Internationaler Literaturpreis Haus der Kulturen der Welt – Verliehen an Daniel Alarcón für „Lost City Radio“ im Wagenbach Verlag

Buchcover von "Lost City Radio", ein Roman von Daniel Alarcón

Wilfried F. Schoeller hatte die Preisverleihung moderiert, Anna Thalbach aus dem roman gelesen, zuvor Bernd M. Scherer eine Einführung gehalten. Es gab eine Festrede von Ilija Trojanov und die Laudatio auf die Preisträger durch Ottmar Ette. Alarcón ist zwar peruanischer Herkunft, 1977 in Lima geboren, aber mit seiner Familie vor dem peruanischen Bürgerkrieg in dieUSA emigriert. Heute lebt er in Oakland und sein Debütroman wurde aus dem amerikanischen Englisch übersetzt. Seine Kurzgeschichten erschienen u.a. im New Yorker und wurden 2006 unter dem Titel War by Candlelight für den PEN-Hemingway Award nominiert. Alcarcón istMitherausgeber der peruanischen Literaturzeitschrift Etiqueta Negra und erhielt 2007 für seine Arbeit in den USA ein Guggenheimstipendium. Er wurde sowohl von der Zeitschrift GRANTA als auch von Smithsonian Magazine in die Liste der besten Nachwuchsschriftsteller aufgenommen.

„In der Jurybegründung heißt es:

„Der Debütroman des 1977 in Peru geborenen und in den USA aufgewachsenen Daniel Alarcón konfrontiert uns auf eindringliche und einfühlsame Weise mit einer Welt, in der das Zusammenleben immer wieder von Bürgerkrieg und Gewalt bedroht wird. Ein Roman, der sich wie eine Parabel liest – ein präziser literarischer Entwurf, der eine nicht näher verortete Gewaltsituation sowohl auf Süd- und Mittelamerika wie auch auf koloniale Regime Andernorts übertragbar erscheinen lässt: Die Verschwundenen und der Kampf gegen das Vergessen sind zentrales Thema dieses geschickt komponierten Romans.

Alarcón schreibt in der Sprache seiner neuen Heimat USA und erlebt mit kühlem und präzisem Blick Geschichten seines Herkunftslandes nach. Die raffiniert Verknüpfung verschiedener, fein ausgearbeiteter, nicht chronologisch angeordneter Erzählstränge zeigt – jenseits eines vordergründig lateinamerikanischen Szenarios – die weltweiten Webmuster von Macht und Gewalt auf: Sie werden in der Radiosendung Lost City Radio subtil übersetzt, gleichsam hörbar gemacht. Die sinnliche Stimme der Rundfunksprecherin Norma trifft die Stimmung und der sprachlos Gewordenen so, wie die Radiosendung den Sinn, die Sendung der Literatur freisetzt. Das Medium Radio erhält seine eigenständige Rolle und vermag die so verschiedenen Atmosphären von Stadt und Dschungel miteinander zu verbinden. Vorangetrieben von einem unbändigen Willen zum Erzählen entsteht aus der meisterhaften und kongenial übersetzten Prosa des Romans das faszinierende Bewegungsbild einer Literatur, die zwischen den Welten, zwischen den Gewalten, zwischen den Sprachen ihre eigenen Stimme und ihren Eigen-Sinn entfaltet.“

„Friederike Meltendorfs Übersetzung von Daniel Alarcóns Roman Lost City Radio aus dem amerikanischen Englisch kann als kongenial bezeichnet werden. Mit großem Einfühlungsvermögen und Stilsicherheit im Deutschen ist sie in der Lage, die klare, zuweilen karge, präzise und lakonische Sprache des Originals wiederzugeben, ohne dabei den wunder baren Rhythmus, die zarte situative Poesie zu verlieren. Die deutsche Übersetzung trifft die unterschiedlichen Tonlagen der verschiedenen Erzählstränge, Erzählzeiten und Figuren auf exzellente Weise: zum einen die Sinnlichkeit des Mündlichen – Normas Stimme im Radio, ihr anfangs unsicherer Umgang mit dem fremden Kind aus dem Dschungel: zum anderen die Perspektive des Kindes Victor selbst und die brutalen Gewaltszenen im Dschungel.

Keine Stelle ist zu finden, an der man zögerte, weil der deutsche Satz stockte. Friederike Meltendorf trifft nicht nur den Ton der unbändigen Lust Alarcóns am Erzählen. Sie trifft auch ihre Wortwahl sehr sorgsam, so dass keine Assoziationen an die Erzählweisen aufkommen, die sich unserem literarischen Gedächtnis in vielen deutschen Übersetzungen der großen Meister des „lateinamerikanischen Boom“ stereotyp und als ’typisch lateinamerikanisch’ eingeprägt haben. Auch deshalb ist Friederike Meltendorf –  eine der jüngeren unter den deutschen Literaturübersetzern – in der Lage, diesen Debütroman auch als Stimme einer neuen Generation von Autoren zu übersetzen, die zwischen dem lateinamerikanischen Spanisch und dem US-Englischen eine neue literarisch Heimat gefunden haben.“

Zum Buch Lost City Radio:

Wagenbach 2008, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Friederike Meltendorf

(Lost City Radio, HarperCollins 2007)

In einem fernen Land, Jahre nach dem Ende eines blutigen Bürgerkriegs, regiert das Vergessen. Die alten Sprachen sind verboten, die Orstnamen durch Zahlen ersetzt und die Erinnerung an die Besiegten ausradiert. Eine Frau jedoch, Norma, leistet mit ihrer unverwechselbaren Stimme subtilen Widerstand: Sie moderiert die Radiosendung Lost City Radio, in der die Zuhörer nach ihren Vermissten suchen können. Eines Tages taucht im Sender ein Junge aus einem Dschungeldorf auf, Victor, mit einer Liste von Verschollenen und Toten, auf der auch der Name von Normas verschwundenem Mann Rey steht. Norma beginnt, die Wahrheit zu suchen und die Bausteine ihrer Vergangenheit zusammenzusetzen.

Info:

Der Preis wird finanziert von der Stiftung Elementarteilchen und hat das Ziel, die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt und Vielstimmigkeit weltweiter Gegenwartsliteraturen und die Vermittlungsarbeit des Übersetzens zu lenken. Die siebenköpfige Jury, bestehend aus Christian Döring, Ottmar Ette, Sigrid Löffler, Katharina Narbutovic, Peter Ripken, Susanne Stemmler und Jan Szlovak hat die Preisträger unter 140 Titeln aus 81 Verlagen und 53 Ländern ausgewählt. (www.hkw.de/literaturpreis)

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