IOC-Spitzenkandidat Dr. Thomas Bach äußerte sich während der DFL-Generalversammlung zur Doping Studie, DFB Präsident Niersbach etwas irritiert – 804 Seiten veröffentlichen – Systematische Verschleppung?

"Sportfamilie" fordert komplette Studie

Er zeigte große Freude am schwarz-rot-goldenen Champions League Finale in Wembley. “Der Deutsche Fußball hat in Großbritannien eine große Anhängerschaft gewonnen," betonte Bach. Nicht ohne Erwähnung blieb die aktuelle und umstrittene wissenschaftliche Doping-Studie der Humboldt-Universität Berlin und der Universität Münster. Der DOSB Sportpräsident wiederholte im Kreise der Vertreter und Manager von 36 aktuellen Erstliga- und Zweitligavereinen der DFL die vorher bekanntgegebene Presseerklärung seines Verbandes und forderte die Berliner Forschergruppe um Giselher Spitzer auf, ihren offenbar der Süddeutschen Zeitung vorliegenden 804 Seiten starken Bericht komplett der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach einer eiligen  Telefonkonferenz seines Präsidiums mit Vertretern der Sprechergruppen im DOSB hatte der Dachverband des deutschen Sports mit Hinweis auf seine eigene DOSB-Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation" aus dem Jahr 2008 per Meldung erklärt:

Pressetext zur Doping Irritation

„Wir stehen ohne Wenn und Aber zu unserer Initiative aus dem Jahr 2008, die Dopinggeschichte in Deutschland anknüpfend an die bereits vorliegenden Forschungen von u.a.Berendonk/ Franke und Singler/Treutlein umfassend und systematisch zu untersuchen. Wir begrüßen, dass das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) als alleiniger Auftraggeber der Studie den von den Forschergruppen der Universität Münster und der Humboldt-Universität Berlin erarbeiteten Abschlussbericht am Montag auf seiner Homepage veröffentlicht hat. Offensichtlich liegt einer Zeitung ein weiterer 804 Seiten starker Bericht der Berliner Forscher vor. Als Initiator treten wir für volle Transparenz ein und fordern die Forscher auf, den Bericht der gesamten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach Angaben des BISp hat dieses eine entsprechende Freigabe zur Veröffentlichung durch die Forschergruppe am 30. Mai 2012 erteilt. Der DOSB hat eine unabhängige Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Richters am Bundesverfassung, Prof. Dr. Udo Steiner, eingerichtet. Diese Kommission wird dem DOSB Empfehlungen für den Umgang mit der Vergangenheit und für daraus zu ziehende Lehren für den Anti-Dopingkampf geben. Wir erwarten, dass dieser Kommission alle Unterlagen der beiden Forschergruppen aus Münster und Berlin vollständig zur Verfügung gestellt werden."

Mehrzweckwaffe

Ein zeitnahes Bach-Interview mit dem "ZDF-heute-Journal" ergab einen weiteren Hinweis, dass die brisante Studie ehemalige DFB-Nationalspieler verdächtigen soll, so dass sicherlich auch der DFB die Dienste vom Steiner benötigen wird. Der umtriebige 73-jährige Rentner gilt als "Mehrzweckwaffe und aufklärender Krisenlöser" für die Gilde deutscher Sportfunktionäre, die es sich unangenehmer Wahrheiten stellen müssen. Die DFL-Generalversammlung des Ligaverbandes benannte am Mittwoch Prof. Dr. Steiner einstimmig als Vorsitzenden des Ständigen Schiedsgerichts der Deutschen Fußball Liga (DFL). Schon am Montag hatte Steiner den Vorsitz einer unabhängigen Kommission übernommen, die vom DOSB nach der vor zwei Tagen veröffentlichten Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" eingesetzt wurde. Steiner werde den Bericht evaluieren und dem DOSB-Präsidium Empfehlungen "geben für den Umgang damit und auch für Lehren für die Zukunft", kündigte DOSB-Präsident Thomas Bach im “ZDF-heute-Interview” an.

Anschuldigungen

Wissentlich vermied der neue DFB-Präsident Wolfgang Niersbach während seiner Gastrede auf der DFL-Generalversammlung auf die erhobenen Anschuldigungen in Sachen Doping  einzugehen, die über Ephedrin-Missbrauch von DFB-Nationalspielern bei der WM 1966 in England intensiv berichtet hatten. Das staatliche Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) beklagt in der Studie die fehlende Unterstützung durch den DFB. Auf Basis einer SID-Anfrage reagierte heute Niersbachs Statthalter DFB-Mediendirektor Ralf Köttker im Frankfurter Hauptquartier auf die Anschuldigungen gegen Spieler aus der Vize-Weltmeistermannschaft von 1966 und erklärte: „Der renommierte Jura-Professor Martin Nolte von der Sporthochschule Köln hat sich in einer Studie intensiv mit dem Thema befasst und kommt zu dem klaren Ergebnis, dass bei der WM 1966 kein Dopingvergehen vorlag." Zum besseren Verständnis: die BISp-Studie erwähnt einen Brief des FIFA-Funktionärs Prof. Dr. Mihailo Andrejevic an den Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Dr. med. Max Danz, aus dem Jahr 1966, der sich mit den Dopingkontrollen des Weltfußballverbandes bei der WM 1966 in England auseinandersetzte. „Dieses Schreiben belegt, dass drei deutschen Fußballern am Ende des Turniers ‚feine Spuren‘ Ephedrin nachgewiesen wurden", heißt es wortwörtlich in der Studie. Schon damals sei Ephedrin, ein gängiges Mittel gegen Schnupfen, ganz klar ein verbotenes Dopingmittel gewesen. Dieser Brief sei dem DFB bis zur Veröffentlichung in den Medien Ende 2011 gänzlich unbekannt gewesen, sagte DFB-Vize-Präsident Rainer Koch tags zuvor am Dienstag im Interview mit dfb.de. Bauernschlau folgerte Funktionär Koch: die FIFA habe allerdings „1966 keinen der genannten Spieler wegen Dopings verurteilt oder gesperrt".

Doping in der Bundesliga

Aber es geht weiter: laut Studie spricht einiges dafür, dass in der Fußball-Bundesliga gedopt wurde. Dies folgern die Wissenschaftler aus einer einzigen Aussage. „Auch der Vorwurf des Sportmediziners Dirk Clasing aus dem Jahre 1970, wonach es keine Fußball-Elf gebe, ‚die nicht in irgendeiner Form gedopt ins Spiel‘ gehe, deutet auf einen verbreiteten Amphetamin-Konsum in der 1963 gegründeten Fußball-Bundesliga hin." Beweise für diese Behauptung werden nicht geliefert. In der Studie heißt es ferner: „Am DLV und dem Deutschen Fußball-Bund, die beide ihre Dopingskandale hatten, sehen wir beispielhaft, wie seitens der Verbände agiert wurde,um die vereinbarten Dopingkontrollen bis zur Wendezeit von 1989/90 wirksam zu verschleppen oder zu umgehen." So kann die daraus zu folgernde eigentliche Grundthese nur lauten: “Wegen des koordinierten Vorgehens der Akteure einschließlich des BISp kann man hier von einer systematischen Verschleppung sprechen.”

Glaubwürdigkeit

Die sich ergebene Grundthese ist laut Angaben von DFB-Direktor Köttker an den Haaren herbeigezogen. „Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben einem Mitglied des Forscherteams von der Universität Münster unter Berücksichtigung der geltenden Datenschutzbestimmungen einen umfangreichen Einblick gewährt", erläuterte DFB Mediendirektor Köttker dem Sport-Informations-Dienst (SID). Der DFB hatte im Jahre 2011, nachdem die Spekulationen über Dopingeinnahmen bei der WM 1966 in England bekannt geworden waren, vorsichtshalber ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kam, angesichts der Umstände von damals könne nicht von Dopingfällen gesprochen werden. DFB-Vize-Präsident Rainer Koch erklärte zur Veröffentlichung der BISp-Studie, er finde es „richtig und zielführend, dass der DOSB das Thema mit Hilfe von Professor Udo Steiner umfassend aufarbeitet. Der DFB unterstützt den DOSB aus voller Überzeugung in seinem Anliegen, für Aufklärung und eine größtmögliche Transparenz zu sorgen. Es geht bei diesem Thema um die Glaubwürdigkeit des gesamten Sports."

Grundfesten

Es ist nicht das erste Mal, dass der Regensburger Juraprofessor in Pension mit seiner ausgezeichneten Reputation dem deutschen Sport aus der Klemme helfen soll. Im Jahr 2008 hatte er die Leitung einer unabhängigen Kommission des DOSB übernommen, die Trainer und Funktionäre mit Doping-Vergangenheit überprüfen sollte. Nach seinem altersbedingten Ausscheiden beim Bundesverfassungsgericht konnte sich Steiner verstärkt dem Thema Sportrecht widmen – der DOSB und DFB wollen erneut davon profitieren. Nach Genehmigung des Haushaltsplan für das laufende Geschäftsjahr und der finanziellen Vorschau für das nächste Geschäftsjahr kündigte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert süffisant an, dass ab kommender Saison in beiden Bundesligen  Urin- und Bluttests der nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) während der üblichen Trainingszeiten der Profifußballer durchgeführt werden sollen. Glaubwürdigkeit und Integrität der beiden Bundesligen und der in ihr handelden Personen sollten präventiv ausgebaut werden. Unglaubwürdigkeit schade dem Geschäft in seinen Grundfesten, so Seifert, der schon vor Monaten vom DFL-Aufsichtsrat bis zum Jahre 2017 bestellt wurde.

Nicht verdriesen

Seiferts Stellverteter in der DFL-Geschäftsführung Andreas Rettig präzisierte seinen Kollegen im Detail des ernsthaft angekündigten Ant-Doping-Kampf im Bundesliga Fußball: "Unsere feste Absicht ist, dass es die Blutkontrollen schon in dieser Saison gibt. Der DFB ist in den Endverhandlungen mit der NADA. Vertragspartner sind DFB und NADA, die DFL ist Juniorpartner. Sobald die Verträge ratifiziert sind, wird es zu Blutkontrollen kommen." Es sei weiterhin vorgesehen, dass 15 Prozent der Urinproben durch Blutkontrollen ersetzt werden. Es sei ein gutes Zeichen vom Profifußball, dass er vorangehe. Die Dopingkontrollen waren 2012 größtenteils von der Nationalen Anti-Doping-Agentur durchgeführt worden. Von 2144 Kontrollen erfolgten rund 500 im Trainingsbetrieb. Es war schon amüsant zu beobachten, dass DFB-Chef Wolfgang Niersbach die Feierlaune der Generalversammlung – schließlich hatten auch die Spieler der 66er WM-Nationalelf am Abend zuvor im Berliner Estrel Convention Center den 50. Geburtstag der Bundesliga gefeiert – nicht verdriesen wollte und in seinem freundlichen Grußwort das leidige Doping-Thema umschiffte.

Weißes Schaf

Als dann aber DOSB-Präsident Bach und sogar der frisch wiedergewählte DFL-Präsident Dr. Reinard Rauball zum Thema der aktuellen BSIp-Doping Studie in ihren nachfolgenden Reden so richtig losgelegt hatten, bekannte auch Wolfgang Niersbach, dass der DFB zusammen mit der NADA und der DFL als Juniorpartner ernsthaft überfällige Blutkontrollen in der Bundesliga einführen zu wollen. Wolfgang Niersbach bemerkte am Rande der Veranstaltung zu dpa:  "Es ist das richtige Zeichen, dass wir schon vor den Ereignissen beschlossen haben, ab der neuen Saison Blutkontrollen einzuführen." So schön auch das  kritische Thema "Blutkontrollen" von Seiten der DFL an diesem Familientreffen der 36 Vereine und Kapitalgesellschaften verpackt wurde, als bahnbrechende Neuerung wird es wohl kaum zu verkaufen sein. Der deutsche Profifußball und seine stolze Nationalmannschaft haben den Anti-Doping-Kampf bisher eher stiefmütterlich behandelt. Blutkontrollen sind im Radsport oder in der Leichtathletik bereits seit Jahren fester Bestandteil des Kontrollsystems. Resumée: unter lauter schwarzen Schafen gab es bislang nur eine weißes Schaf – den Fußball.

Anmerkung:

Dieser Artikel wurde am 7. August 2013 fertiggestellt.

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