Männer unter sich – Berlinale Wettbewerb: Alexej Popogrebski läßt den Sommer im Arktischen Meer enden in „KAK YA PROVEL ETIM LETOM“

Grigory Dobrygin und Sergei Puskepalis

Die beiden sind dort, weil der eine, Sergej (Sergej Puskepalis), der seit mehreren Jahren als Meteorologe alleine die Forschungsstation führte und alle vier Stunden die Daten erhob über Feuchtigkeit, Niederschläge, Temperaturen etc. und zur Wettervorhersage und Wetterbeobachtung ans Festland weitergab, weil Sergej entlastet werden sollte durch den Hochschulabsolventen Pavel (Grigori Dobrygin), der nun in einer Art Praktikum die Untersuchungen durchführt. Eine Laborsituation. Zwei Menschen auf engem Grund, der eine der Erfahrene und durch das Leben Gestählte, der sich durch den Grünschnabel leicht provoziert fühlt. Der andere, guten Willens, aber durch die extremen Lebensbedingungen auf diesem Eiland überfordert. So geht das eine Weile mit gegenseitigem Konkurrenzverhalten, bleibt aber unter dem Deckel. Wir achten nicht so sehr auf die genaue Entwicklung, denn die Landschaftsaufnahmen sind so grandios, daß wir im Film in eine meditative Stimmung verfallen.

Das ändert sich, weil sich im Leben der beiden etwas ändert. Aus der einseitigen Rolle des Älteren und Besserwissenden, die Sergej deutlich ausspielt, wird derjenige, dem etwas Schlimmes widerfährt, der unwissentlich Vernichtete, denn Pavel fängt den Funkspruch auf, daß Sergejs Frau und Sohn verunglückt und tot seien, als dieser raus aufs Wasser zum Fischfang gefahren ist. Warum nun Pavel nicht in der Lage ist, dem militanten und auch groben Sergej die Wahrheit zu sagen, ist schwer auszumachen, aus Feingefühl ja eher nicht, aus Angst? Punktum. Er sagt nichts, verhält sich aber merkwürdig. Sergej spürt eine Veränderung, erlebt auch, daß Pavel nachläßt beim Überwachen und Aufschreiben der Daten, bzw. hat davor derartige Angst, daß er ihn heftig kontrolliert und mies behandelt. Daraus wird eine Spirale gegenseitiger Aggressionen, die sich steigert bis zum aufeinander Schießen.

Eindeutig ist dabei Sergej der Kraftvollere, in sich Ruhende, den Pavel als Gefahr für sich sieht, so daß auf dieser kleinen Insel kafkaeske Verfolgungssituation entstehen. Pavel kann seiner Angst vor Sergej nur entgehen, indem er versucht, ihn zu vergiften. Der Höhepunkt in der Beziehung der beiden. Eigentlich sollte die Qual ein Ende haben und ein Schiff kommen, von dem sich Pavel auch erhofft, daß die Mannschaft die Todesnachricht der Angehörigen Sergej überbringt. Das Schiff aber fällt in diesem Jahr aus. Und erst als sie per Luft abgeholt werden, Sergej durch die Todesbotschaft am Boden zerstört ist und es auseinandergeht, können beide in einer Umarmung sich versichern, daß das Leben zwar hart ist und Männer auch, daß aber im gegenseitigen Belauern und Bekämpfen nun ein Punkt der Übereinstimmung und des Miteinander gekommen ist. Spät, nicht zu spät. Ein versöhnliches Ende.

Das Drehbuch hatte der Regisseur geschrieben und sich dabei auf wahre Begebenheiten gestützt, die ein Polarforscher 1912 als Tagebucheinträge notiert hatte, als er den russischen Polarforscher Georg J Sedov bei dessen tödlicher Nordpolfahrt begleitete. Diese Tagebücher las Alexej Popogrebski mit 14 Jahren. Daß sich zwei Menschen, zwei Männer so verhalten, die in unendlichen Weiten, bei Eis und Schnee und Frost und Unwetter aufeinandergeworfen sind, das versteht man schon. Aber die Motivation, daraus einen zweistündigen Film zu machen, den Zuschauer auch sehen wollen, kann nur durch die Landschaftsbedingungen aufgehen, die sich zudem traumhaft fotografieren lassen, was die Kamera tut. Die Stille des Wassers spürt man förmlich auf der Haut und die Art und Weise, wie hier die Natur Farbbänder übereinander errichtet, hat schon um 1900 Ferdinand Hodler dargestellt, ohne daß er je in der Arktis war. Ihm langte der Genfer See.

Der Regisseur betonte anschließend: „Ich wollte das schon immer drehen, aber ich wußte, das kann nicht der erste Film sein, den ich mache. Seit 2006 habe ich dann mit einem Forscher gesprochen, der das Nordpolargebiet gut kennt und den idealen Ort gefunden, der mich an den Film Solaris erinnerte, ganz rechts und ganz oben ist unser Ort auf der Landkarte.“ 1927 sei diese meteorologische Station aufgebaut worden und die Stelle, wo Pavel sich versteckt, ist seit 1981 aufgelassen. Es gab keine Landeplätze, einfach nichts. Für die kleine Mannschaft, die dort den Film machte, gelte: „Das Mysterium des Ortes ist Teil des Films. Eine unglaubliche Zeit und eine tiefe Erinnerung für uns alle, die in den Knochen steckt.“

Originaltitel: KAK YA PROVEL ETIM LETOM

Englischer Titel: How I Ended This Summer

Land/Jahr: Rußland 2010

Regie: Alexej Popogrebski

Darsteller: Grigori Dobrygin, Sergej Puskepalis

Bewertung: * * * *

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