Berlin, Deutschland (Weltexpress). 31 literarische Werke umfasst inzwischen das Schaffen des letzten großen Ostpreußen-Schriftstellers Arno Surminski. Alles begann 1974, als sein Erstling „Jokehnen“ erschien, über das er sagt: „Mein Wunsch war es, mit ‚Jokehnen‘ ein Buch zu schreiben, das die Botschaft ‚Nie wieder Krieg, nie wieder Flucht und Vertreibung!‘ unausgesprochen hinausträgt“. Sein damaliger Appell wird besonders in dieser Zeit angesichts von verheerenden Kriegshandlungen vieltausendfach wiederholt. Vielleicht, möchte man mutmaßen, wäre die Botschaft von „Jokehnen“ umfassender verstanden worden, wenn sie in englischer Sprache um die Welt gegangen wäre!
Nun endlich ist es soweit. Elizabeth Hoffbauer aus Norwich hat die Übersetzung vorgelegt (erschienen sind u. a. bereits in schwedischer, russischer und französischer Fassung). Damit kann dem Ostpreußen-Klassiker „ein Schritt in die Herzen der englischsprachigen Jugend gelingen“, wagt Arno Surminski zu behaupten und meint damit auch einige seiner Enkel, die in London leben. Auch seien viele Ostpreußen in englischsprachige Länder ausgewandert, so dass „Jokehnen“ jetzt auch Lektüre für deren Enkel und Urenkel ist. Sie wollen authentisch wissen, wie ihre Vorfahren damals lebten und litten.
Wie Elizabeth Hoffbauer zu Arno Surminski gekommen ist, macht ihr sehr aufschlussreicher Beitrag deutlich. Ein Blick sozusagen hinter die Kulissen einer Übersetzerin. Normalerweise stehen die Namen nur ganz klein, fast unbedeutend im Impressum. Hier allerdings kommt endlich mal eine zu Wort.
Die Geschichte meiner Verbindung mit Arno Surminski
Ich bin 1947 in Stoke-on-Trent geboren und habe sehr früh für Fremdsprachen geschwärmt. Schon mit zehn Jahren fing ich an, Französisch zu sprechen. Im Gymnasium musste ich Französisch und Latein studieren. Mit 14 Jahren durfte ich auch Spanisch lernen. Nach einem Jahr aber verließ der Spanischlehrer die Schule, um eine Stelle in Peru aufzunehmen. Die Schule fand keinen Lehrer, um ihn zu ersetzen. Entweder musste ich zweimal die Woche in der Schule bis 18.00 bleiben, um Unterricht von einer Spanischlehrerin zu bekommen oder ich durfte mit Deutsch anfangen. Als meine Enkeltochter das erfuhr, hat sie gesagt: ‘Wenn er nicht nach Peru gegangen wär, wäre ich nie geboren worden!’ Sie hatte Recht.
Da nur drei Schülerinnen Deutsch gewählt hatten, mussten wir versprechen, dass wir mit Deutsch weitermachen bis zum ‘A’ level (Abitur). Zwei von uns haben Deutsche geheiratet und die dritte, als wir zuletzt eine Nachricht von ihr erhielten, war mit einem Deutschen verlobt. 100 Prozent Erfolg für die Deutschstudien, würde ich behaupten!
Im dritten Jahr des Kurses habe ich zu Ostern drei Wochen bei einer Familie in München verbracht. Ich habe mich bei ihnen so gut eingelebt, dass ich immer noch an sie als meine zweite Familie denke. Vor meinem Besuch hatte ich vor, Politik und Volkswirtschaft zu studieren. Nach meinem Besuch wusste ich ganz fest, dass ich Germanistik studieren wollte.
Als Teil meines Studiums in Durham University musste ich ein Jahr in Frankfurt verbringen. Ich arbeitete als Englischassistentin im Hessenkolleg Frankfurt (ein Kolleg des zweiten Bildungswegs). Die Mehrzahl der Studenten war älter als ich. Viele kamen aus dem Sudetenland, Schlesien oder der DDR. Dort habe ich meinen ersten Ehemann kennengelernt. Er war in Leipzig geboren und ist 1960 geflüchtet. Wir haben geheiratet und wohnten ab 1970 in England. Wir sind öfters mit unseren Kindern nach Leipzig gefahren, um die Verwandten zu besuchen. Ich war zum letzten Mal in der DDR mit meinem zweiten (englischen) Mann zu Ostern 1989, da die Verwandte ihn kennenlernen wollten. Ich war noch einmal wieder in Leipzig zu Besuch – aber nach der Wende.
Meine Schulfreundin Rosamund, die auch in der Deutschgruppe war, hatte inzwischen einen Deutschen geheiratet – und zwar einen Ostpreußen aus Marienburg, der 1945 als Baby mit seiner Familie nach Dänemark geflohen war. Sie wohnten etwa 35 Jahre lang in Australien, wo Rosamund bei dem australischen Rundfunk als Untertitel-Übersetzerin. Im Jahre 1990 schrieb sie mir über einen Film, an dem sie arbeitete: ‘Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland?’ Jeden Tag kam sie verlegen aus dem Zimmer mit roten Augen und einer geschwollene Nase, weil sie so geweint hatte!
Knapp zwei Wochen danach, aus reinem Zufall, war ich in einem Antiquariat in Halifax, wo ich das Buch “Jokehnen” auf einem Tisch fand. Wie hätte ich es nicht kaufen können? Ich machte zu der Zeit einen Kurs in Sunderland. Ein paar Tage später saß ich zu Mittag in einer Ecke und las “Jokehnen”. Eine englische Freundin, die lange in Bonn gearbeitet hatte, sagte mir: “Wenn Du das magst, sollst Du unbedingt auch ´Polninken` lesen!” Von dem Moment an habe ich (zusammen mit eanderen Kolleginnen) alles von Arno Surminski gelesen, was es zu kaufen gab.
Nach einigen Jahren als Lehrerin musste ich infolge Stress das Unterrichten aufgeben. Während eines halben Jahres saß ich zu Hause und wollte mich beschäftigen. Also habe ich angefangen, “Polninken” zu übersetzen. Wegen meiner Erfahrungen in der DDR wählte ich “Polninken”. Ich kannte sogar Jena, wo Irena herkommt, weil wir die Stadt von Leipzig aus besichtigt hatten.
Während sehr vieler Jahre war das mein Hobby. Als ich mit der Übersetzung fast zu Ende war, fuhr ich mit meinem Mann nach Polen, um Jäglack, Arnos Geburtsort, Angerburg, (sogar Camping Rusalka!), Frauenburg, Marienburg und Danzig mit eigenen Augen zu sehen.
In Angerburg/Wegorzewo habe ich im Touristen-Informationsbüro gefragt, ob eine Fähre noch existiere. Als sie “nein” sagte, habe ich erklärt, ich übersetze einen Roman über die Gegend. Sofort hat sie gefragt, wie der Schriftsteller heisse. Gleich nach meiner Antwort, hat sie gesagt: “Arno Surminski besucht uns nächste Woche.” So eine Enttäuschung, dass ich zu früh da war! Aber sie schlug vor, ich solle einen Brief an ihn schreiben, den sie ihm die nächste Woche geben werde. Auf die Weise haben wir uns kennengelernt und er hat mir sehr bei “Polninken” und “Jokehnen” geholfen.
Zum Glück ist Rosamund mit ihrem Mann nach Mölln umgesiedelt, so dass wir sie gleichzeitig wie die Surminskis im nahen Hamburg besuchen können.
Sprachlich spannende Parallelen
Elizabeth Hoffbauers Übersetzung ist wortgetreu und kommt damit der Originalfassung sehr nahe. Das heißt auch, dass ihre englische Wortwahl an die „Stimmigkeit“ der von Surminski heranreicht. Das, was natürlich nicht geleistet werden kann: die typische Atmosphäre in Surminskis Roman, geprägt durch ostpreußische Mundartwörter wie „klabastern“, „Kerdel“, „Kruschkenbaum“. „Meisterche“, „nuscht“, „Lorbaß“ usw. Wie sollte es auch? Schließlich sind das Ostpreußische bzw. Masurische Mundarten, die nicht übertragbar sind. Sprachlich spannend wird es, die deutsche und englische Fassung parallel zu lesen. Womit auch das vielleicht schon lange verschüttete Vokabular wieder aufgefrischt werden kann. Ein Tipp von Arno Surminski, der die mühevolle Übersetzungsarbeit intensiv begleitet hat und jetzt entsprechend zufrieden mit dem Resultat ist.
Elizabeth Hoffbauer ist „dialektaffin“, zumal sie mit dem reinen anglo-saxonischen Dialekt ihrer nordenglischen Großmutter aufgewachsen ist, der an die Heimat der Vorfahren im schleswig-holsteinischen Angeln erinnert.
Gleichwohl vermitteln die dichten Surminski-typischen Charakter- und Milieuschilderungen ein lebendiges Bild der 40er Jahre in Arno Surminskis Heimat, die Elizabeth Hoffbauer sogar selbst kennengelernt hat. Dies zeigt auch ihre besondere Verbundenheit mit Werk und Person Arno Surminski, der an einem neuen Werk arbeitet, wobei auch seine Leser stark einbezogen sind.
Bibliographische Angaben
Arno Surminski, Jokehnen or How Far Is It from East Prussia to Germany, Verlag: Janus Publishing Co., Cambridge, ISBN: 978-1-85756-923-0, zu bestellen bei: web-team@lehmanns.de