Kein ägyptischer Schinken und am Schluss sogar Spiritualität und poetische Kraft – Serie: Festspiele Bregenz (Teil 1/5): Spektakuläre Premiere von Verdis „Aida“ auf der Seebühne in Bregenz 2009

Gesamtansicht des Opernspiels AIDA auf dem Bodensee bei Bregenz.

Natürlich auf Italienische gesungen, aber rechts und links der Seebühne auf Videoschirmen so plaziert, daß die deutschen Texte von den achttausend Zuschauern mitgelesen werden können. Wenn wir den überaus gelungenen und richtig schönen und sich mit der Musik in buchstäblich himmlischer Übereinstimmung befindlichen Schluß so herausheben, dann deshalb, weil er einen mit vielem versöhnen kann und auch muß, was die beiden ersten der vieraktigen Oper an Störungen des musikalischen Empfindens und Mitgehens mit dem Operngeschehen beim Zuhörer anrichten. Hier kann man auch differenziert an sich selbst erleben, was den Unterschied vom Zuschauer und Zuhörer ausmacht. Zuschauen muß man ununterbrochen, weil kaum eine Sekunde vergeht, in der die Musik ihren Raum hat, weil der Raum vollgestopft wird mit Einfällen, die über technische Vehikel den Opernablauf stören. Sagen wir. Natürlich haben sich die englische Truppe um Regisseur Graham Vick, Bühne & Kostüme Paul Brown und Choreographie Ron Howell und der Lichtgestalter Wolfgang Göbbel bei ihren Aktionen etwas gedacht und hin und wieder ist auch ein genialer Einfall dabei.

So zum Beispiel, wenn der vor der Seebühne seichte Bodensee zu den Ufern des Nils wird und das Wasser ein tragendes Element der Aufführung wird, in das die einen plumpsen, die anderen geschmissen werden, wieder andere aus seinen Fluten auftauchen. Und wie die öfter zu öden und konventionellen Tanzeinlagen degradierten Ballette hier eine tänzerische Wassermusik hinlegen, das hat schon was. Aber damit hat es sich schon. Die Inszenierung überfordert Augen und Hirn erst einmal mit einer rasanten Abfolge von Bildern, deren Entschlüsselungsversuche einen gleich hindern, den nächsten Einfall interpretieren zu können, und auf die Musik und ihre Darbietung zu achten, weshalb das Beste an dieser Aufführung sein wird, sich auf keinen Fall Gedanken zu machen, was irgend etwas soll, sondern es einfach geschehen zu lassen, die Augen zuzumachen und den Sängern und dem Orchester zu lauschen.

Wenn die Oper beginnt, sehen wir uns einer Riesentreppe gegenüber, auf der oben zwei abgebrochene Füße stehen, die scharf blau getönt, silbrig güldene Sterne tragen. Das kennen wir schon. Das sind die Reste einer Kollosalstatue, wie sie in antiken Trümmerbewahranstalten herumstehen. Was sie bedeuten? Nimmt man sie für sich, erst einmal den Ausdruck von Macht, kein schlechtes Symbol für die ägyptische Machtstruktur, wo die Menschlein dann zu Füßen des großen Zehs auf der Seebühne wirklich zu Ameisen werden. Dann aber – das Bühnenbild ist eines im Progreß – entpuppt sich eine auf kupferfarbenem Boot darliegende Fläche durch Hochhieven und Drehen durch den Kran als Fackel der Freiheitsstatue vor New York, mit der überdimensionierten menschlichen Hand, die sie hält und zwischendrinnen schweben von links und rechts die zickzackgespaltenen Teile des Gesichts dieser Freiheitsstatue aufeinander zu, entfernen sich, kommen dichter, nur zum rekonstruierten Gesicht vereinigen können sie sich nie. Die Freiheit eine Konstruktion der Gedanken? Symbolik, ik hör dir trapsen. Und auch die Frucht, daß sich, nachdem die Tosca der Vorjahre dem Auge gewidmet war, nun nach und nach alle Körperteile drankommen.

Weniger wäre mehr gewesen, liebe Bregenzgestalter des Jahres 2009, die wir uns ja alle wünschen, daß die Festspiele ein Erfolg werden und viele Menschen anziehen. Dazu gehört auch Spektakuläres. Dem Affen Zucker geben. Das wissen wir und wenn es die Musik nicht allzu stört, sind wir ja auch einverstanden. Aber hier war in den ersten zwei Akten des Schlechten und Aufdringlichen zuviel. Das Zuviel der Bilder machte einem zum ersten Mal sinnlich deutlich, warum geschichtlich vielleicht einmal ein Bilderverbot zustandekam. Die ständigen Bewegungen der Kräne haben zudem einen akustischen Nachteil. Sie surren auffällig und die Sänger störend. Wenn dann noch – wie an diesem Abend – eine Discomusik hämmernd über den See schallt und ein Wummern und Dröhnen es mit Verdi, aber vor allem mit den Sängern aufnimmt und diese nachhaltig stört, dann wundert man sich, daß die Festspielleitung das nicht von vorneherein aus der Welt schafft oder an diesem Abend schneller zu einem Ende bringt.

Und nun zur Oper. Erst nachdem der Suezkanal passierbar war, wurde Verdi mit dieser Oper von Kairo beauftragt, ließ sich ein fürstliches Honorar zahlen und überwachte den gesamten Produktionsablauf, bei dem die Herstellung der sechs geraden, so genannten ’Aida-Trompeten’ im ägyptischen Stil noch heute musikalisch für Furore sorgte. Nach dem Erfolg am 24. Dezember 1971 in Ägypten machte die anschließende Premiere an der Scala in Mailand 1872 Verdi zu einem Unsterblichen im Opernschaffen. Lange hielt sich der ägyptische Ausstattungsmythos mit Kolosalfiguren und echten Tieren, sowie endlosen Ballettszenen. Denkbar ist alles. Das pur ägyptische pompöse Ausstattungsspektakel auf dem Hintergrund, wie sich Europäer des 19. und auch noch 20., Jahrhunderts Ägypten vorstellten, also reine Phantasie, aber als ’echt ägyptisch’ empfunden – lange war die Arena von Verona dafür ein abschreckendes Beispiel – oder aber mit Blick auf das Wesentliche der Oper, nämlich die Gefühle der beteiligten Personen, eine Aufführung, die Ägypten dann gar nicht mehr braucht, wie es Hans Neuenfels 1981 in Franfurt vormachte – bis heute Kult und dies zu Recht – zwei Ansätze, die die Bregenzer Inszenierung unter weitgehendem Verzicht auf Ägypten nun mischt.

Das alles, das starre Traditionelle bis zum wüst Modernen, ist nur möglich, weil Verdi eine lyrische eingängige, dahingleitende, einlullende und gleichzeitig immer wieder aufrührerische Musik schrieb, die durch Inszenierungen kaum totzukriegen ist. Darum herrschte auch Spannung, als mit zwei Menschenhundenaffen an der Leine die blonde Amneris (Tochter des Pharao) der Iano Tamar die Bühne betrat, gewandet in ein dunkles, sternenübersätes Abendkleid und im Laufe des Abends ihren Mezzo sehr unterschiedlich zur Geltung bringend. Zur Ouvertüre hatten die Kräne übrigens erst einmal aus den Tiefen des Nils weiße Gestalten geborgen und hochgehievt. Archäologie allerorten. Schnell entwickelt sich die Handlung, in der die in Ägypten als Sklavin gehaltene äthiopische Königstochter Aida, von dem sich steigernden Sopran der Tatiana Serjan zum Schluß inniglich überzeugend gesungen, sich in Radames, den ägyptischen Heerführer, mit Rubens Pelizzari ein echter Tenor, verliebt. Aber auch Amneris liebt ihn, der nur Augen für Aida hat und Ausdruck der persönlich Tragik in dieser geschichtlichen Situation ist, daß die Äthiopier in Ägypten einfallen wollen, um Aida zu befreien, was Radames verhindern soll, der sie ob seinen erwarteten Erfolges dann heiraten zu dürfen hofft.

Kein Wunder, daß alle ob dieser verzwickten Lage ununterbrochen die Götter anflehen und wir auch, daß wir endlich konzentriert dem Geschehen und der Musik lauschen dürften. Da aber passieren in einer sich ebenfalls ständig verändernden Bühne unaufhörlich Aktionen, die dann noch in pinkfarbene Lichtspiele übergehen, aha, auch Amneris ist jetzt nach Radames’ Sieg in Pink mitsamt ihrer Hofdamen, alles viel zu viel, ein schreckliches Flimmern und schließlich kommt tatsächlich ein Requisit aus der ägyptischen Abteilung, ein goldener Elefant herangefahren. Der allerdings ist eher ein durchsichtiges trojanisches Pferd, denn in seinem Inneren purzeln die in die Sicherheitsfarbe Grellorange gekleideten äthiopischen Gefangenen herum, die ans Licht gelassen, erst einmal mit dem Nil des Bodensees Bekanntschaft machen. Kurzum, es geht rund und nur der Kenner behält den Überblick. Allerdings fällt auch dem schwer, zu orten, wo der jeweilige Sänger steht, der ihm so überzeugend und stimmgewaltig ins Ohr sticht. Das sind die Nachteile einer Fernbühne, daß man zwar die Szene im Überblick behält, aber bei so extrem ausgeweiteter Bespielung wie hier die einzelnen – hier ebenfalls extrem weit entfernten – Personen nicht mehr ohne Anstrengung den gehörten Stimmen zuordnen kann.

Das alles steht diametral zum Charakter der Musik, die kammermusikalisch angelegt ja auch nur sehr wenige Personen neben den bisher angeführten Hauptträgern enthält, den ägyptischen Boß (Baß des Kevin Short), der den siegreichen Radames zur Heirat mit seiner Tochter verdonnert, und dessen Wunsch nach Freilassung der Gefangenen ablehnt, den Oberpriester Ramphis, dem Baß Tigran Martirossian keine anderen Entscheidungen eingeben darf und den Vater der Aida, Amonasro, den seine baritonale Verkörperung Iain Paterson in tragischer Doppelrolle als Held und gleichzeitig Vernichter des Radames und seiner eigenen Tochter. Denn er hatte mitangehört, wie Radames der Aida den Fluchtplan der eigenen Leute verriet, den nun Amonasro für die seinen nutzen kann, was wiederum auch Amneris mitverfolgte, die nun Radames als Verräter entlarvt. Eine tolle Gerichtsszene.

Im dritten und vierten Akt entwickelt sich also die Oper so, wie Verdi sie anlegte, auf das Gegenüber der wenigen Menschen und ihren musikalischen Austausch angelegt und darauf konzentriert. Tatsächlich ist die Aida eine Frauenoper, die von der Macht der Liebe der Frauen handelt. Aida geht mit dem Geliebten freiwillig in den Tod, was sie nicht müßte, denn zusammen mit ihrem Vater hätte sie die Freihielt durch Flucht wählen können. Amneris geht in sich, denn sie wird durch das schreckliche Ereignis geläutert. Nein, sterben sollte er nicht, der von ihr geliebte Radames. Und darum darf sie auch so schön singen. Weil Verdi den menschlichen Fehler, die aus Liebe geschehen, immer noch mehr Sympathie entgegenbringt, als denen die aus Machtstreben resultieren. Letztes Endes ist es diese Einstellung, die Verdi in dieser Oper zusammenpfercht: die innigliche Liebe, die besitzergreifende Liebe, die Vater-Tochter-Liebe, wo der Vater die Liebe der Tochter auch benutzt, den pompösen Gottesstaat, die Herrschenden und ihre unterdrückten Heerscharen, die Sieger und Besiegten. Ein wildes Durcheinander, zusammengehalten und geeint von Verdis Musik, das die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Carlo Rizzi unsichtbar zu Gehör brachten.

Alles in allem: hier ist die Seebühne wirklich zu einer geworden. Der See selbst ist Bühne und spielt mit. Und die Szenerie kann sowieso niemandem Bregenz nehmen. Wenn noch im Hellem der Hintergrund mit den vielen hellen Segelbooten und dem einsamen Dampfer unseren Blick hinüber zu den Lichtern von Lindau ziehen und wir auf der Wasseroberfläche das Dunkelwerden des Himmels nachgerade verfolgen können und aus dem Dämmern tiefe Dunkelheit geworden ist, dann hat die Aura des Ortes sowieso ein gemeinhin sakral genanntes Gefühl erreicht, was Verdi mit seinen berückenden Tönen befeuert. Und wenn dann Radames und Aida abheben und himmelwärts gleiten, wo sie doch eigentlich eingemauert in Kerkermauern dahinvegetieren, dann haben Musik und szenischer Ausdruck zueinandergefunden, denn das Innere des Menschen ist frei und wir erheben uns mit unseren Gedanken und Gefühlen. Tragisch zwar das Schicksal der beiden, aber auch schön.

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Veranstaltung: Bis zum 23. August 2009

www.bregenzerfestspiele.com

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