Klassentreffen: 90jährige widerspiegeln ihr Deutschland

Vor dem alten Rathaus von Weimar.
Auf einem Marktplatz in Weimar. Quelle: Pixabay

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wenn heutzutage 90jährige zum Klassentreffen zusammen kommen, muss das ja wohl als große Seltenheit eingestuft werden. Nicht etwa nur Coronas wegen – nein: generell. Es ist nur noch eine Handvoll der Abiturienten von 1950, die sich dieser Tage in ihrer Heimatstadt Weimar treffen – genau: fünf von damals über 30, die sich 1950 in der Klasse 12B1 der Schiller-Oberschule der Goethestadt Adieu sagten. Aber sie lösen damit 2021 ein Versprechen ein, das sie sich schon gut ein Jahr vor dem Abitur gegeben hatten: Nicht nur Kontakt zu halten, sondern sich auch zu treffen. Und zwar alle fünf Jahre. Und das allen Widrigkeiten zum Trotz.

Und deren gab es viele! Sie alle hatten sich geweigert, der kommunistischen FDJ der DDR beizutreten. Das geschah erst nach der Drohung, ohne FDJ-Mitgliedschaft gäbe es keine Zulassung zum Abitur. Sie reagierten mit einem Trick, indem sie geschlossen beitraten, aber ihre eigene FDJ-Gruppe gründeten. Da gab es freie Diskussionen, da wurden Westberliner Zeitungen gelesen und ausgetauscht.

Viele dieser Klasse gingen nach dem Abi in den Westen, als die Teilung Deutschlands immer strikter wurde, geschah dies auch unter Lebensgefahr: Einer der Klasse hatte zwei Wege über die Demarkationslinie ausgespäht, einen über den Thüringer Wald nahe seines Geburtsortes, einen anderen durch einen Kohletagebau bei Hötensleben/Helmstedt. Eine Gruppe wurde auch einmal beschossen.

Ihr Anführer wurde zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, nach Artikel 6 der DDR-Verfassung, plus fünf Jahre „Sühnemaßnahmen“ gemäß der Kontrollratsdirektive 38. Nach seiner Haftentlassung konnte auch er mit Hilfe von Freunden und falschen Papieren nach Ostberlin reisen und so Westberlin erreichen.

Diese verschworene Gemeinschaft der Klasse 12B1 hielt trotz der Teilung Deutschlands zusammen – zweimal trafen sie sich, im Abstand der vereinbarten fünf Jahre, in Budapest. Ungarns Hauptstadt war für alle gefahrlos erreichbar. Ihre Treffen waren stets auch für die Ehefrauen oder Freundinnen offen. Auch die Witwen nahmen und nehmen an diesen ungewöhnlichen Klassentreffen teil – so werden in diesen Tagen in Weimar insgesamt elf Personen anwesend sein. Dazu können sich die Knulche selbst gratulieren.

Knulche? Einer von ihnen – er ist lange tot – erfand dieses Wort schon 1948. Im Duden kommt das nicht vor. Da gibt es dagegen „Knilch“ und „Knülch“, und das wird umschrieben mit „ein unangenehmer Mensch“. Das ist ein Knulch, das sind die Knulche nun keineswegs!

Sie haben ein Klassenwappen und eine Klassenhymne, das Klassenwappen zieren auch Ansteck- und Krawattennadeln. Viele ihrer Biografien sind in der Broschüre „Knulche“ erschienen. Ihre Totenliste ist seit langem schon länger als die der noch Lebenden. Sie sind schließlich um die 90…

Ihres hohen Alters wegen treffen sie sich jetzt jährlich – es sei denn, „höhere Gewalt“ verhindert das. Wie etwa die Corona-Pandemie. Ihretwegen musste das Treffen 2020 ausfallen – das wäre immerhin ein Jubiläum geworden: 70 Jahre nach dem Abitur. Das Programm für 2020 sah auch einen Besuch ihrer Schule und dort Diskussionen mit den Abiturjahrgängen 2019 und/oder 2020 vor.

Das lässt sich beim diesjährigen Treffen nicht nachholen. Denn noch gebietet Corona viele Einschränkungen. Aber an das kommende Jahr denken diese Knulche, diese 90jährigen schon bei ihrem Treffen 2021.

In Deutschland gibt es übrigens mehr als 20 000 über 100jährige…

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