Kinder der Revolution – Teil 1 von Steven Soderberghs Guevara-Biografie „Che – Revolucion“

Ernesto Guevara, die Person hinter dem Spitznamen “Che“, vermag Steven Soderberghs zweistündiger Auftakt zu dessen Filmbiografie nicht zu zeigen. In den ersten Kameraeinstellungen offenbart der Film seine entscheidende Schwäche, die den Regisseur und Autor Soderbergh und letztendlich sein Publikum um einen hochinteressanten Lebenslauf bringt. Er wagt sich nicht heran an seine Titelfigur. Merken soll man davon natürlich nichts. Darum beginnt “Che – Revolucion” mit einer extremen Nahaufnahme. Die Armeestiefel des Guerillakämpfers. In der nächsten Großaufnahme dessen Zigarre und ein flüchtiges Huschen der Kamera über das Gesicht. Man weiß auch ohne den Titel, um wen es sich handelt. Die bekannteste Aufnahme Guevaras von Alberto Korda geistert stets im Hinterkopf
während der mit der Nüchternheit einer Geschichtsstunde erzählten Handlung. Dass “Che – Revolucion” das Populärbild nicht durch ein eigenes ersetzen kann, zeugt von der Ausdrucksarmut des Werkes.

Mit seinem Übertitel “Che” bezieht sich der Film explizit auf seinen Hauptcharakter als Populärgestalt. Seiner Figur ins Gesicht zu sehen, vermeidet “Che”. In Fernaufnahmen, verdeckt von der Seite oder extremen Nahaufnahmen zeigt er Benicio Del Toro. Dessen schauspielerische Interpretation lässt sich somit nur erahnen. Vor allem durch die Stimme ist Del Toro präsent, am brillantesten im ersten Filmviertel. Hier hustete er sich als von Asthma Gequälter durch den Dschungel und lässt ahnen, wie eisern Guevara an die Revolution glaubte, dass er diese physische Tortur auf sich nahm. Die ausweichenden Kameraperspektiven gehen so dicht heran oder bleiben so weit entfernt, dass nichts kenntlich wird. Orientierungslos laviert sich der Film um seine Charaktere herum und klammert sich in seiner Unentschlossenheit hartnäckig an eine trockene Abhandlung der Lebensstationen.

Gemeinsam mit Fidel Castro (Dejan Bichir) kommt der argentinische Arzt Ernesto Guevara (Benicio Del Toro) 1956 nach Kuba. Im Revolutionskampf gegen das Militärregime Fulgencio Batistas wird Guevara zum Guerillero. Trotz der zusätzlichen Belastung durch sein Asthma erweist sich Guevara als unentbehrlicher Stratege. Er legt Wert auf die Bildung seiner größtenteils aus Analphabeten bestehenden Armee. Von Fidel Castro befördert, wird der Arzt zum Kommandanten. Durch hartes Durchgreifen gegen Deserteure und kriminelle Guerillamitglieder verdient er sich das Ansehen von Kämpfern und Bevölkerung. 1958 geling der Truppe um Castro und den von der Bevölkerung “Che” genannten Guevara die Einnahme Santa Claras. Die Ereignisse sind immerhin so spannend, dass es eine interessante Geschichtsstunde wird. Aber kein Persönlichkeitsprofil, keine Charakterstudie, keine Lebenserforschung. Nichts von dem, worauf man so gespannt ist. Statt hinter die emblematische Gestalt des “Che” zu blicken, etabliert der Film sie als Führergestalt, der es um jeden Preis zu folgen gilt. “Che” haftet etwas von einem “Durchhaltefilm” an. “Das Vaterland oder der Tod!” schreien die angreifenden Guerilleros. Wer gehen will, ist ein Feigling und Jugendliche werden durch Strapazen zu echten Männern. Dass Guevara überzeugter Marxist und Kommunist war, dessen Imperialismuskritik folgerichtig Antiamerikanismus erzeugte, wird weitgehend verschwiegen. Kommunistische Helden sind im Hollywoodkino offenbar immer noch unmöglich. Mehrfach sieht man Guevara allein, lesend. Was bewog den hochintelligenten, gebildeten Arzt zum bewaffneten Kampf? “Eine Revolution lässt sich nicht exportieren.”, sagt Guevara. In einer Rückblende jedoch spricht er zu Castro von seinem Wunsch, die Revolution nach ganz Amerika zu tragen. Der interessante Widerspruch zwischen logischer Überzeugung und persönlichem Ziel wird nicht erforscht. “Wir haben die Verantwortung übernommen, im Namen der ganzen Gesellschaft die Führung zu übernehmen.”, äußert er bei einer internationalen Ansprache. Das klingt nach der selbstherrlichen Ansicht, der geborenen Staatsführer zu sein. Guevara suchte diese Verantwortung nicht. Jeder sollte für sich selbst denken, nicht er für andere. Daher pocht er auf die Bildung seiner Truppen.

Soderbergh versieht seinen Film jedoch mit der gegenteiligen Doktrin: Eine Führungsperson weiß, was das Beste ist und ihr gilt es zu folgen. Die kontroversen Aspekte aus Guevaras Biografie, die Erschießungen, die ihm vorgeworfen werden, seine fanatische Überzeugung, bleiben unerforscht. Genauso vage ist, wogegen eigentlich gekämpft wird. Batista bleibt eine Schattengestalt im Mafiapatenanzug, der “Imperialismus” scheint mit den heutigen USA nichts zu tun zu haben. Die Spanischsprachigkeit des Films, die den Titel einschließt, kaschiert nicht dessen Amerikanismus. Einmal sieht man die Guerilleros unter einem Coca-Cola-Plakat kauern. Später sagt ein Compadre zu Che: “Wenn wir gesiegt haben, stecke ich dich in einen Käfig, fahre durchs Land und verlang Eintritt.” Soderbergh ist ihm in seiner filmischen Vermarktung Ernesto Guevaras als Rebellenfigur in gewisser Weise zuvor gekommen. Für die Filmkamera gilt beim Schießen das gleiche wie fürs Gewehr. Knapp daneben ist auch vorbei.

Titel: Che – Revolucion
Start: 11. Juni
Regie und Drehbuch: Steven Soderbergh
Darsteller: Benicio Del Toro, Demian Bechir, Catalina Sandino Moreno, Rodrigo Santoro
Verleih: Central

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