In den Artikeln „Wie sage ich es meinem Kinde – dem Kinde in mir selbst“ habe ich von einem Patienten berichtet, der noch Mitte 50 in den Problemen zwischen sich selbst, der Mutter und dem Umfeld mit Schmerzen und anderen Symptomen zerrissen ist. Seine ursprüngliche Liebe, die auf Gegenseitigkeit beruht, war arg enttäuscht worden, und trotzdem war er aus Liebe bereit, alles für die Eltern zu tun, weil er dadurch gleichzeitig Liebe erhoffte. Ich habe ausführlich und langatmig seine innere Zerrissenheit dargestellt. Er hat sich sozusagen empathisch in die Eltern in hinein gefühlt und sich dabei scheinbar aufgeopfert und vergessen. Dies war jedoch zu seinem eigenen Wohlergehen notwendig, weil ansonsten die Eltern noch mehr Probleme gehabt hätten. Unproblematische Eltern hatte er bitter nötig. Der Mutter war der Ruf, ihr Image in den Augen der anderen zur Vermeidung der Schande besonders wichtig, und dem hatte sich das Kind anzupassen und aufzuopfern.
Den Eltern war es ja schließlich auch nicht anders ergangen. Sie hatten für ihre Eltern sorgen und sich dabei selbst unterdrücken müssen. Ihren Großeltern ging es ebenfalls so. Das war also eine transgenerationelle Kultur in dieser Familie, wie überhaupt in vielen Familien. Der Säugling und das Kleinkind wurden schon einbezogen. Dies war der Modus der Beziehungen in der Familie, an dem das Kleinkind schon aktiv beteiligt war. Es hat zwar darunter zu leiden, kann sich beschweren, aber es ist das Schicksal aller Familienmitglieder. Wir gehen zwar in unserer westlichen Zivilisation davon aus, dass die Eltern möglichst gut zu ihren Kindern zu sein haben, aber die Realität ist oft eine ganz andere. Das Gute-Mutter-Bild hat zentrale Bedeutung und für das ist alles unterzuordnen.
Ich möchte eine Facette aus meinem Leben berichten: Meine Tochter war etwa vier Wochen alt, und ich gab ihr das Fläschchen. Das war mir zu langweilig, und ich las nebenher Zeitung. Dabei trank das Kind nicht. Ich versuchte das Fläschchen anders und verschieden zu halten, aber es trank einfach nicht. Als ich meine Aufmerksamkeit mehr zufällig dem Kind zuwandte, trank es die Flasche schnell leer. Ich wunderte mich, wie sehr und wie früh das Kind den Unterschied in der Bezogenheit spürte. Die emotionale Bezogenheit war nicht in meinem Kopf drin, und das war eine grundlegende Erfahrung. Bekannte, denen ich davon erzählte, sagten, das sei doch ganz klar. Sie hatten offensichtlich mehr Einsicht in die Art und Notwendigkeit der frühkindlichen Beziehungen. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte nicht diese Erfahrung gemacht, meine Grundeinstellung nicht verändert, und ich hätte weiterhin Zeitung gelesen, wie das wohl manche Eltern machen, dann hätte das Kind wohl weiterhin nicht getrunken und wäre verhungert, oder es hätte sich umgestellt, verbogen und widerstrebend und unter Schmerzen getrunken. Es wäre vielleicht zu einem Kampf um Leben oder Tod gekommen, und das wäre wohl seiner weiteren Entwicklung nicht zuträglich gewesen.
Professor Overbeck berichtete exemplarisch von einem Säugling, der mit lebensbedrohlichen Bauchkoliken in die Klinik eingeliefert wurde, bis eine Krankenschwester nach ein paar Tagen mehr zufällig feststellte, dass die Mutter während des Stillens die ganze Zeit telefonierte. Der Mutter wurde klargemacht, dass die Bezogenheit wichtig sei, und sie nicht während des Stillens telefonieren könne. Die Koliken verschwanden, und das Kind wurde bald geheilt entlassen. In beiden Fällen haben Zufälle das Leben eines Säuglings gerettet.
Kaiser Friedrich II. war im 13. Jahrhundert wissenschaftlich interessiert. So experimentierte er mit Säuglingen, indem er das Personal anwies, sie zwar optimal zu futtern, ihnen aber jegliche Ansprache und Zuwendung vorzuenthalten. Alle Säuglinge starben. Anscheinend ist emotionale Zuwendung zum Überleben wichtig.
Ein Angstpatient berichtete, seine Frau hatte während der 1. beiden Schwangerschaften wegen Blutungen im Krankenhaus gelegen. Der Muttermund war zugenäht worden, und sie gebar die Kinder. Bei der 3. Schwangerschaft berichtete er, die Blutungen hätten noch stärker und früher angefangen. Es war anzunehmen, dass das Kind abging. Ich sprach von Ambivalenzen gegenüber dem Kind, dass eine Mutter nicht nur mit Freude, sondern auch wegen der Belastung und Pflichten mit Aggressionen reagieren müsse. Er solle mal mit seiner Frau darüber reden. Seine Frau war froh, erstmalig über ihre Aggressionen auf ihre Kinder reden zu können. Erstaunlicherweise standen die Blutungen still, und das Kind kam völlig normal zur Welt. Anscheinend hatte die Selbstakzeptanz ihrer Belastung, der Schuldgefühle und Wut auf die Kinder gereicht.
Die Geschichte ging jedoch weiter. Nach ein paar Monaten berichtete der Patient, dass das Kind eine Neurodermitis entwickelt hätte, und sie hätten schon mehrere Ärzte aufgesucht und mit Salben und Umschlägen behandelt. Es wurde aber immer schlimmer, und er übersteigerte sich in Ängsten um das zukünftige schlimme Schicksal seines Kindes. Ich erklärte ihm in aller Ruhe, schon bei Erwachsenen gingen Gefühle in den anderen über. Beim Kleinkind sei das noch viel stärker. Ich meinte, er solle sich das zukünftige Schicksal des Kindes nicht so zu eigen machen, am besten lasse er Kind Kind sein und mache gar nichts mehr. Durch die Entspannung der Eltern war die Neurodermitis größtenteils beendet, jedoch nicht ganz, da die Eltern noch sehr unter Ängsten und Schuldgefühlen litten.
Das Kind hat also eine starke emotionale Empfänglichkeit für das Verhalten und die emotionale Bezogenheit der Mutter, des Vaters und des weiteren Umfeldes. Emotionalität steht dabei im Zentrum und ist die zugrunde liegende Triebfeder. Emotionen werden in der Frühphase der menschlichen Entwicklung, im Vorerinnerungsalter geprägt von der Bezogenheit und der Emotionalität des Umfeldes, hauptsächlich der Mutter. Bewusst Verstehen kann das Kind hinsichtlich ihrer hintergründigen Beweggründe die Eltern nicht. Dazu fehlen ihm die Erfahrungen und der geistige Apparat. Es macht im Vorerinnnerungsalter seine grundlegenden Erfahrungen in der aktuellen emotionalen Bezogenheit der Mutter und der Eltern.
Empathie, Liebe, Wärme, Geborgenheit, Sicherheit und im Falle von Spannungen des Kindes Trost und Beruhigung sind also die Voraussetzungen zu einem guten Gedeihen des Kindes. Aber wie kann eine Mutter Trost spenden, wenn sie selbst die Ursache von negativen Emotionen, Ängsten und Wut ist. Das Kind bildet mit der Mutter sozusagen eine Dualunion, und die Gefühle der Mutter gehen in das Kind über. Dabei fühlt das Kind emphatisch mit. Haben die Eltern Angst, Sorgen, Haß und Wut gerät das Kind in die Bredouille, weil diese Gefühle ebenfalls in es übergehen. Es gerät mit seinen eigenen Interessen nach Geborgenheit, Liebe und Sicherheit in Konflikt. Zu welchen Verstrickungen dies führen kann, habe ich berichtet. Die Emotionen der Eltern haben gegenüber dem kleinen Kind und Säugling jedoch die Überhand, sind stärker. Es wird von Ihnen geprägt, auch gegen sich selbst. Allein durch das Größenverhältnis, hier die großen Eltern, dort das kleine Kind, wird dies deutlich. Wem glaubt das kleine Kind mehr, sich selbst oder der Mutter? Also bleibt ihm nichts anderes möglich als mitzuspielen auf der Basis der Eltern. Das sind seine basalen Erfahrungen, und auf diesen baut es seinen psychischen Apparat auf, der es ein Leben lang begleitet und bestimmt. Es hat selber Wut und Angst und strickt also selber an diesem Webmuster mit. Da es keine Empathie empfangen hat, hat es keine in sich und wird sie auch nicht gegenüber anderen haben.
Wie können Kinder, die in der Tradition der meistgelesenen pädagogischen Bücher des Orthopäden Schreber mit dem Motto "der Wille des Kindes ist um jeden Preis zu brechen!" Empathie für andere Menschen haben. Für sie hat auch kein Mensch in ihrem Sinne Empathie gehabt, und so können sie es auch nicht für andere haben. Dadurch erkläre ich mir innerhalb unserer Kultur hauptsächlich die Ursache der Kriegsverbrechen und den Holocaust an den Juden. Die Juden wurden stellvertretend für die Eltern bestraft. Oder wie können Frauen, die selber sexuell verstümmelt wurden, Empathie für das Leid ihrer Töchter haben, bzw. sie fühlen sich empathisch in die Töchter ein, wie ihre Mütter sich in sie hinein gefühlt haben. Ihre Mütter hatten für sie in ihrem Sinne kein liebevolles Verständnis, und so geht das entsprechend der Kultur von Generation zu Generation fort. Natürlich stehen Ängste und Wut dahinter, etwa ihre Tochter könnte keinen Mann finden oder wäre sexbesessen und mannstoll und dann wird zu derartigen drastischen Mitteln gegriffen. Man könnte diese Tatsache auch unter dem Aspekt sehen, dass sie für selbst erlittenes Leid Vergeltung üben, sich an den Kindern stellvertretend für ihre Eltern rächen.
Bei den Vorgenerationen liegt der Emotionalität ein Weltbild zugrunde, bei dem die Bewertungen und Bedeutungen eine Hauptrolle spielen. Diese waren schon vor der Geburt des Säuglings vorhanden, und werden sich von ihm zu eigen gemacht, zu einer Selbstinstanz. Ab der Sprachentwicklung werden dem Kind das Weltbild, die Bewertungen und Bedeutungen, vorgelebt und insofern beigebracht, damit es diese ebenfalls verinnerlicht. Das ist ein automatischer, reflektorischer und unwillkürlicher Prozess. Die Eltern haben sie ebenfalls verinnerlicht, und das Kind darf es nicht besser als die Eltern haben. Das würde Neid der Eltern auf die Kinder bedeuten. Insofern schwingt der Neid in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern mit und wird ebenfalls von den Kindern verinnerlicht. Die zugrunde liegenden Bewertungen und Bedeutungen bedeuten die Kultur in dieser Familie und eventuell des ganzen Umfeldes wie beispielsweise bei der Sexualverstümmelung. Also bedeutet diese Verstümmelung nicht nur eine körperliche, sondern auch eine emotionale und geistige.
Die Emotionen, der Glaube und die Überzeugungen, wobei die Eltern die Deutungshoheit haben, prägen die Gehirnsstruktur mit seinen Neuronen und Verästelungen der Dendriten. Sie haben also ein körperliches Substrat und sind nicht so leicht veränderbar. Man spricht von Vererbung. Zwar bewahrt das Gehirn bis ins hohe Alter eine gewisse Plastizität und ist veränderbar, aber je nachdem wie fest die Überzeugungen in der Hirnstruktur verankert sind, sind sie kaum veränderbar. Deswegen kämpft mein Patient im fortgeschrittenen Alter mit seinen inneren Geistern und mit sich selbst. Und mit jedem Emanzipations- bzw. Autonomieschritt tauchen diese inneren Geister auf. Er steht sozusagen mit einem Bein bei den Eltern und mit dem anderen bei sich selbst, da er die Überzeugungen der Eltern übernommen hat und ihnen noch glaubt, und wird in diesem inneren Kampf zerrissen. Es ist das Schicksal eines jeden Menschen, dass er die Gebote und Verbote seine Eltern verinnerlicht hat, und seine Aggressionen auf die Eltern zu Autoaggressionen werden.
Das ist die Folge der Sprachentwicklung. In der Sprache kann der Mensch sich selbst artikulieren, wobei die alten Bilder der Eltern noch vorhanden sind, und so gerät er in Zwiespalt zwischen sich selbst und dem Umfeld. Die neuen Bilder bezieht er aus dem erweiterten Umfeld. Wenn diese jedoch genauso wie die Eltern denken bzw. glauben, hat er keine Chance zu Alternativen, wie beispielsweise die Beschneidung zur Kultur einer Bevölkerung gehört.
Der erste Schritt zur Autonomie und Selbstbestimmung findet nach der Sprachentwicklung im Trotzalter statt, wobei der Trotz, die Verweigerung oder die Opposition noch keine eigentliche Autonomie darstellen, weil er noch den Eltern glaubt und sich selbst nicht glaubt, denn ansonsten müsste er nicht antrotzen, sondern könnte in der Auseinandersetzung seinen eigenen Weg gehen. Im Trotz wird nämlich das Thema vom anderen her bestimmt, und der Andere ist ja in ihm. Der Trotz führt also zu einem Zwiespalt, Selbstzweifeln und einer Zerrissenheit.
Auch die Selbstbestrafung ist ein solcher Mechanismus. Die Strafe bedeutet eine Wiedergutmachung, so dass das Kind in den Augen der Eltern sozusagen gesühnt hat. Das Kind hat die Strafe verinnerlicht, und so wird die Strafe zu einer Selbstbestrafung in Verspannungen und Schmerzen. Er macht sozusagen eine mittelalterliche Selbstgeißelung. Mit der Selbstbestrafung fühlt sich das Kind emphatisch in die Eltern ein. Dafür wünscht es sich eine Honorierung und Lob. Dies unterbleibt jedoch, da es für die Eltern eine Selbstverständlichkeit und ihnen dasselbe widerfahren ist.
Trotz und Selbstbestrafung sind als höchst unglückliche Mechanismen. Sie führen zu Schmerzen und Verspannungen, ja sogar zu Autoaggressionskrankheiten über die gesamte Krankheitspalette. Eher führt es weiter, sich diese Mechanismen klar emotional vor Augen zu führen, daß es den Eltern auch nicht besser erging, sie auch nicht anders konnten. Rational nützt nichts, da die Prozesse viel zu stark verankert sind. Das ist ein schwieriger und langer Prozeß, in dem es immer wieder hin und her zwischen Trotz, Verweigerung und emotionalen Verständnis und Fortschritt schwankt, wie an dem Patienten ersichtlich. Den Begriff „liebevolles Verständnis“ brachte der Patient selbst als seine Fähigkeit ein, die zur Überwindung der Verspannungen führt und mit dem er einen Ausgleich zwischen sich und dem Umfeld schafft.
Ich selbst führe lieber den Begriff der Selbstakzeptanz an, dass ich mich selbst akzeptiere, selbst liebe, wertschätze oder anerkenne, egal wie meine Gefühle sind, ob ich wütend bin, irrationale Ängste oder Haß habe und wie sehr ich angegriffen werde. Irrational heißt nach meinen gegenwärtigen Bewertungen und des Umfeldes, die aber frühkindliche Hintergründe haben. Wenn mir das Umfeld beispielsweise eine Peinlichkeit zuschreibt, muß ich nicht mehr alles tun, damit die Peinlichkeit nicht in die Augen der Anderen tritt und habe nicht mehr so viel Ängste. Wenn ich mich voll und ganz selbst akzeptiere, kann ich differenzieren, es ist für diese peinlich, dass sie derartigen Bewertungen huldigen. Von der Warte der Selbstakzeptanz kann ich mich selbst und das Umfeld in aller Ruhe in den Stürmen des Lebens betrachten. Ich kann differenzieren zwischen mir und dem Anderen und sagen, wie ein früherer Patient sagte, „ich gebe ihnen recht, aber nur für sie, ich sehe das ganz anders“. Man muß dann nicht mehr mit sich hadern, ob ich diesen oder jenen Fehler gemacht habe. Man kann sagen, zur Natur des Menschen gehören auch Fehler und Schwächen und, was ein Fehler oder eine Schwäche ist, bestimme ich selbst.
Der Patient sah als Kind in den Augen seiner Mutter Schmerz und Leid, sobald er eine Lebendigkeit, Jungenhaftigkeit und Männlichkeit entwickelte, und wäre er noch mehr lebendig gewesen, hätte sich das Leid der Mutter verstärkt. Hätte diese Mutter nicht mehr Lebendigkeit zulassen können, ohne sich selbst gefährdet zu sehen? Viele Mütter können das. Aber diese Mutter nicht, und auf diese Mutter war er total angewiesen. So hatte er sich empathisch in die Mutter hinein gefühlt, und hatte auf seine eigene Lebendigkeit verzichtet. Es war der bestmögliche Weg. Früher waren das seine Stärke und eine konstruktive Lösung. Heute in späteren Zusammenhängen ist die Kultur seine Kindheit das nicht mehr. Aber jeder Mensch wird in seiner Kindheit geprägt. Das Größenbild, über allem erhaben zu sein, das noch in ihm steckt und ihm Probleme macht, auf das kann er verzichten, aber fordert es noch ein. Er kann in einem langen Weg durch Differenzierungen zwischen früher und jetzt seine Lebendigkeit und Männlichkeit zurück gewinnen. Die in der Kindheit eingeprägten Bilder sind zeitlebens noch sehr präsent. Im Bekanntenkreis kann er das, aber im Job, Frauen gegenüber und in der Familie ist er noch sehr gehemmt. Er kann noch nicht genügend vor sich selbst begründen und für sich selbst argumentieren.
Hinzu kommt, dass die Eltern selber das Opfer ihrer Prägung waren und sich erhofften, daß das Kind anders ist, nicht mehr die Probleme hat und sie und sich aus diesem Dilemma heraus führt, also mit gutem Beispiel voran geht, indem es sich wehrt und trotzig ist. Die Eltern provozieren sozusagen den Trotz. Dann können sie sich mit ihm identifizieren und werden aus ihrem Leid heraus geführt. Das Kind ist also ein Erlöser. Andererseits wollen alle Eltern, dass es ihrem Kind besser als ihnen geht, in Ambivalenz dazu, dass es dann ihren Neid hervorruft und sie sein Wohlergehen dann wiederum zerstören. Der Patient hat also einen mehrfachen Auftrag, in dem er völlig zerrissen ist.
Ursprünglich war all das, was ihm an Prägungen und Verinnerlichungen nicht gut tat, etwas fremdes, da es von außen kam, und doch so vertrautes. Er muß vor diesen Dingen Angst haben, wütend darauf sein oder Haß haben. Da aber die Eltern auf der anderen Seite höchst vertraut sind und er sie verinnerlicht hat, er auch nicht auf ihre Gunst verzichten kann und sie schützen muß, muß er einen anderen Weg wählen, nämlich den der Projektion, um die Angst oder den Haß nach außen zu bringen. Dadurch erkläre ich mir die während der Flüchtlingswelle besonders verbreitete Fremdenangst und -hass, wobei das Fremde schon lange in ihnen steckte. Andere verarbeiten ihre Schuldgefühle in einer Art Gegenreaktion in einer Willkommenskultur, wobei nicht alle eine schlimme Kindheit hatten. Das Fremde übt ja eine gewisse Attraktivität aus, gerade für denjenigen, der in einem starren Muster verfangen ist.
Ich habe mich oft gefragt, warum der Patient in seiner Zerrissenheit nicht ernsthaft organisch erkrankt ist. Anscheinend war die vorübergehende Geborgenheit bei der Oma überlebenswichtig, obwohl er sich ihre Hasstiraden auf die Männer anhören musste. So einer sollte er nicht sein. Vielleicht ist auch für ihn lebensrettend die langjährige Beziehung zu einem Therapeuten.