Der Ostberliner, einst Mitglied der DDR-Nationalmannschaft, war von 1996 bis 2002 Nachwuchs-Bundestrainer und übernahm danach den Posten des Auswahl-Cheftrainers.
Hier in Kienbaum wirkt alles sehr relaxt und harmonisch. Von einem WM-Vorstartfieber ist nichts zu spüren?
Andreas Hirsch: Die Anspannung ist schon da. Denn die WM sind acht Monate vor den olympischen Wettbewerben in London eine wichtige Bestandsaufnahme. Doch heute ist Medientag. Da wird nur ein leichtes Basistraining absolviert.
Warum die frühe Anreise nach Japan?
Andreas Hirsch: So könne sich unsere Sportler gut akklimatisieren, lernen die Geräte, die ja immer etwas anders als zuhause sind, und Räumlichkeiten inklusive Hotel kennen. Beste Voraussetzungen, um fit zu sein für das nervige Podiumsturnen und die zweitägigen Qualifikationen, in denen die Kampfrichter ihre Bewertungsmaßstäbe abstimmen.
Ihre Mannschaft geht als WM-Dritter von Rotterdam 2009, mit dem Mehrkampf-WM-Zweiten Philipp Boy und Einzelgeräte-Medaillengewinnern in den Wettkampf. Wie sind da die Prioritäten verteilt?
Andreas Hirsch: Eindeutig das Hauptziel ist die direkte Mannschafts-Qualifikation für Olympia. Die wäre mit mindestens Platz acht erfüllt. Der Mannschaftskampf ist auch für mich die stärkste nervliche Belastung.
Aber für den WM-Dritten doch eigentlich kein Grund zur Nervosität?
Andreas Hirsch: Der Wettkampf beginnt bei null. Da zählt nicht, was vorher war. Und gerade im Mannschaftswettbewerb kann soviel passieren, ein, zwei Patzer und schon sieht es brenzlig aus. Außerdem ist die Konkurrenz kurz vor Olympia immer stärker als sonst. Zudem ist unser Aufgebot nach der Achillessehnen-OP von Fabian Hambüchen und der leistungsbedingten Nichtnominierung von Boden-Europameister Matthais Fahrig vielleicht nicht optimal formiert. Alles in allem sind wir jedoch zuversichtlich, an die Erfolge der letzten Jahre anknüpfen zu können.
Wie ist denn Situation beim früheren Reck-Weltmeister und Vorzeige-Turner Fabian Hambüchen nach der OP zu Anfang des Jahres?
Andreas Hirsch: Wie es momentan aussieht, kann er der Mannschaft bis auf Boden und Sprung helfen. Er hat sich großartig herangekämpft und hat medaillenreife Übungen an Reck oder Barren, wird aber auf Rücksicht auf die Achillessehnen den Mehrkampf wohl nicht bestreiten können. (Nach letzten Informationen aus Japan kann Hambüchen doch im Mehrkampf
dabei sein,d.A.)
Hambüchen kontra Boy, das war kurzzeitig nach gegenseitigen Verbalattacken in den Medien ein Stoff für einen Zickenkrieg. Wie haben Sie die beiden wieder zusammengeführt?
Andreas Hirsch: Durch mehrere Gespräche und den Hinweis, dass jeder seine persönlichen Ziele nur erreichen kann, wenn in der Mannschaft jeder für den anderen kämpft. Bereit ist, im Team jedem gegenüber den nötigen Respekt zu erweisen. Gegenüber den Kollegen, den Ärzten, Trainern, Physiotherapeuten. Nicht der Einzelne ist der Star, sondern die Mannschaft. Ich denke, dass dies alle akzeptiert und verinnerlicht haben.
Sie fordern den Mannschaftsgeist und sagen, der Mehrkampf ist die Grundlage aller Erfolge. Warum?
Andreas Hirsch: Weil es nicht anders geht. Sportlich lautet unsere Ausbildungsstrategie Grundlage ist der Mehrkampf. Daraus leiten sich Erfolge mit der Mannschaft, im Mehrkampf sowie an den Einzelgeräten ab. Andere Länder, vor allem kleinerer Verbänden, orientieren sich auf Gerätespezialisten.
Welche Rolle spielt die Turn-Bundesliga in Ihrem Ausbildungskonzept?
Andreas Hirsch: Zur Entwicklung von Spitzenleistungen taugt sie nicht. Denn da wird im Duell-Modus an den Geräten vor allem taktisch geturnt. Keine Fehler machen, nur den Gegner besiegen. Auch wenn viele Gaststarter aus dem Ausland dabei sind, können unsere Auswahlturner da für 30 Stunden Wochentraining finanziell zumindest ein kleines Äquivalent erhalten.