Berlin, Deutschland (Weltexpress). Hamed Abdel-Samad schreibt in „Achgut“ (17.04.2016) zum „merkwürdigen Wahlverhalten der Deutschtürken“, wie Hasnain Kazim in Spiegel-Online (17.06.2017) titelt: „Nur 36 Prozent der Deutschtürken sind gegen das Ermächtigungsgesetz von Erdogan. Wenn man weiß, dass 25 Prozent der hier lebenden Türken eigentlich Kurden/Aleviten sind, die so ein Gesetz aus existentiellen Gründen ablehnen, und weitere christliche Assyrer und Aramäer, die auch gegen diese Verfassungsänderung sind, dann liegt die Zustimmungsquote für die Einführung der Diktatur bei den muslimischen nichtkurdischen Türken schon bei über 90 Prozent.“
Mit dieser Annahme kommt Abdel-Samad zu dem Schluss, dass „die Türken in Deutschland gar nicht gespalten“ seien, „sondern … geschlossen hinter dem Islamismus, dem Chauvinismus und der Todesstrafe“ stünden.
Ob Türken oder Deutschtürken, was spielt das für eine Rolle? Richtig, keine. Diese Muselmanen oder Möchte-gern-in-Deutschland-Lebende sind mehr oder minder Todfeinde der Freiheit. Sie sind erbitterte Feinde der offenen Gesellschaft und müssen als solche behandelt werden.
Doch in Deutschland wird wie so oft wenig passieren. Auf keinen Fall wird bis zur Bundestagswahl Wesentliches geschehen. In der Berliner Republik wird vor allem geredet und geschrieben, alternativ gerne auch geschweigen.
Dafür stehen die Zeichen in der Türkei auf rasche und richtungsweisende Veränderungen. Maximilian Popp notiert in „Spiegel-Online (17.04.2017): „Drei der 18 neuen Verfassungsartikel treten unmittelbar in Kraft: So wird im Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK), dem obersten Kontrollorgan der Justiz, die Zahl der Mitglieder von 23 auf 13 reduziert, vier davon kann Erdogan direkt ernennen. Zwei Militärrichter werden aus dem Verfassungsgericht verbannt. Der Präsident wird zudem vom Gebot zu parteipolitischer Neutralität entbunden.“ Anders gesagt: Der Präsident darf wieder einer Partei angehören. Beispielsweise der AKP.
Dass die Partei des Präsidenten auch über eine Mehrheit im Parlament verfügen wird, das dürfte höchst wahrscheinlich sein, denn Parlament und Präsident werden demnächst am gleichen Tag für fünf Jahren gewählt. Motzt und meckert die Mehrheit im Parlament nicht nur sondern muckt auf, leistet also Widerstand, dann darf der Präsident das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen wann immer er will. Herrlich herrschaftlich und nach Gutsherrenart. Das ist reine Willkür nach eigenen statt Rücksichtnahme auf allgemeine Regeln und Anschauungen anderer. Wenn die Gewalten nicht mehr getrennt sind und die Fäden in einer Hand zusammenlaufen, dann ist das der Ausnahmezustand in permanenter Penetranz.
Ausnahmezustand? Das war doch was? Richtig, der herrscht doch schon. Und vermutlich wird in der Türkei weiter im Ausnahmezustand und also am Parlament vorbei regiert. Der Ausnahmezustand wurde am 15. Juli 2016 nach dem mutmaßlichen Putsch verhängt und bereits zwei Mal verlänger. Parlamentarismus kann man das, was in er Türkei gespielt wird, wahrlich nicht nennen. Erdogan regiert seit letztem Sommer per Dekret.
Seit Jahren schon sind gewerkschaftlicher Freiheiten wir sie in Deutschland und Österreich gang und gäbe sind, eingeschränkt. Eingeschränkt werden auch die Medien durch die Rundfunkzensurbehörde. Zeitungen und Zeitschriften wurden verboten, Verlage und Redaktionen gleichgeschaltet. Darüber hinaus sitzen Dutzende Journalisten in türkischen Gefängnissen. In den kurdischen Teilen der Türkei findet zudem ein Kolonialkrieg statt. Wer dort protestiert oder – schlimmer noch – Widerstand leistet, der gilt als Terrorist. Vor allem im Hinblick auf diese Terroristen genannten Freiheitskämpfer stellte Erdogan nach dem gestrigen Sieg im Referendum für ein Regierungssystem ohne Gewaltenteilung unter dem Jubel seiner Anhänger in Istanbul erneut die Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht. Die stünde laut Erdogan jetzt auf der Tagesordnung.
Nick Brauns schreibt vor dem scheinbaren Volksvotum in der Türkei in „Junge Welt (15.04.2017) unter dem Titel „Regime der Restauration“ zum Thema: „Doch über Erdogans persönliche Ambitionen hinaus geht es um die institutionelle Zementierung der Machtverhältnisse zugunsten des religiösen Konservativismus sowie die Festigung des derzeitigen kapitalistischen Verwertungssystems. Die AKP versucht sich so in der strukturellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise mit Erdogan als bonapartistischem Herrscher über den widerstreitenden Fraktionen im Staatsapparat als Vertretung der gesamten türkischen Kapitalistenklasse zu etablieren.“
Das alles und noch viel mehr sind Merkmale, welche die Türkei schon einmal aufwies: unter Atatürk. Doch dieses Mal ist das kein autoritäres Modernisierungsregime in Anatolien, dieses Mal ist das ein sultanisch erscheinendes aber im Wesentlichen theokratisch-autoritäre Regime mit der Tendenz zum Totalitarismus.
Dass die 90 Prozent der Türken hier und heute davon einerseits wenig wissen und andererseits nichts wahrhaben wollen, das sollte Deutsche nicht wundern. Diese Türken in Deutschland stehen unter der Mondstern-Fahne. Ihr Verstand steckt in der Trompete.