Kalkar, Deutschland (Weltexpress). Eigentlich hätte Jörg Meuthen seine Rede „schwerpunktmäßig als inhaltliche Hinführung zu einer Befassung zum Schwerpunkt-Thema dieses Parteitages … nutzen“ wollen. Er hätte wohl wirklich gerne über eine modernisierte und zukunftskräftige Sozialpolitik sprechen wollen, denn er fände „sozialpolitische Reformüberlegungen, dieses Thema „höchstwichtig“, aber ein anderes offensichtlich dringlicher und wichtiger.
Keine fünf Minuten braucht der eine seit Juli 2015 amtierende Parteivorsitzender der AfD. Der andere ist Tino Chrupalla. Unter dem Motto „Mut zur Wahrheit“ beginnt er über eine einmalige Erfolgsgeschichte der AfD zu sprechen, die an einem Punkt angelegt sei, „bei der es nicht mehr automatisch immer weiter nach oben geht und sich Wahlerfolg an Wahlerfolg reiht“.
Meuthen sieht die AfD, welche bisher die Altparteien vor sich her getrieben habe, in einer Lage, in der auch alles „kaputtgehen“ könne, statt weiter oder wenigstens das Erreichte konservierend, was „wahrlich nicht an unseren politischen Gegnern“ läge. Die „Merkel-CDU“ wie die SPD, FDP und die „sogenannten Grünen“ sei „mindestens so schwach und vor den Problemen unserer Zeit versagend wie eh und je“. „Im Grunde sogar mehr denn je.“
Eigentlich müsste die AfD punkten und dazugewinne, doch das Gegenteil drohe. „Einheit in was denn“, fragt Meuthen in den Saal, in dem gut und gerne 500 Delegierte sitzen. Es reiche nicht, sich wechselseitig zu versichern, man sei konservativ, da liege doch die Gemeinsamkeit.. Einige in unseren Reihen scheinen darunter ein Zurück ins gestern zu verstehen, fühlen sich bei Bismarck zu Hause und verehren geradezu schwärmerisch diese historische Figur“, sagt Meuthen. Ein „Bismark 21 als Lösung der heutigen Wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme des Landes … mag romantisch sein“, aber das sei zukunftsblind. Nur wenige klatschen, als Meuthen meint, dass „die Probleme von morgen“ nicht „mit den Rezepten von vorgestern“ zu „gestalten“ seien.
„Das Gestern ist vergangen und wird nicht wiederkommen.“
Weiter sagt Meuthen: „Wer sich erst in Wort oder Handeln tüchtig daneben benimmt, um dann aber sogleich die Solidarität der ganzen Partei mit diesem Verhalten einzufordern, versucht Parteimitglieder in eine Kollektivhaftung für das eigene Fehlverhalten zu nehmen.“ Beifall brandet auf.
„Lassen wir lieber die im Regen stehen´, die nur allzu gern herumkrakeelen und rumprollen, oder auch andere dazu einladen wie wir das vergangene Woche leider im Bundestag, weil sie sich in der Rolle des Provokateurs gefallen wie pubertierende Schuljungen, um vor allem der eigenen überschaubaren Blase zeigen zu wollen, was für tolle Kerle sie doch sind.“ Beifall.
„Verweigern wir diesen Leuten die Geschlossenheit!“
„Wegen solcher Vorkommnisse wählen uns Scharen von Menschen dann nicht mehr, die uns bislang gewählt haben. Und das sind Menschen, die fast schon verzweifelt nach einer guten Alternative zu den Altparteien suchen, die sie nur zu gerne in uns sehen möchten, aber wegen der einen oder anderen Entgleisung dann eben nicht mehr könne. Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten. So geht das nicht“, ruft Meuthen in den Saal und erntet überwiegend Applaus.
Wenn das so weiter gehe, würden wir immer mehr Menschen verlieren, die uns auf der Suche nach einer vernünftigen Alternative zum ganzen politischen Irrsinn der Merkelschen Politik zu gerne ihr Vertrauen schenken würden und das genau deswegen nicht mehr können.
Meuthen mahnt „innerparteiliche Disziplin“ an. Dazu gehöre „untadeliges Verhalten aller Funktionäre und auch Mitglieder vom Parlament bis zum Straßenstand“.
Dann kritisiert Meuthen Merkel und deren repressive Maßnahmen, aber auch diejenigen, die von einer „Corona-Diktatur“ sprechen würden. Ob es wirklich klug sei, im Parlament von einer solchen zu sprechen, fragt Meuthen und knöpft sich indirekt auch Alexander Gauland und andere vor, um zu antworten: „Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag heute wohl auch kaum abhalten.“
Zudem kritisiert Meuthen die scheinbar kritiklose Verbrüderung von einigen Mitliedern und Mandatsträgern mit den Querdenken-Bewegung. Dort würden sich „neben ganz normalen besorgten … Bürgern … auch nicht ganz wenige Zeitgenossen, deren skurrile, zum Teil auch offen systemfeindlichen Positionen und Ansichten den Verdacht nahelegen, dass bei ihnen tragischerweise noch nicht einmal das Geradeausdenken richtig funktioniert, geschweige denn echtes Querdenken.“
Beifall und Buh-Rufe im Saal.
Meuthen legt nach und sagt: „Was zeichnet denn das für ein Bild von unserer Partei, wenn einige von uns da jede Distanz vermissen lassen und die üblichen Medien sich begierig in ihrer einseitigen Berichterstattung darauf stürzen.
Meuthen fragt weiter: „Und ist es klug, mit der ganz gezielten Verwendung des Begriffes Ermächtigungsgesetz in Verbindung mit der natürlich hart zu kritisierenden Veränderung des Infektionsschutzgesetzes zu hantieren und damit auch ganz bewusst Assoziationen an die NS-Zeit und Hitlers Machtergreifung ’33 zu wecken?“
„Sollten sich“, so Meuthen, „solche Vergleiche angesichts der allgemein bekannten Monstrosität und in dieser Dimension auch Singularität der Nazi-Barbarei nicht selbst verbieten, weil darin nämlich eine implizite Verharmlosung der grauenhaften Untaten jener finsteren Zeit liegt?“
Beifall, aber nicht von allen.
Meuthen will, das spricht aus jedem Satz, nicht, dass das so weitergeht. „Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar sehr entschlossen und sehr bald, oder wir werden als Partei in keineswegs ferner Zukunft in ganz, ganz schwere See geraten. Und das will ich partout vermeiden.“
Noch sieht Meuthen sich und die AfD-Miglieder als die einzigen seriöse Alternative, als „konservative Rechtsstaatspartei“ in der BRD, die den Einheits- und Altparteien Paroli bieten würden.
„Wer weiter Revolutions- und Politkasperle spielen“ wolle, sagt Meuthen, kann und sollte das … woanders tun, aber nicht in der AfD.“