Letzten Endes ist diese Publikumsbegeisterung darauf zurückzuführen, daß Loriot all das deutlich, aber auf humorvolle Weise anspricht, was das Leben der Menschen kompliziert, ja sogar traurig macht, wenn man es nicht positiv bewältigt: die Kommunikation zwischen Menschen in unserer Gesellschaft, bevorzugt die zwischen Männern und Frauen, die einfach nicht zusammenpassen wollen, aber auch das Verhältnis von Mensch und Tier und darüberhinaus, die Partizipation an den Künsten, sei es und bevorzugt Musik, Literatur oder Malerei, die den Menschen erst zum Menschen einer Hochkultur macht. Wie man Mißverständnisse systematisch in Gang setzen kann, oder welches Verhalten dafür sorgt, daß, wenn sie unabsichtlich passieren, man aus ihnen nie wieder herauskommt, das zeigt dieser begnadete Künstler in Wort und Bild gleichermaßen.
Und genau dies, seine Doppelbegabung, ja Vielfachbegabung, bewundert man in der Ausstellung als erstes. Es gibt gute Zeichner auch anderswo, aber hier sind auch Gedichte zu lesen und Kurzgeschichten ebenso, und dann fotografiert der Mann auch noch, alles in Bonn zu sehen. Der Höhepunkt aber ist seine Verwandlungskunst und obwohl wir uns an die Filme und viele Fernsehsketche erinnern, staunen wir dann doch über die Vielfältigkeit seiner Charaktere, in die er innerlich und äußerlich schlüpft und zwar derart, daß man den Westernhelden auf der dritten Katalogseite, der auch in der Ausstellung hängt, nie und nimmer als Vicco von Bülow wiedererkannt hätte. So sehr Loriot Loriot bleibt in der Ausrichtung seines Witzes und der sanften Subversion, so total wandlungsfähig ist er als Person, wenn es um die äußere Maske geht genauso wie die gespielten Verhaltensweisen und selbst seine Stimme, diese angenehme unverwechselbare, kann sich dann in Metall oder ein Reibeisen verwandeln. Und allein sein Auftritt als Moderator in Panorama im Jahr 1972 , wo er Peter Merseburger so täuschen nachahmte, daß selbst dieser an Halluzinationen glaubte – allerdings ging es im Gespräch dann nicht um Waffenproduktion, sondern die Herstellung von Marzipankartoffeln – wird man nie wieder vergessen, vor allem wenn man aus dieser Generation stammt.
Die Ausstellung beginnt mit etwas, was der Meister gar nicht gerne wollte, nämlich zu sagen, wer er ist und wer zu ihm gehört. Denn es ist Vicco von Bülow außerordentlich gut gelungen, seine Familie von seinen beruflichen Aktivitäten fernzuhalten und über seine Fernsehehen oder Spielfilme ein spezielles Bild von ihm in der Öffentlichkeit zu erzielen. Nun, älter und milder, darf man mehr darüber erfahren – auch dies in bewährter humorvoller, nie anbiedernder, aber immer witzigen Art – , wie es war, als der 1923 geborene Vicco in Hamburg Romi kennenlernte, mit der er seit 1951 verheiratet ist und zwei Töchter hat. Und in dem Kontext wird dann auch immer ’Loriot` erwähnt, das Wappentier seiner Familie, ein Pirol, auf Französisch, zu dem sich von Bülow sehr früh bekannte, als er schon im „Stern“ Anfang der Fünfziger als Karikaturist zeichnete, wobei man für heutige hinzufügen muß, welche gesellschaftspolitische Bedeutung damals dieser Zeitschrift zukam. Obwohl also Loriot schnell reüssierte, war deutschen Verlagen sein Potential nicht klar. Rowohlt beispielsweise wollte mit ihm nichts zu tun haben – was die Nachfolger noch heute tief ärgern wird – und als erst im Jahr 1954 beim Schweizer Verlag Diogenes sein erster Band „Auf den Hund gekommen“ erschien, hatte der Verlag sein gutes Gespür bewiesen, was fürderhin reichlich belohnt wurde, von Loriot und den Lesern.
Vor Loriot war in Zukunft nichts mehr sicher. Er versuchte sich an allem und er konnte alles. Aus dem Zeichner und Karikaturisten wurde ein Regisseur, der seine größten Erfolge mit sich selbst als Schauspieler feiern konnte, wobei diese Ausstellung auch eine kleine Hommage an seine Partnerin Evelyn Hamann ist, die 2007 mit 65 Jahren starb, und sowohl bei den Fernsehsketchen wie auch den Filmen eine kongeniale Partnerin war. In der Ausstellung berühren einen besonders die Teile, in denen der Mensch von Bülow zum Ausdruck kommt, der als Musikliebhaber auch Opern inszenierte und viel über Oper schrieb. Allein die Szenen, in denen er als Hausdirigent das imaginäre Orchester, das man durchs Radio hört, dirigiert, gewinnen eine generelle Ausdruckskraft über das, was Menschen wollen und wozu sie mit Leidenschaft – von der Realität völlig losgelöst – im Stande sind, die ans Herz geht, wobei die Stilisierung der äußeren Person in Richtung Verwurschtelung und Versponnenheit diese innere Leidenschaft durch leichte Verwahrlosung nicht konterkariert, sondern exakt auf den Punkt bringt. So sind sie, die Menschen, die angesichts ihrer inneren Realität die äußere vergessen. Liebenswert, aber leicht daneben.
Man kann diese unglaublich Vielfalt des Künstlers nicht auf eine Methode oder ein Geheimnis zurückführen. Man darf einfach konstatieren, daß hier einer seinen Auftrag als Künstler ernst nahm, seiner Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, in dem sie sich – und das ohne Grausen – selbst wiedererkennen konnte. Darum ist die Titelüberschrift von Christoph Stölzl im Katalog: „Wir sind Loriot“ auch zutreffend, denn in den Situation, über die man hier lacht, ist gar zu vieles dabei, was einem aus dem Alltag bekannt ist, aber dort gar nicht zum Lachen bringt, vor allem, wenn man selber der Dumme dort war, der sich stur an sein Recht klammert, während die Straßenbahn schon wegfährt.
Das ist schon richtig, daß beim Betrachten der Blätter, dem Lesen der Texte und dem Anhören und Anschauen der Sketche und Filme der allgemeinmenschlichen Aspekte ausschlaggebend ist. Aber es wäre zu kurz gegriffen, würde man das nur auf Komik und Humor begrenzen. Nein, dieser Loriot ist auch ein knallharter Satiriker und ein scharfer Hund, wenn es darum geht, Politikerunsitten anzusprechen. Klaus Staeck, der als Künstler in derselben Liga wie von Bülow spielt und derzeit Präsident der Akademie der Künste in Berlin ist, hat dies in seinem Katalogbeitrag „Politischer Humor muß Politik nicht beim Namen nennen“, deutlich gemacht und sich damit gegen die gewandt, die Loriot als Produzenten tragikomischen Geschehens nur als Humoristen sehen, mit der Nudel im Mund des verklemmten Liebhabers, die jeden Liebeschwur ad absurdum führt oder dem immer wieder thematisierten Geschlechterkampf.
Für Klaus Staeck ist Loriot ein eminent politischer Künstler – und wir folgen ihm darin – „Mal wenn er den Regierenden und mal, wenn er den Regierten aufs Maul schaut. In den Satiren „Politik und Frühstück“ oder „Der Wähler fragt, Politiker antworten“ tut er gleich beides und geht dabei den Ursachen und Folgen der leider immer noch aktuellen Politikmüdigkeit auf den Grund.“ Nein, man muß sich nicht entscheiden, welcher Loriot einem besser gefällt. Wir fanden immer den am besten, den wir gerade anschauten. Und deshalb haben wir uns nach der Ausstellung weiter mit seinem Werk in Wort, Ton und Film beschäftigt, was Folgen hat im zweiten Teil.
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Ausstellung: in Bonn im Haus der Geschichte „Loriot. Die Hommage“ bis 28.2.2010
Katalog: Loriot. Ach was!, hrsg. von Peter Paul Kubitz und Gerlinde Waz, Hatje Cantz Verlag 2009. Den Katalog muß man einfach haben.
Internet: www.loriot.de, www.warnerbros.de, www.diogenes.de, www.hdg.de