Das Känguruh oder Die Fehler des George Mitchell als Barack Obamas Nahost-Friedenssaboteur

Warum tut er das dann? Schließlich könnte er zu Hause bleiben, Rosen züchten oder mit seinen Enkelkindern spielen.

Dieses zwanghafte Reisen enthüllt ein Korn Chuzpe. Wenn er nichts anzubieten hat, warum die Zeit von Politikern und Reportern vergeuden? Warum Flugbenzin verbrauchen und die Umwelt schädigen?

Das erklärte Ziel Mitchells ist es, den „Friedensprozess wieder voranzubringen“. Doch wie? „Die beiden Seiten an den Verhandlungstisch bringen“.

Ein naiver amerikanischer Glaube meint, alle Probleme der Welt lassen sich lösen, wenn die Parteien sich nur an den Tisch setzen und mit einander reden. Wenn vernünftige Leute mit einander reden, werden sie schließlich zu einer Lösung kommen.

Das Problem ist, dass die für das Schicksal von Nationen verantwortlichen Leute im allgemeinen keine vernünftigen Leute sind. Sie sind Politiker mit Leidenschaften und Vorurteilen und mit Wahlbezirken, die von den Gefühlen der Massen getrieben werden. Wenn man es mit einem 130 Jahre alten Konflikt zu tun hat, grenzt der naive Glaube an den Sinn des Gesprächs an Torheit.

Die jahrzehntelange Erfahrung weist darauf hin, dass Verhandlungen sinnlos sind, wenn die eine Partei an einem Abkommen gar nicht interessiert ist. Es ist sogar noch schlimmer: Verhandlungen können tatsächlich sogar Schaden anrichten, wenn eine der Parteien sie benützt, um Zeit zu gewinnen, während der falsche Eindruck von Fortschritt in Richtung Frieden geschaffen wird.

In unserm Konflikt sind Friedensverhandlungen zu einem Friedensersatz geworden, ein Mittel, um den Frieden zu sabotieren. Sie sind zu einem Instrument geworden, die von den auf einander folgenden israelischen Regierungen benützt wurden, um Zeit zu gewinnen, damit die Besatzung gefestigt und die Siedlungen vergrößert werden können.

(In einem Interview mit Haaretz gestern beschuldigte Ehud Barak die „Linke“ im Allgemeinen und Gush Shalom und Peace Now im Besonderen, Netanyahus Ruf nach neuen Verhandlungen nicht zu unterstützen. Er bezichtigte sie beinah des Verrats.)

Jeder, der Verhandlungen „ohne Vorbedingungen“ vorschlägt, kollaboriert mit der Netanyahu-Barak-Lieberman-Regierung mit einem Trick, die Chancen für Frieden zu sabotieren. Tatsächlich ist Mitchell – vielleicht unbewusst – solch ein Kollaborateur geworden. Wenn er Druck auf Mahmud Abbas ausübt, „zum Verhandlungstisch zurückzukommen“, spielt er das Spiel Netanyahus mit, der sich als der große Friedensliebende präsentiert. Abbas wird dagegen als ein Mann dargestellt, der „auf einen hohen Baum geklettert ist und nun nicht weiß, wie er herunterkommt“. Es gibt keine Besatzung, keine anhaltende Siedlungsbautätigkeit, keine Judaisierung von Ost-Jerusalem. Das einzige Problem ist eine Leiter. Eine Leiter für Abbas.

Und wozu dies alles? Weshalb hüpft das Känguruh herum? Um Obama zu helfen, der nach einer politischen Lösung lechzt wie ein in der Wüste nach Wasser Dürstender. Der Beginn von Verhandlungen – wenn auch sinnlos – würde als großer diplomatischer Erfolg dargestellt werden.

Am nächsten Tag machte Obama selbst eine seltene Geste: der Präsident der Vereinigten Staaten erklärte öffentlich, er habe einen Fehler gemacht, und entschuldigte sich. Er gab zu, dass er die mit dem wieder aufgenommenen Friedensprozess verbundenen Schwierigkeiten nicht richtig eingeschätzt habe.

Jeder lobte den Präsidenten. So ein mutiger Führer! So edel!

Dem würde ich noch hinzufügen: so eine Chuzpe!

Hier kommt der mächtigste Führer der Welt und sagt: ich hatte Unrecht. Ich begriff es nicht. Ich habe versagt. Ein ganzes Jahr lang habe ich auf dem Weg zu einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes keinen Fortschritt erreicht. Schaut, wie ehrlich ich bin! Schaut, wie ich bereit bin, Fehler einzugestehen!

Das ist eine Unverschämtheit. Das ist unverschämt, weil wegen dieses „Fehlers“ ein ganzes Jahr verloren gegangen ist, ein ganzes Jahr, in dem 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen, Männer, Frauen und Kinder größte Entbehrung erlitten haben, viele von ihnen ohne genügend Nahrung, viele von ihnen ohne Unterkunft in Kälte und Regen. Ein ganzes Jahr, in dem in Ost-Jerusalem mehr als hundert palästinensische Häuser zerstört wurden, während neue jüdische Hausprojekte mit großer Geschwindigkeit in die Höhe schossen. Ein ganzes Jahr, in dem die Westbanksiedlungen vergrößert, Apartheidstraßen gebaut und durch Siedler Pogrome durchgeführt wurden, die man „Preisschild“ („Price tag“) nennt. (Es bedeutet: das ist der Preis für die Demolierung eines Hauses in einem Außenposten).

Mit allem Respekt, Herr Präsident, hier genügt das Wort „Fehler“ kaum.

In der Bibel steht: „Wer seine Sünde leugnet, dem wird’s nicht gelingen; wer sie aber bekennt und (davon) lässt, der wird Barmherzigkeit erlangen“ (Sprüche Salomos 28,13) Obama hat seinen Fehler nicht geleugnet, und das ist gut. Aber es ist die zweite Hälfte des Verses, die hier zählt: „bekennt und lässt“. Keine Barmherzigkeit für jemanden, der zwar „bekennt“, aber nicht davon „lässt“. Sie haben aber mit keinem einzigen Wort angedeutet, dass Sie dabei sind, von Ihren alten Fehlern zu lassen.

Es ist auch aus einem anderen Grund eine Unverschämtheit. Sie sagen, Sie haben versagt, weil Ihnen die internen Probleme mit den beiden Führern Netanyahu und Abbas nicht klar waren. Netanyahu hat eine extrem rechte Koalition, Abbas hat Hamas.

Pardon, und wie ist es mit Ihrer eigenen „Koalition“, die Ihnen nicht erlaubt, die richtige Richtung einzuschlagen? Wie ist es mit den beiden Häusern des Kongresses, die den pro-Israel-Lobbys vollkommen unterwürfig sind, der jüdischen wie der christlich-fundamentalistischen? Und was ist mit ihrer Angst vor Ihrer extremen Rechten, die unsere extreme Rechte unterstützt? Und wie ist es mit Ihrer Unfähigkeit – oder Weigerung – ihre Führung durchzusetzen, politisches Kapital in eine Konfrontation mit den Lobbys zu stecken und im wirklichen Interesse der USA (und Israels) vorwärts zu gehen – wie es Präsident Dwight D. Eisenhower seinerzeit machte und sogar der Außenminister James Baker für kurze Zeit?

Der schreckliche Schlag gegen Obama bei den Massachusettswahlen hat viele Menschen sprachlos gemacht. Er hat die Substanz der amerikanischen Politik und seine Gesundheitsreform gefährdet, den Juwel in der Krone, die er sich aufs Haupt setzte. Er droht, ihn in eine lahme Ente zu verwandeln, so dass er nicht nur die Zwischenwahlen dieses Jahres verlieren mag, sondern auch seine Wiederwahl in weniger als drei Jahren nicht gewinnen wird.

Viele fragen: was ist mit dem glänzenden Kandidaten geschehen, der die ganze USA entzückte und Millionen begeisterter neuer Wähler mobilisierte? Wo ist der Mann mit einer Vision, der die Massen mit dem Schlachtenruf „Ja, wir können!“ mitriss?

Wie kommt es, dass der inspirierende Kandidat sich in einen Solala-Präsidenten verwandelt, der niemanden aufregt? Wie kommt es, dass der Kandidat, der immer genau den richtigen Ton getroffen hatte, sich in einen Präsidenten verwandelt, der unfähig ist, die Herzen der Menschen zu bewegen? Wie kommt es, dass der Kandidat, der im Wahlkampf all die richtigen Entscheidungen traf, sich in einen Präsidenten verwandelt, der keine Entscheidungen treffen kann. Wie kommt es, dass der Anti-Bush zu einem anderen Bush geworden ist?

Es scheint mir, dass die Antworten in einer der fundamentalen Paradoxien des demokratischen Systems liegen. Ich habe lange darüber nachgedacht, während ich in der Knesset saß und den langweiligen Reden zuhörte.

Ein demokratischer Führer, der eine Vision hat und sie zu realisieren wünscht, muss zwei Tests bestehen: eine Wahl gewinnen und ein Land regieren. Wenn er nicht gewählt wird, wird er auch seinen Traum nicht realisieren können. Wenn er beim Regieren versagt, wird sein Wahlsieg seine Bedeutung verlieren.

Das Problem ist, dass diese beiden Aufgaben sehr verschieden sind. Tatsächlich tendieren sie dazu, einander zu widersprechen, weil sie verschiedene Talente erfordern.

Der Kandidat muss Reden halten, die Phantasie anregen, Versprechen machen und die Wähler davon überzeugen, dass er in der Lage ist, sie zu erfüllen. Diese Talente können tatsächlich für den Herrscher von großer Hilfe sein – aber sie genügen nicht, um ihn zum Herrschen zu befähigen. Der Regierende muss harte Entscheidungen treffen, extremen Druck aushalten, einen großen Apparat mit vielen sich widersprechenden Komponenten managen, die Öffentlichkeit seines Landes und die Führer anderer Länder überzeugen. Er kann nicht alle Teile der Öffentlichkeit und alle Interessengruppen in der Weise befriedigen, wie er es als Kandidat versuchte.

Die inspirierendsten Kandidaten entpuppen sich oft als die verheerendsten Regierungshäupter. Sie sind durch die Begeisterung, die sie beim Wähler weckten, zur Macht geschwemmt worden und finden plötzlich heraus, dass ihre brillanten Reden keine Wirkung mehr haben – nicht auf die Mitglieder ihres Parlamentes noch auf die Öffentlichkeit oder die ausländischen Staatshäupter. Ihr Haupttalent ist sinnlos geworden.

Ich habe den Eindruck, dass Obamas zahlreiche Reden die Leute zu ermüden beginnen und ihren Reiz verlieren. Wenn er sein Gesicht von links nach rechts wendet und von rechts nach links, von einem Teleprompter zum anderen, fängt er an, wie eine mechanische Puppe auszusehen. Die Millionen, die vor dem Fernseher seine Reden hören, sehen, wie er sich nach links und nach rechts wendet, ihnen aber niemals in die Augen schaut.

Der Kandidat ist ein Schauspieler auf der Bühne geworden, wo er die Rolle eines Führers spielt. Nach den Wahlen, wenn er tatsächlich zu einem Führer wird, kann er hilflos werden. Der Mann, der in Shakespeares Stück Julius Caesar spielt, kann ein großer Schauspieler sein – aber wenn er im wirklichen Leben Caesar wäre, hätte er keine Ahnung, was er tun soll. (Als ich dies einmal zu einem Schauspieler sagte, antwortete er: „Aber Caesar selbst wäre nicht in der Lage, Caesar auf der Bühne zu spielen!“)

Barack Obama ist kein Caesar. Eher ist er Hamlet, Prinz von Amerika. Begeisternd, attraktiv, voll guter Absichten – aber schwach und zögerlich. Herrschen oder nicht herrschen – das ist die Frage.

Es ist viel zu früh, Obamas politischen Tod zu verkünden. Im Gegensatz zu Mark Antonius, – der im Shakespeare-Stück erklärt „Begraben will ich Caesar, nicht ihm huldigen“ – bin ich noch nicht bereit, die große Hoffnung zu begraben, die er geweckt hat.

Ein Jahr ist vergangen, seitdem er ins Weiße Haus kam. Ein zum großen Teil vergeudetes Jahr. Noch drei Jahre bleiben bis zu den nächsten Wahlen. Nach solch einem dramatischen Sieg würde es im ersten Jahr für ihn viel leichter gewesen sein, schwierige Dinge zu tun, als in den folgenden drei Jahren, aber Obama kann sich noch erholen, notwendige Schlüsse aus den Erfahrungen ziehen und ein Comeback managen.

Eine der Straßen dorthin führt über Jerusalem. Obama muss sein Känguruh zu Hause festbinden und die Initiative in seine eigenen Hände nehmen. Er muss ein klares Friedensprogramm ankündigen, nämlich das, über das inzwischen ein weltweiter Konsens herrscht (Zwei Staaten für zwei Völker, ein palästinensischer Staat in allen besetzten Gebieten mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt und der Auflösung der Siedlungen auf palästinensischem Territorium) und beide Seiten dazu aufrufen, es in Theorie und Praxis anzunehmen – vielleicht durch ein Referendum auf beiden Seiten. Wenn die Zeit reif ist, sollte er nach Jerusalem kommen und sich an das israelische Volk vom Rednerpult der Knesset mit einer klaren und eindeutigen Botschaft wenden.

Kurz gesagt: Hamlet muss die Bühne verlassen, Caesar muss auftreten.

* * *

Anmerkungen:

Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Der Beitrag wurde am 30.01.2010 unter www.uri-avnery.de erstveröffentlicht. Alle Rechte beim Autor.

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