Künstlernothilfe – und ein dickes Ende? – Den Berliner Symphonikern droht aus Rückzahlungsforderungen der Investitionsbank Berlin die Insolvenz

Mark und Pfennig in einer Kasse. Quelle: Pixabay, Foto: Leo 65

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wer gibt in der Konkurrenzgesellschaft schon gern zu, dass seine Existenz gefährdet ist? Da nimmt erst recht kein Hund ein Stück Brot mehr von ihm. Aber dem Notleidenden bleibt nichts anderes übrig, als seine Sorgen öffentlich zu machen. So geht es Sabine Völker, der Intendantin der Berliner Symphoniker. Sie soll Geld zurückzahlen, das dem Orchester rechtmäßig zugesprochen worden war.

Es geht um die Corona-Nothilfen. Die hatten sowohl die Bundesregierung als auch der Berliner Senat Künstlern der freien Szene gewährt, weil ihnen wegen der Absage aller Veranstaltungen die Einnahmen wegfielen, während die Kosten blieben. Darunter hätten die freischaffenden Musiker, Schauspieler, Techniker und andere am meisten gelitten. Die Soforthilfen waren gut, sollten unkompliziert ausgezahlt werden: gute Absicht, gute Tat. So wurden den Berliner Symphonikern vom 1. September 2020 bis zum 31. Dezember 2021 vom Senat 560.000 Euro gewährt. Bei der Antragstellung wurden sie auch von Mitarbeitern der Senatsverwaltung für Kultur gut beraten.

Abgesehen davon, dass es eine Hau-Ruck-Aktion war, bei der man keine Fehler machen durfte, hatte der Ablauf seine Tücken. Die Förderperioden betrugen drei bis vier Monate. Wenn ein Antrag genehmigt worden war, zahlte die Investitionsbank Berlin (IBB) das Geld in unterschiedlichen Raten zu unterschiedlichen Zeiten aus. Dadurch klafften Förderzeitraum und Geldeingang auseinander. Folgerichtig war in diesem Sinne die Vorschrift, die Mittel in dem Monat abzurechnen, in dem das Geld eingegangen war. Doch nein, jüngst änderte die Investitionsbank rückwirkend die Vorschrift. Die Mittel sollen nun in dem Monat abgerechnet werden, für den sie bewilligt worden waren. Zum Beispiel wurden für Dezember 2020 80.000 Euro bewilligt, aber die Bank überwies im Dezember nur 40.000 Euro, den Rest erst im August 2021. Das Orchester konnte im Dezember nicht mehr als 40.000 Euro ausgeben. Das Kunststück bestand darin, die Bezahlung von Rechnungen so zu schieben, dass sie eben im August beglichen wurden. Die Ausgaben werden auch getreulich mit Belegen nach Monaten nachgewiesen. Der Haken an der Sache: Bei der Abrechnung verlangt die Investitionsbank den Nachweis von 80.000 Euro, die im Dezember 2020 hätten ausgegeben werden sollen. Da Sabine Völker aber real nur 40.000 ausgeben konnte, hat sie nach der Logik der Investitionswbank 40.000 Euro zu viel bekommen und müsste sie zurückzahlen. In der Summe stimmen für den gesamten Förderzeitraum von 15 Monaten Einnahmen und Ausgaben überein, aber nicht nach den pro Monat genehmigten Mitteln und dem tatsächlich eingegangenen Geld. Bei den Überbrückungshilfen des Bundes war das kein Problem, denn die Abrechnungsmodalitäten entsprachen von Anfang an dem realen Geldfluss. Doch anders bei der IBB. Infolge der von ihr selbst verursachten Abweichungen sollen die Berliner Symphoniker nun die Hälfte der genehmigten Nothilfen zurückzahlen. Die Folge wäre die Insolvenz des Orchesters. »Was uns mit dem Ziel der Existenzsicherung ausgezahlt wurde, wird nun zur Gefährdung der Existenz», sagt Sabine Völker.

Nun könnte und müsste man das mit der Investitionsbank besprechen und einen realistischen Modus finden, aber die Bank ist nicht zu sprechen. Für jeden Kredit-Kunden hat die Bank einen Berater, damit der das Geld wieder erwirtschaftet, das sie ihm geliehen hat. Aber was banküblich ist, wird Fördermittelempfängern nicht geboten. Die Auflage der Bank: Abrechnung bis zum 31. Juli 2023. Und eben zugeschnitten jeweils auf die Monate, in denen das Geld bewilligt, aber zum Teil erst später überwiesen wurde. Das Orchester kann alles abrechnen, aber eben nicht nach dem realitätsfremden Schema der Bank, das die ursprünglichen Förderbedingungen auf den Kopf stellt.

Sabine Völker hat Widerspruch eingelegt, sowohl bei der Investitionsbank Berlin als auch bei der Senatsverwaltung für Kultur. Die Berliner Symphoniker sind kein Einzelfall. Genau so ergeht es den Stachelschweinen, den Tipi beim Kanzleramt, dem Chamäleon, dem Quatsch Comedy Club und mindestens 40 Prozent der freien Träger. In einer Aussprache mit Konrad Schmidt-Werthern, Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Kultur, am Donnerstag forderten sie Abhilfe. Der zeigte Verständnis. Im Bewilligungsausschuss am gleichen Tage versuchte er, die IBB zu einem klärenden Gespräch mit den betroffenen Trägern zu bewegen. Doch die sieht keinen Handlungsbedarf. Es bleibt bei ihrem Abrechnungsmodus. Ihr eiziges Zugeständnis: ein Aufschub bis zum 31. Dezember diesen Jahres. Die Kulturschaffenden sehen nun Rückzahlungsbescheide auf sich zukommen, die sie in die Insolvenz treiben. Was bleibt als Ausweg? Nach dem Bescheid folgenWiderspruch, Ablehnung, Klage. Sabine Völker ist entschlossen, notfalls auch zu klagen. Sie meint, dass die Künstlernothilfe im Grunde eine politische Entscheidung war, denn ein ökonomischer Effekt war nicht zu erwarten, aber es wurde eine ganze soziale Schicht vor dem völligen Ruin bewahrt, nicht nur in Berlin. Genau so könnte eine einfache Lösung gefunden werden, wenn der politische Wille da ist. Die Abrechnungen könnten ja geprüft werden.

Zwanzig Jahre ist es her, seit der sozialistische Kultursenator Thomas Flierl (PDS) den Berliner Symphonikern die Zuschüsse gestrichen hat. Dem Orchester ist es gelungen, sich aus eigener Kraft zu erhalten (auch mit Verzicht und Lohndumping, doch das steht auf einem anderen Blatt). Es wäre ein schlechter Witz, wenn dieser Klangkörper in der Folge einer Nothilfe aufgeben müsste.

Anmerkung:

Eine kürzere Fassung des Beitrags wurde am 24.7.2023 in der Zeitung „junge Welt“ veröffentlicht.

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