Moshe Kahlon, der Gründer der Partei, ist ehemaliges Likudmiglied und hat sich Shivion auf seine Fahnen geschrieben, Gleichheit auf Hebräisch. Bezahlbare Mieten und Eigentumswohnungen sowie das Monopol der Banken – das sind die Themen der neuen Partei, der zwischen 8 und 10 Sitzen prognostiziert werden.
Israel sucht wieder einmal den Messias. Und bei der aktuellen Suche ist einiges anders: Erstmals müssen Parteien statt der Zwei-Prozent-Hürde eine 3,25 Prozent-Hürde überspringen, um ins Parlament einzuziehen. Kritiker sehen in der Erhöhung der Sperrklausel das in ihren Augen unlautere Motiv, den arabischen Parteien den Einzug in die Knesset zu erschweren. Diese haben sich jedenfalls zusammengeschlossen zur Vereinigten Liste, die mit prognostizierten 12-14 Sitzen drittstärkste politische Kraft werden könnte. Ebenfalls neu ist: Premierminister Netanyahu hat einen starken Widersacher: Jitzchak Herzog von der Arbeitspartei Avoda hat sich mit der früheren Außenministerin Zipi Livni und Justizministerin der letzten Regierung zusammengeschlossen zur so genannten Zionistischen Union. Diese lag lange Zeit mit Netanyahus Likud gleichauf, hat aber nach den letzten Umfragen einen Vorsprung von ein bis drei Sitzen. Das dürfte auch an den Vorwürfen und Anschuldigungen zu Netanyahus Lebensstil liegen. Die Medien stürzten sich auf diese Themen von Eiskreme-Rechnungen über Flaschenpfand-Einbehalten und fliegenden Pantoffeln. Netanyahu selbst, in Israel nur Bibi genannt, setzt wieder einmal auf die Angstkarte und hat sein Wahlkampfthema von vor zwei Jahren wiederbelebt: Iran und eine mögliche iranische Atombombe.
Kein Wunder, dass viele Menschen landauf landab weder wissen, ob sie überhaupt wählen gehen und wenn ja – wen bitte. Jiries, ein Palästinenser aus dem galiläischen Mghar, der in einem Kibbuzferiendorf am See Genesareth arbeitet, ist sich auch noch unsicher. Dann sagt er: „Hauptsache ist, dass es Netanyahu nicht wird.” Sein Arbeitskollege Raed, Muslim und auch israelischer Araber oder – wie sich neuerdings nennen – Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit – erklärt überzeugt: „Es ist egal, wer die Wahlen gewinnt. Es sind doch alle gleich.” Nathanael, ein Jude, der im Freilichtmuseum Nazareth Village arbeitet, weiß auch noch nicht, wem er seine Stimme geben soll. Vielleicht diesem Neuen, meint er und ihm fällt nicht einmal der Name ein. Meint er Kahlons Partei Kulanu oder die ultraorthodoxe neue Partei Yachad – Ha ´am Itanu (Gemeinsame – das Volk ist auf unserer Seite), der drei bis vier Sitze vorhergesagt werden und die in letzter Zeit Wahlkampfveranstaltungen der arabischen Liste gestört sowie über Telefon und soziale Medien Drohungen ausgesprochen haben?
Sind israelischen Juden überhaupt die Probleme in Jerusalems Altstadt, genau 966 Schritte vom Zionsplatz entfernt, bewusst? Hier und in anderen Vierteln Ost-Jerusalems wie Silwan oder Jabbal Mukkaber fahren immer wieder die Abrissbagger vor, um Palästinenser, die schwarz gebaut haben, durch Abriss zu strafen; 167 Menschen wurden dadurch allein 2014 obdachlos. Wer weiß schon von der Weigerung der Stadtverwaltung, Palästinensern Baugenehmigungen zu erteilen oder nur nach langer Wartezeit oder gegen fünfstellige Euro-Beträge? Welcher Jude in West-Jerusalem, geschweige denn in Tel Aviv oder Haifa, ahnt, dass manche Viertel in Ost-Jerusalem über keine Straßenbeleuchtung, keine Gehsteige oder keinen Wasseranschluss verfügen? Oder dass das Wort Müllabfuhr ein Fremdwort ist? Wen kümmert es in Eilat oder Tiberias, dass über 90 Prozent des Wassers im Gaza-Streifen nicht trinkbar ist? Pater Nikodemus von der Benediktiner-Abtei Dormitio – im Niemandsland zwischen West- und Ost-Jerusalem – bringt es auf den Punkt: „Wir wünschen uns als Ausländer andere Wahlkampfthemen.” Sollen Mehrwehrt-, Erbschafts- und Immobiliensteuer wichtiger sein als der Frieden mit den Nachbarn?