Frankreich, Anfang des 19. Jahrhunderts. Jean Valjean (Hugh Jackman), einst wegen Diebstahl von Brot verhaftet, kommt nach 19 Jahren frei. Aufseher Javert (Russell Crowe) verspricht ihm, beim geringsten Vergehen direkt wieder in Ketten zu kommen. Doch das Leben als Vorbestrafter ist brutal, bis ihm ein Bischof Gnade erweist. Valjean baut sich ein neues Leben als Fabrikbesitzer und Bürgermeister auf. Als eine seiner Arbeiterinnen nach dem Abweisen der Avancen des Vorarbeiters entlassen wird, bittet sie Valjean um Hilfe. Unglücklicherweise trifft in diesem Moment Javert, inzwischen Polizeiinspektor, ein und Valjean weist Fantine (Anne Hathaway) ab. Ihr Weg ist besiegelt, um ihr uneheliches Kind zu ernähren, verkauft sie alles was sie hat und schließlich sich selbst. Aber ihre Wege kreuzen sich noch einmal und dieses Mal rettet Valjean sie und gibt der sterbenden Fantine sein Versprechen, sich um ihre kleine Tochter Cosette zu kümmern. Er flieht mit dem Mädchen vor Javert und baut sich wieder ein neues Leben auf. Seine Vergangenheit holt Valjean jedoch erneut ein.
Es gibt eine Menge Musicals, einige davon sehr erfolgreich, aber wie man bei Cats sehen konnte, dessen Verfilmung direkt ins Videoregal wanderte, garantiert Erfolg auf der Bühne keine vollen Kinokassen. Nun basiert Les Misérables auf dem 1862 veröffentlichten Roman Die Elenden (OT: Les Misérables) von Victor Hugo, aus dessen Feder auch Der Glöckner von Notre-Dame (1831) stammt, welches erfolgreich auf der Bühne und noch erfolgreicher im Kino war. Vielleicht hat sich Hooper gedacht, dass Hugos Geschichten – ein bisschen wie die von Alexandre Dumas (Die Drei Musketiere; Der Graf von Monte Christo) – von Natur aus geeignet sind für die große Leinwand. Ein nicht unverständlicher Gedanke.
Die Entscheidung, alle Schauspieler selbst singen zu lassen war ein kluger Schachzug, zu sehr hätte die Debatte um Playback und die (Un-)Fähigkeit der Schauspieler, dieses glaubhaft zu überspielen, die Geschichte überschattet. Das Casting kann nicht einfach gewesen sein, aber im Großen und Ganzen hatte Hooper ein glückliches Händchen und Ohr. Anne Hathaway und Hugh Jackman wurden beide zu Recht für den Oscar nominiert und gewannen bereits den Golden Globe. Amanda Seyfried als die erwachsene Cosette, Samantha Barks als Éponine (die leibliche Tochter der Thénadiers) und Eddie Redmayne als Marius sind alle überzeugend, wenn auch – und das muss erwähnt werden – besonders die jungen Schauspielerinnen auf Dauer nur schwer erträglich sind, wenn man hohen Tönen nicht wohlgesonnen ist. So bezaubernd Seyfried zwitschert – wäre sie ein Vogel in einem Käfig, man würde lange vor Sonnenuntergang ein Tuch über den Käfig legen.
Russell Crowe wird die Meinungen spalten. Gefiel seine Stimme so manchem Kritiker im Vorfeld, sahen sich andere peinlich berührt an ob der gequälten Töne. Fühlte sich Crowe derart unwohl oder wollte er die Pein des Javert zum Ausdruck bringen? Aber Russel Crowe ist eine akustische Wohltat gegenüber dem Knaben Gavroche (Daniel Huttlestone). Nun kann das Kind nichts dafür, dass es in schönstem Unterschichtenenglisch hier völlig deplatziert wirkt. Man kann Huttlestone nicht vorwerfen, dass er schlecht singt, aber selten gab es auf der Leinwand eine akustisch enervierendere Figur.
Wer sich nicht vom Aspekt des Gesangs zu jeder Zeit, an jedem Ort, schrecken lässt, der wird mit großartigen Bildern belohnt. Aufnahmen von Weite und Größe wechseln sich ab, mit schon fast bühnenhaften Momenten – hier vereint Hooper Nähe zum Musical und die Möglichkeiten die Film bietet. Eine der beeindruckendsten Szenen ist gleich die Anfangssequenz, wenn ein gewaltiges Schiff von Kettensträflingen, die mit tiefem Bass „Look Down“ singen, in das Trockendock von Toulon/Digne gezogen wird. Sollte es Zweifel am Ton der Verfilmung gegeben haben, sie werden direkt ausgeräumt. Dies ist kein fröhliches Musical. Gleichzeitig steckt es die Messlatte für den restlichen Film fast unerreichbar hoch.
Les Misérables Schwäche, wenn man mal die Diskussion um die Stimmen außen vor lässt, liegt in Hoopers ausgeprägter Vorliebe für Großaufnahmen der singenden Schauspieler. Nicht jedes Gesicht ist dafür gemacht und bei der heutigen Schärfe der Aufnahmen, ist es oft auch beim schönsten Menschen nicht von Vorteil. Die Stärke von Les Misérables liegt nicht nur in monumentalen Bildern und beeindruckender Ausstattung, es ist das Thema des Glaubens, welches Hoopers Film beindruckend darstellt. Es ist vielleicht sogar seine herausragendste Leistung. Mit der französischen Revolution (1789-99) hatte sich die Gesellschaft zwar gewandelt, soziale Missstände und Armut herrschten jedoch weiterhin. Es ist auch keine vergebende Gesellschaft, wie Fantine und Valjean am eigenen Leib feststellen müssen. Es ist schließlich der Glaube, der Valjean den Mut gibt nicht aufzugeben und der ihn stets bemühen lässt, ein guter Mensch zu sein. Hier wird sich nicht über Glaube lustig gemacht, nicht mit heutiger Agenda kritisiert, sondern gezeigt, welch positive Kraft der Glaube Menschen gab, die sonst nichts mehr hatten. Es ist eine bemerkenswerte Leistung von Hugh Jackman gerade diese Szenen glaubhaft und berührend zu spielen.
Les Misérables ist ein wahrlich monumentaler Film, aber sicherlich nicht für jeden geeignet. Der ununterbrochene Gesang ist ungewohnt, die Stimmen Geschmackssache und er ist sehr, sehr lang. Es empfiehlt sich eine Packung Taschentücher mit ins Kino zu nehmen, aber es wird sie nicht jeder benötigen. Anne Hathaways Darstellung der Fantine ist unbestreitbar berührend und es ist eine der beeindruckendsten Leistungen einer Schauspielerin ihrer Generation. Les Misérables hätte genauso großartig sein können, schafft es aber nicht die hohen Erwartungen aus der Anfangssequenz zu erfüllen. Es ist auf jeden Fall mal ein etwas anderer Film – für Fans des Musicals eine tolle Verfilmung und eine Herausforderung für alle anderen.
Les Misérables (USA, 2012); Verleih: Universal Pictures International Germany; Filmlänge: 158 min; Regisseur: Tom Hooper; Drehbuch: William Nicholson; Alain Boublil; Claude-Michel Schönberg; Herbert Kretzmer; Darsteller: Hugh Jackman; Russel Crowe; Anne Hathaway; Amanday Seyfried; Helena Bonham Carter; Eddie Redmayne; Sascha Baron Cohen; FSK: ab 12 Jahren; Kinostart: 21. Februar 2013 (Deutschland).