Kunst in Zeiten des Fußballs – „Ende einer Liebe“ und „Tandy“ bei Foreign Affairs

© Berliner Festspiele

Chto Delat, bei Foreign Affairs mit zwei Veranstaltungen und einer Ausstellung vertreten, äußerte in einem im Programmheft abgedruckten Interview, Vandalismus sei eine mögliche Aktion, um Denkmäler zu delegitimieren. Das ist dem Soldaten aus Papier geschehen, obwohl der doch gar nicht als Mahnmal mit eindimensionaler Aussage gedacht war, sondern zu Diskussionen über Monumente anregen sollte.

Polizei und Staatsschutz ermitteln, und es sieht so aus, als werde unklar bleiben, ob Rechtsradikale oder frustrierte Fußballfans den Anschlag verübt haben oder vielleicht nur ein paar Betrunkene, die ausprobieren wollten, ob das Ding brennt.

Das Festival Foreign Affairs hat es ohnehin nicht ganz leicht während der Sommerhitze, wo die Abende eher dazu verlocken, auf einer Terrasse sitzend entspannt an einem Getränk zu nippen und die Gedanken schweifen zu lassen als dazu, sich in geschlossenen Räumen mit Trends und alternativen Formen von Theater, Tanz und performativen Künsten und deren politischer Bedeutung auseinander zu setzen.

Erschwerend, und nahezu desaströs, kommt in diesem Jahr noch die Fußballweltmeisterschaft hinzu, die auch für viele ansonsten Theaterbegeisterte eindeutig an erster Stelle steht und eine außergewöhnliche Geisteshaltung hervorbringt. „Deutschland“ grölende Horden auf den Straßen erwecken keine Befürchtungen bezüglich eines radikalen politischen Rechtsrucks. Nationalismus mit wehenden Fahnen ist angesagt, während elf Männer um Weltruhm fürs Vaterland kämpfen.

Sich der aufgeladenen Stimmung zu entziehen, in der sich alles um Sieg oder Niederlage dreht, ist nicht so einfach, und so kann auch  leicht ein verzerrter Blick auf  Foreign Affairs fallen, durch den das Festival zu einem Wettbewerb wird, bei dem Ensembles aus aller Welt um den größten Erfolg konkurrieren und Publikum und Kritik Gewinner und Verlierer bestimmen.

Dabei werden bei diesem Festival gar keine Preise verliehen, und in einigen Fällen lohnt es sich, nicht allzu schnell den Daumen nach unten zu richten und sich statt dessen auf das Fremde und Befremdliche einzulassen.

„Ende einer Liebe“ von Pascal Rambert war zur Eröffnung von Foreign Affairs am 26. Juni um 18.00 Uhr auf der Seitenbühne im Haus der Berliner Festspiele zu erleben. Zur gleichen Zeit spielte die deutsche Nationalmannschaft gegen die USA, und die Festivalleitung hatte im Garten des Festspielhauses eine Leinwand installieren lassen, auf der eine Übertragung  dieses bedeutsamen Ereignisses zu sehen war. Das Jubelgeschrei beim siegreichen Tor der Deutschen war während der Theaterveranstaltung deutlich zu hören. Draußen also tobte der Bär, und drinnen quälte sich das Publikum.

Pascal Rambert hätte es den ZuschauerInnen wirklich leichter machen können. Er hätte an Stelle von zwei jeweils einstündigen Monologen einen Dialog kreieren können, bei dem die ProtagonistInnen einander ins Wort fallen und  ein spannendes verbales Gefecht liefern. Er hätte Mobiliar auf die Bühne stellen können, das zertrümmert wird, hätte musikalische Akzente setzen und mit Videoeinspielungen Erinnerungen an die glücklichen Zeiten des nun auseinander fallenden Paares vor Augen führen können.

„Clôture de l’amour“, in Frankreich preisgekrönt, feierte in Moskau, Tokio, New York und Zagreb Triumphe. Am Thalia Theater Hamburg inszenierte der französische Autor, Regisseur und Choreograf Pascal Rambert sein Zweipersonenstück erstmals in deutscher Sprache. Premiere war im April dieses Jahres, und nun gastierten Marina Galic und Jens Harzer auf der Seitenbühne im Haus der Berliner Festspiele mit der Abrechnung eines Paares, dessen Beziehung ganz plötzlich zerbricht.

Rambert geht es um „die menschliche Präsenz in ihrer größten Wirksamkeit“ auf der Bühne. Er verzichtet deshalb auf Bühnenbild, Musik und technische Effekte. Eine Frau und ein Mann, beide SchauspielerInnen, stehen einander in einer Diagonale gegenüber. Er trägt legere Freizeitkleidung, sie, mit Highheels und einer Handtasche in der Hand, ist vielleicht gerade nach Hause gekommen oder will gerade das Haus verlassen.

Der Vorschlag, oder eher der Beschluss zur Trennung, mit dem der Mann seine Rede eröffnet, scheint die Frau völlig unvorbereitet zu treffen. Wie vom Donner gerührt bleibt sie stehen und ist, während seines einstündigen Vortrags, offenbar weder imstande, sich vom Fleck zu rühren, noch seine demütigenden und verletzenden Ausführungen verbal zu unterbrechen.

Auch der Mann bleibt an seinem Platz. Jens Harzer steht fast unbeweglich da während seiner langen Rede, die der Mann anscheinend sorgfältig vorbereitet hat. Der Mann hat keinen Namen, und obwohl er auf seine Frau einredet, spricht er auch sie niemals mit ihrem Namen an. Dadurch entsteht der Eindruck, der Autor habe ein typisches Paar kreieren wollen, mit dem sich jede und jeder identifizieren kann und dann doch nur ein Klischee geboren.

Der Mann ist der Intellektuelle, der seine Worte wohl zu setzen weiß. Er braucht seine Freiheit und muss das Netz zerreißen, in dem seine Frau ihn gefangen hält. Er verübelt es ihr, dass sie älter geworden ist und somit an Attraktivität verloren hat. Er ist ein Krieger, der seine Worte wie Waffen einsetzt. Er stellt sich vor, seine Frau mit einem Bajonett nieder zu metzeln.

Die Frau, die nach einem Seitenwechsel, eine einstündige Replik halten darf, ist emotional. Marina Galic läuft aufgeregt hin und her und gestikuliert. Anders als ihr Mann benutzt die Frau Schimpfwörter und unflätige Ausdrücke. Mit Krieg hat sie nichts im Sinn. Sie ist eine Mischung aus gesundem Menschenverstand und romantischen Träumereien, der Inbegriff der verzaubernden jungen Frau, deren unverzeihlicher Fehler darin besteht, dass sie älter wird.

Marina Galic und Jens Harzer leisten Großartiges, um ihren Rollen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Marina Galic agiert ganz wahrhaftig und ohne jede Koketterie, und Jens Harzer lässt, in überraschenden Augenblicken, den Schmerz deutlich werden, den der Mann über die von ihm initiierte Trennung empfindet.

Der Mann stellt sich immer wieder ein Publikum vor, das seinen Ausführungen lauscht. Als Jens Harzer dieses imaginäre Publikum auffordert, nach Belieben den Saal zu verlassen, folgten einige reale ZuschauerInnen diesem Vorschlag.

Zwischen den beiden Monologen singt der Kinderchor Canzonetta sämtliche Strophen von „Der Kuckuck und der Esel“ und führt vor Ohren, wie reizvoll ein Streit klingen kann.

Der Streit des Menschenpaares dagegen ist eher ermüdend, und es erscheint nicht glaubwürdig, dass der Mann, der sich offenbar gerne reden hört, eine Stunde lang seiner Frau das Wort überlässt.

Am Ende präsentieren sich beide mit nackten Oberkörpern und Pfauenkronen auf dem Kopf, bevor sie sich zum Applaus wieder anziehen.

Trotzdem ist die Idee, Menschen ins Zentrum des Bühnengeschehens zu stellen, durchaus bedenkenswert angesichts des Übermaßes von Technik, das zunehmend die Inszenierungen bestimmt und Reize bietet, die dem Publikum die Konzentration erleichtern und ihm das Denken abnehmen.

Ob die Inszenierungen der spanischen Performerin und Regisseurin Angélica Liddell mithilfe des Denkens zu ergründen sind, scheint hingegen fraglich. Im letzten Jahr war sie mit ihrem Stück „Yo no soy bonito“ bei Foreign Affairs zu Gast und schockierte damit, dass sie sich die Haut ritzte, das Blut mit Brot auftunkte und dieses verspeiste.

„Meine Arbeit ist vergleichbar mit dem Morden eines Psychopathen“ teilt Angélica Liddell im Interview mit. Seit 2013 arbeitet sie an dem „Cycle of the Resurrections“. „Tandy“, das zweite Stück daraus, war bei den diesjährigen Foreign Affairs zu erleben.

Mit der ehemaligen Kirche St. Agnes hatte die Festivalleitung einen passenden Schauplatz für die Veranstaltung gewählt, und ganz unabhängig vom Fußball war der Zuschauerraum voll besetzt.

„Tandy“ ist inspiriert von der gleichnamigen Episode aus Sherwood Andersons Roman „Winesburg, Ohio“. Ein betrunkener Fremder verleiht einem kleinen Mädchen den Namen Tandy mit der Bedeutung, stark und mutig zu sein, um geliebt zu werden.

Diese Szene, mit einem kleinen Mädchen und einem Mann in goldenen Hosen und scharlachrotem Sakko, ist zu Beginn von Angelica Liddells Inszenierung zu sehen und zu hören. Während die Geschichte bei Sherwood Anderson damit endet, dass das fünfjährige Mädchen schluchzend auf seinem neuen Namen besteht, geht sie bei Liddell weiter und sie selbst spielt eine vom Liebeswahn besessene Frau.

Die Texte stammen aus Angélica Liddells Tagebüchern. Es gibt aber noch weitere Anleihen aus „Winesburg, Ohio“. So handelt es sich bei der Frau, die von einem unwiderstehlichen Bedürfnis getrieben, nachts bei Regen nackt durch die Straßen läuft, um Alice Hindman aus der Episode „Ein Geschehnis“.

Gesprochen wird spanisch mit deutschen und englischen Übertiteln. Die Worte klingen verzerrt über Lautsprecher, werden in einem gleichmäßigen Rhythmus fast ohne Modulation artikuliert.

Angélica Liddell und ihr Ensemble zelebrieren das Stück wie eine Messe, bei der es gelegentlich auch schlüpfrig zugeht, wenn die wallenden weißen Gewänder gelüpft werden. Im Hintergrund verkündet eine Leuchtschrift: „There will be miracles“. Zwei kitschige Putten verstärken den sakralen Eindruck. Im Vordergrund sitzt ein, zunächst weiß verschleierter, Porzellanhund, Gegenstand seltsamer Rituale.

Hunde scheinen eine besondere Bedeutung zu haben in diesem Stück über den Wahnsinn der Liebe. Zu Beginn ist ohrenbetäubendes Hundegebell zu hören, und am Ende wird ein Kindersarg hereingetragen, aus dem dann ein Hundebaby herausgeholt und dem Publikum präsentiert wird.

Der Schlussapplaus verstummte sehr bald, weil die SchauspielerInnen sich nach ihrem Abgehen nicht mehr zeigten. Nach heiligen Handlungen ist Beifall nicht angemessen.

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