Kritik zum Berlinale-Film „Kuzu“

Panorama 2014, TUR/DEU 2014 REGIE: KutluÄŸ Atamanm Mert TaÅŸtan © Internationale Filmfestspiele Berlin

Er ist nun zum zweiten Mal seit seinem Berlinale Erfolg Lola und Bilikid vor 15 Jahre mit einem erneuten Kleinod im Panorama Programm der derzeitigen Berlinale vertreten. Das Lamm bildet den Ausgangspunkt in diesem, in wundersamen Schneelandschaften atmosphärisch –dicht eingebetten Film, der durch seine weitgefassten Panorama- und Landschaftsbilder und seine ruhige fast beiläufige Erzählweise einen deutlichen Kontrast bildet gegenüber den Sehgewohnheiten a la amerikanischen „Hollywood Kinos“.

Wie befinden uns in einem dünn besiedelten türkischen Dorf. Wie es die Tradition verlangt , muss sich der kleine Junge Med dem Ritual der Beschneidung unterziehen. Doch seine Familie besitzt nicht genügend Geld um das Fest auszurichten, geschweige denn ein Lamm, das als Festmahl dienen soll, den Gästen anzubieten. So entsteht eine Odyssee der Familie Geld für ein Lamm aufzutreiben. Nachdem der Vater ohne Erfolg einen Schäfer um das benötigte Lamm bittet, nutzt die Tochter die scheinbar auswegslose Situation ihren kleinen Bruder zu ängstigen. In farbenprächtiger Erzählweise und mit der Freude an der Verführbarkeit ihres jüngeren Bruders entspinnt das Mädchen eine Geschichte gegenüber ihrem kleinen Bruder: wenn der Vater kein Lamm findet, soll das Kind an dessen Stelle geschlachtet werden. Der kleine, unerfahrene Med wird überwältigt von der Phantasie seiner altklugen Schwester und -verängstigt- bemüht er sich von nun an auf eigene Faust ein Lamm aufzutreiben. Er macht sich auf seinen Weg und stösst dabei auf einige Hindernisse in dem traditionsverhangenen Alltag und der widerspenstigen Berglandschaft des Hochlands Ostanatoliens.

Liebevoll zeichnet der Regisseur seine Figuren und vermittelt gleichzeitig ein realistisches Bild eines ärmlichen Dorflebens in der Türkei. Alle Figuren stellen sich den Widrigkeiten des einfachen Lebens auf ihre Weise. Die Mutter verdient den Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Weidenruten, der Vater ist überfordert von seiner Verantwortung und verspielt sein geringes Einkommen bei einer Prostituierten in der Stadt. Die Tochter, die in der Familie die stabilste Rolle übernimmt , entflieht dem tristen Alltag durch eine farbenreiche Phantasie und der kleine Junge Med macht sich, verunsichert, auf seine Heldenreise und stellt sich allerlei Prüfungen um seinem unbedingtem Vorhaben –ein Lamm zu finden- gerecht werden zu können. Mit Witz und Charme in den eher spärlichen Dialogen bekommt der Film eine eigene Note – die Dialoge, besonders zwischen den Kindern sind pointiert und vermitteln Humor und teilweise eine Leichtigkeit, die gegenüber der rauhen Berglandschaft und dem schwierigen Dorfalltag der Familie und der Verantwortungslosigkeit des Vaters kontrastiert. All e Figuren der Familie werden liebevoll beleuchtet und beobachtet und ihre charakterlichen Merkmale mit den gesellschaftlichen Zwängen in dem Dorfalltag umzugehen, treten im Film –trotz einer zurückhaltenden und sensiblen Erzählweise – oder gerade deswegen- deutlich hervor. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf den Kindern und es ist erfrischend dem kleinen Med auf seiner Suche , seinem Willen und seinen Nöten, seinem vermeindlichem Schicksal entgehen zu können, zu folgen. Mit einfachen Mitteln wird hier ein Film erzählt. Die Schauspieler agieren durchweg sparsam und in unaufgeregter Weise und gliedern sich stimmig in den Film ein. Ein Hauptprotagonist ist die winterliche Landschaft, die die Geschichte atmosphärisch bebildert. Dem Regisseur gelingt die Verknüpfung eines dokumentarischen Filmstils mit der Intimität eines Gernrefilms. Realität und Phantasie verbinden sich in diesem besonderen Film. Wer einen Einblick, in eine die Großstadt und mediale Überlastung entgegengesetzte traditionelle türkische Lebensweise erhalten möchte, wird in dem Film auf seine Kosten kommen. Ein empfehlenswertes und durchaus sehenswertes Kleinod des Panoramaprogramms der diesjährigen Berlinale.

* * *

Kuzu (Deutscher Titel: Das Lamm), KutluÄŸ Ataman (Regie, Drehbuch, Produzent), Nesrin Cavadzade (Schauspielerin), Nursel Köse (Schauspielerin), Cahit Gök (Schauspieler), Sıla Lara Cantürk (Schauspielerin), Fabian Gasmia (Produzent), Henning Kamm (Produzent)

Vorheriger ArtikelKathrin Hendrich wird im Sommer Frankfurterin – Mainhattans perspektivisches Wechselfieber erreicht die Werkselfen – Leverkusen ohne Zukunftsplan?
Nächster ArtikelLena Lotzen bleibt Münchnerin – Dietmar Ness Schützling verlängert bis 2016 – Wolfsburger Zeitungsenten haben mitgespielt