Diesmal geht es also um die Biographien selbst, die bei Miriam Gebhardt „Rudolf Steiner. Ein moderner Prophet“ heißt und bei DVA erschienen ist. Heiner Ullrich nennt die seine „Rudolf Steiner. Leben und Lehre“, herausgekommen bei C.H. Beck und Helmut Zander titelt „Rudolf Steiner. Die Biographie“, was einen gewissen Absolutheitsanspruch ausdrückt, der sicher auf Kappe des Verlages geht, der hier Piper ist. Sagen wir es kurz: Wer bisher Rudolf Steiner wenig kennt, dem nutzen die Aussagen von Miriam Gebhardt am meisten. Wer sich wirklich stärker in die Inhalte und Auswirkungen Steinersche Lehre vertiefen will, der ist bei Helmut Zander hervorragend aufgehoben. Wer allerdings von den Waldorfschulen kommend die Pädagogik dieser und die pädagogisch-gesellschaftlichen Intentionen Steiners genauer kennenlernen will, für den ist Ansprechpartner Heiner Ullrich.
Was alle drei als Ausgangspunkt nehmen, ist die gesellschaftliche Situation um 1900, von uns als Lebensreformbewegungen charakterisiert, von der als Person und als Lehre nur Rudolf Steiner gewichtig übrig geblieben ist. Einzelreformer wie Maria Montessori, die für die frühkindliche Erziehung noch heute Gültiges formuliert, haben sich jeweils auf ein Gebiet festgelegt, Rudolf Steiner aber hat nach und nach tatsächlich das ganze Leben in eine Form gegossen, die heute Anthroposophie heißt, die in den Biographien jeweils die gewichtigste Rolle spielt, wobei die Theorie unterschiedlich gewichtet wird, der Praxis aber eine hohe Gültigkeit attestiert wird.
Miriam Gebhardt stellt für Steiner, ohne die Psychoanalyse zu bemühen, dennoch eine eigenartige Wechselbeziehung seiner Physis zu seinem Geist fest. „Aufgewachsen am Schienenstrang der österreichischen Südbahn, der Vater ein k.u.k. Bahnbeamter, verbrachte Steiner ein ganzes Leben auf der Durchreise. Sechs Vorträge in drei Städten an drei Tagen, das war ein typisches Pensum in seinem Prophetenleben. Nie richtete er sich irgendwo ein oder gründete gar einen bürgerlichen Hausstand“ (9) Ähnlich verlief sein geistig seelischer Aufbruch bis hoch in seine Dreißiger: Mathematik, Realschullehrer, Philosophie, Hauslehrer, Goetheforscher, akademische Laufbahn, Lehrer an Liebknechts Arbeiterbildungsschule, alles fing er an und ging dann weiter, bis er die Anthroposophie fand und sie ihn. Er starb mit 64 Jahren 1924, hatte also nur rund 25 Jahre, um aus der Theosophie die Anthroposophie (1913) zu formen und „eine Kosmologie, eine Christologie, eine Meditationsschule, eine anthroposophische Medizin, die Eurythmie, die biodynamische Landwirtschaft und – nicht zuletzt – die Waldorfpädagogik“ (10) zu formulieren.
Sieht man dies Arbeits- und Erfindungspensum kann man mit den Folgerungen übereinstimmen, die die Verfasserin zieht. Steiner habe mit feinem Gespür für die Sorgen seiner Mitmenschen, Strömungen der Zeit in ihren Reformansätzen aufgegriffen und daraus ein „Sinnfindungsprogramm“ für das Bürgertun gegossen. Tatsächlich kann man von heute her die Modernität Steiners sehr viel eher erkennen und auch akzeptieren, als es sowohl in der NS-Zeit, aber auch im Wirtschaftswunderland Deutschland der Fall gewesen war. Liest man die Schriften, wird auch klar, welch geringe Rolle der nationale Aspekt spielt, denn vom Ansatz her ist jede geistige Bewegung transnational, geht alle an, was wir heute mit dem Begriff des Globalen kennzeichnen.
Für Heiner Ullrich beginnt das Rätsel Steiner mit der Diskrepanz zwischen seiner eminenten erziehungs- und lebensreformerischen Wirkung und ihrer mangelnden Beachtung in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Diese Diskrepanz ergab sich auch in der Bewertung seiner Person durch seine enthusiastische Anhängerschaft einerseits und eine auf ihn eher spöttisch reagierende Öffentlichkeit. Unermüdlich hatte Steiner seine Programme formuliert. Die fällige Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe ist auf etwa 400 Bände konzipiert! Als Hindernis für die unterbliebene wissenschaftliche Beschäftigung sieht Ullrich die Tatsache an, daß sich seine Lehre auf Vortragsbasis (6000 sind bekannt) weiterentwickelt habe, von denen es nur Mitschriften gäbe und der ihm eigene Sprachgebrauch Vorbehalte erzeugt habe, infolge seiner„fremdartig-esoterisch anmutenden, eher bildhaften als begrifflichen Terminologie, mit der er sich auf die ’übersinnlichen Wesenheiten` bezieht, die für sein umfassendes Verständnis des Menschen grundlegend sind.“ (10)
Ullrich ist derjenige, der straff den Lebensweg Steiners mit dem Schwerpunkt der seelisch-geistigen Entwicklung auf knapp hundert Seiten beschreibt und dann dessen außerpädagogische Lehre auf wiederum hundert Seiten sehr übersichtlich gliedert, eindeutig aber die Waldorfpädagogik als den größten Erfolg bezeichnet und ihre Leitlinien, den Walddorfkindergarten, die anthroposophische Heilpädagogik nicht nur beschreibt, sondern analysiert. Fortsetzung folgt.
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Info:
www.medienstelle-anthroposphie.de
Miriam Gebhardt, Rudolf Steiner. Ein moderner Prophet, DVA 2011
Heiner Ullrich, Rudolf Steiner. Leben und Lehre, C.H. Beck 2010
Helmut Zander, Rudolf Steiner. Die Biographie, Piper 2011