Ist Hanns Eisler das Problem oder die Nachwelt? – Nachlese zu den Hanns-Eisler-Tagen 2012

Screenshot der Website zu den Hans-Eisler-Tagen 2012 in Berlin. © WELTEXPRESS

Das Spannungsfeld um den Kommunisten Eisler fordert naturgemäß die Frage nach Hanns Eisler und der Nachwelt heraus. Da geht es darum, was wird gespielt, aber auch um die Frage, was weiß die Musikwelt von Eisler angesichts seiner Verteufelung als Kommunist und als » Agitpropmusiker«, der in der DDR bewußt seinen Platz gewählt hatte wie Bertolt Brecht, Helene Weigel, Anna Seghers, Arnold Zweig und andere. Die Nachwelt muss mit Eisler bekannt gemacht werden. Kein leichtes Unterfangen. Als Peter Schweinhardt im Symposion fragte: »Sind welche da, die Leute gut kennen, die Eisler gut gekannt haben?« hoben sich nur wenige Arme.

Breite und Vielfalt

Wesentliches Anliegen war die Vergegenwärtigung der Breite des Eislerschen Schaffens,  seiner Kammermusik, seiner Kammersymphonie, seiner Orchestermusik und der zahlreichen Filmmusiken, von denen allein die DEFA-Stiftung 42 dokumentiert hat. Klaus Völker, Vorsitzender der Hanns-Eisler-Gesellschaft, konstatierte, dass die Fachwelt Eisler als großen Schüler Arnold Schönbergs zur Kenntnis nimmt, und dass seine Kammermusik mehr und mehr gespielt wird. Völker beklagt jedoch, dass die Bühnenmusik Eislers, zum Beispiel zu den Brecht-Stücken »Leben des Galilei« und »Die Gesichte der Simone Machard«, nicht mehr gespielt wird, auch wenn die Stücke auf dem Spielplan stehen. Durch die Ausdünnung der Theaterlandschaft sind Musiker und Sänger aus den Theatern verschwunden. Das führe zur Verarmung des Theaters als Ganzheit von Stück, Regie, Bühnenbild und Musik. Bedauerlich sei auch, dass die Musik zu dem Riesenwerk »Die Maßnahme« kaum bekannt ist, weil ihre Aufführung lange von Barbara Brecht blockiert wurde.
Die Unterschiedlichkeit der Rezeption der Persönlichkeit und des Schaffens Eislers analysierte Jürgen Schebera an Hand von fünf Filmdokumentationen, von denen die aus der BRD 1972 und aus der DDR 1973 vom Kalten Krieg beeinflusst waren. Daran hat sich nicht viel geändert angesichts dessen, dass die deutschen und österreichischen TV-Sender, aber auch bedeutende Zeitungen wie die Berliner Zeitung vom 50. Todestag keine Notiz nahmen. Auch die Spielpläne der Berliner Orchester bringen wenig Rühmliches zu Tage (Berliner Philharmoniker null Eisler, Deutsches Symphonie Orchester ebenfalls). Das Konzerthausorchester hat Eisler viermal im Programm, darunter die Deutsche Sinfonie. Die Hochschule für Musik »Hanns Eisler« wird am 9. November einen Eisler-Tag veranstalten.

KPD-Mitglied

Neues zu Eislers Biographie trugen Horst Weber, Berlin, Hartmut Krones, Wien, und Hannes Heher, Wien, bei. Weber legte sein Buch »I ´m not a hero, I ´m a composer« über Eislers Zeit in den USA vor, das zu großen Teilen auf seiner Akte bei der Einwanderungsbehörde und den Protokollen des Ausschusses zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten beruht. Viele Details, doch das Entscheidende: der Leser  lernt einen Mann mit Charakter kennen, der auch Illegalität nicht scheut, um sein Ziel zu erreichen. Gerade seine Arbeit mit Massenchören in den Dreißiger Jahren in den USA machte ihn den Behörden verdächtig. Die Protokolle beweisen, wie Eisler mit den Untersuchungsausschußmitgliedern spielt. Sie sind ihm nicht gewachsen. Eisler musste seine Mitgliedschaft in der KPD leugnen. Dass er Mitglied war, hält Weber für geklärt, denn er fand eine entsprechende Bleistiftnotiz Eislers. Die unermüdliche Arbeit mit Arbeiterchören in Österreich, Deutschland, Dänemark, Spanien und in den USA weisen ihn als Revolutionär aus. Eisler war kein Beobachter. Wo für die Arbeiterklasse etwas auf dem Spiele stand, eilte er hin, zum Beispiel 1937 nach Spanien, um gemeinsam mit Ernst Busch etwas für die Spanische Republik zu tun.

Origlnal-Eisler-Aufnahme

Nach seiner Ausweisung aus den USA 1948 dirigierte Eisler viele Konzerte im Rundfunk im sowjetischen Sektor in Wien. Tondokumente sind laut Heher kaum vorhanden, weil sie nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1955 von einer reaktionären Rundfunkleitung fast alle vernichtet wurden. Hehers Information, ein historisches Tondokument sei die einzige erhalten gebliebene Aufnahme von Eislermusik mit dem Komponisten als Dirigenten, mag für Österreich stimmen. Dem Autor ist eine Aufnahme vom Januar 1955 bekannt, in der Hanns Eisler die Musik zu Johannes R. Bechers Stück »Winterschlacht« dirigiert. Sie liegt im Archiv des Berliner Ensembles (Uraufführung am 13. Januar 1955).

Eine einzigartige Quelle für das Lernen von Hanns Eisler sind die Interviews, die Hans-Joachim Bunge 1958 mit Eisler führte, veröffentlicht in dem Buch »Fragen Sie mehr über Brecht«. Der Leser findet ein Kompendium an Berichten, Anekdoten, an Wissen, Ansichten und Ideen des Komponisten. Nicht weniger wichtig ist die englische Übersetzung, die Bunges Tochter Sabine Berendse vorstellte. Sie wird demnächst in England erscheinen und der internationalen Verbreitung von Eislers Werk weitere Impulse verleihen.

Der einzige wissenschaftliche Streit auf dem Symposion entzündete sich an Eislers Opernlibretto »Johann Faustus«, gegen das 1952 in der DDR eine ideologische Kampagne geführt wurde, die Eisler die Lust nahm, dazu die Musik zu schreiben. Arnold Pistiak, Potsdam, interpretierte es als Verurteilung des Stalinismus, Faust erscheint als Renegat. Andere Diskutanten erblickten darin Eislers Kritik an der Käuflichkeit der Kultur oder die Entlarvung der Nazis. Gerd Rienäcker hingegen wies auf die enorme Komplexität des Stückes hin, wobei die Stalinkritik nur eine von vielen Deutungen sei. Dass Eisler die Oper nicht komponiert habe, erkläre sich aus seinem Miniaturismus. Für eine durchkomponierte Oper habe ihm einfach die Erfahrung gefehlt. Hier ging es um Grundfragen. Die Diskussion hier abzubrechen, war die schwächste Leistung des Symposions.

Zur Persönlichkeit Eislers gehört, dass er ein ständig Lernender war, von sich selbst, von anderen, von der musikalischen Praxis: ein Dialektiker. Die Gesamtausgabe seiner Werke, deren Plan von einem Team der Freien Universität vorgestellt wurde, wird eine Fundgrube von der unermüdlichen Vervollkommnung des Meisters sein. Klar wurde auch: Eisler hatte unendlich viele Ideen, die er nicht realisieren konnte. Auch das gehört zum Bild eines Genies.

Ein weißer Fleck in der Forschung ist die Frage: Welche Wirkung und welche Verbreitung haben Eislers Kampf- und Massenlieder in heutigen politischen Bewegungen, in Streiks und Strassenblockaden, in den Gewerkschaften und in der Friedensbewegung, im Kampf gegen die Neonazis?

Commune oder Ende der Geschichte?

Bei aller Notwendigkeit, die Vielseitigkeit von Eislers Werk der Öffentlichkeit bewusst zu machen, ist eine Entpolitisierung nicht möglich. Eisler bleibt der große Musik-Erfinder, der Kommunist und »Sänger des Proletariats«. Das beweisen die vielfachen Darbietungen seines Liedguts, vom Wiegenlied bis zur Deutschen Sinfonie. Einige Interpreten singen heute die revolutionären Lieder Hanns Eislers wie einen Abschied von der Revolution, oder sie werden auf Instrumentalmusik reduziert (Text entfällt). So im Chanson-Abend Dagmar Manzels und ihres Arrangeurs Tal Balshai im Konzerthaus. Doch auch die marxistische Zeitung »jungeWelt« pflegt den Geschichtsnihilismus. Laura Einhorn meint, man könne nicht wie in der Pariser Commune 1871 die Fabriken übernehmen, auch nicht die Kanonen umdrehen, denn »1871 gab es die Notwendigkeit aufzubegehren, 1998 nicht«, wird Michael Gross zitiert. Die Arbeiterbewegung pfeife auf dem letzten Loch. Das schreibt die Zeitung, die Inge Vietts aufrührerische Reden druckt und dafür vor Gericht landet.

Lange Hanns-Eisler-Nacht

Von ganz anderem Kaliber waren dagegen in der Langen Hanns-Eisler-Nacht in der Akademie der Künste Sonja Kehler, Hans-Eckart Wenzel, Peter Siche, die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot, die Eisler-Ladies, das Bremer Eisler-Ensemble und der Hanns-Eisler-Chor Berlin, die die Kraft und die Klarheit seiner Lieder »rüberbrachten«, zum Beispiel Hans-Eckart Wenzel mit dem Einheitsfrontlied. Sie vermittelten mehr als eine Ahnung, der Kapitalismus sei nicht das Ende der Geschichte. Wer die herzerfrischenden »Erinnerungen« Gisela Mays, die Eisler-Anekdoten zum besten gab, gehört hat, möchte sowieso an kein Ende glauben. Da wackelten die Wände. Der Erbe Hanns Eislers, der Schriftsteller Daniel Pozner, sagte es: »Frisch, lebhaft, intelligent, jugendlich, unerwartet, schroff! Vielleicht sollte man Hanns Eisler 2012 so feiern.«

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