugen wollen. ein typisches Beispiel ist der Begriff Schwerpunkt, der oft in die Diskussion geworfen wird, obwohl die meisten Reiter garnicht wissen, was er physikalisch bedeutet.

Heß: Schwarze Schafe gibt es ja in jeder Reit- und Ausbildungsweise.

Paschel: Du dagegen versuchst, nicht mit der Aussensicht sondern der Innensicht Bewegungen bewusst zu machen. Dabei geht es dir um die Entwicklung von Bewegungsgefühl. Yoga z. B. ist dabei ein sehr gutes Mittel. Ich selbst habe über Tai Chi und z. T. auch Feldenkrais ähnliche Erfahrungen gemacht, z. B. der Kraft des Gegners nicht mit mehr Kraft zu antworten, sondern sie zu nutzen und umzulenken. Beim Reiten sehe ich sehr oft, dass Reiter mit ihrem Pferd typisch „europäisch“ kämpfen, was dann eskaliert und immer mehr Gewalt erzeugt von beiden Seiten. Wie Dressur auch ohne Kraft geht, zeigt für mich überzeugend z. B. Alizee Froment .

Heß: Naja, ich kann ja fast nur über die Innensicht lernen, weil ich mich außer bei Videoanalysen nicht selbst auf dem Pferd sehe.

Paschel: Lernen durch Vorstellung und Lernen durch Beobachten sind Methoden, die im heutigen Reitunterricht selten vorkommen, obwohl Kinder so am besten lernen. In vielen Sportarten und im Reiten besteht nach wie vor eine monodirektionale Lehrer-Schüler-Beziehung. Der Lehrer als „Spezialist von Bewegungen“ will und soll dem Schüler die korrekte Bewegung vermitteln. Das ist leider auch die Erwartungshaltung der meisten Reitschüler, die hoffen, auf diese Art schnell und effektiv Reiten zu lernen. Ein Schüler, der eigene Lösungen für Bewegungsprobleme findet, ist sogar unerwünscht.

Heß: Ja klar, wenn man ein gutes Vorbild am Stall hat, zuschauen und vielleicht auch Fragen stellen kann, hilft das natürlich auch!

Die Innensicht und mein Gefühl habe ich aber immer dabei, deshalb finde ich es so wichtig zu lernen und auch auszuprobieren, wie sich etwas (richtig und falsch) anfühlt. Das ist auch ein großer Schwerpunkt meiner aktuellen Reit- und Yogalehrerin Hlín Mainka Jóhannesdóttir, die sehr viel Wert auf die Verbindung von Körper und mentaler Ebene des Reiters und Körper und mentaler Ebene des Pferdes legt. Diese Aspekte beeinflussen sich gegenseitig enorm und gerade über die Yogapraxis bekommt man nochmal ein ganz anderes Körpergefühl – und kann sich dann auch besser in das Pferd und seine Bewegungen einfühlen.

Paschel: Da stimme ich dir vollkommen zu auf der Grundlage meiner Erfahrungen in Formen der asiatischen Bewegungs- und Kampfkultur.

Heß: Ergänzend zum Thema Kampf: Der von dir beschriebene Eindruck des Kampfes mit dem Pferd entsteht, wenn dieses Reiter-Pferd-Körper-Mental-System aus der Balance gerät. Wenn ich zum Beispiel Angst habe und verkrampft sitze, störe ich den Bewegungsfluss meines Pferdes (zusätzlich dazu, dass es meine Angst ziemlich sicher auch spürt). Und wenn ich dann aber trotzdem beispielsweise eine schnellere Gangart durchsetzen will, geht das oft nur recht unharmonisch. Mal abgesehen davon, was unsere Emotionen (Angst, Wut, Frust, Ungeduld, Ehrgeiz – alles Dinge, die glaube ich jeder Reiter schon im Sattel gespürt hat und die sich definitiv negativ auswirken) in uns und unseren Pferden auslösen – geistig und körperlich – führt natürlich immer auch ein Mangel an Wissen zu unharmonischem Reiten. Wenn ich nicht weiß, wie ich zum richtigen Zeitpunkt treibe um mein Pferd in seinen biomechanischen Abläufen zu unterstützen, dann wird das nie so leicht und locker aussehen, wie wenn die beiden Körper im Einklang sind.

Da gehört natürlich auf viel Erfahrung und viel Übung dazu. Um Hlín zu zitieren: „Wenn wir ein guter Reiter sein wollen, brauchen wir 200 Jahre. Das klingt zwar nach einer riesigen Aufgabe, aber es bedeutet auch, dass wir genug Zeit haben um ohne Stress zu lernen.“

Paschel: Das ist ein gutes Schlusswort. Nach 4000 Jahren Tradition brauchen wir vielleicht auch noch 200 Jahre Überzeugungsarbeit, dass das Pferd kein Sportgerät ist und als Kriegs- oder Arbeitsmaschine ausgedient hat.

Vielen Dank für Dein Engagement im Interesse der jungen Reiterinnen und der Pferde

Weiterführende Informationen: https://herzenspferd.de

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