In der Balance – Noch nie in ihrer Karriere war Magdalene Neuner so souverän wie derzeit

Die Dolomiten-Schlagzeile annonciert, dass es dieser Tage hier noch weitere Glanzauftritte der Deutschen geben könnte. In der Tat spricht einiges dafür. Denn hier begann das Ausnahmetalent vor fünf Jahren mit drei WM-Titeln im ersten ernsthaften Weltcup-Jahr eine Erfolgskette, die im Winterzweikampf Biathlon ihresgleichen sucht. Sie hat also "viele positive Erinnerungen" an Antholz. Ähnlich wie übrigens Ricco Gross und Michael Greis, denen hier ebenfalls der Einstieg in großartige Meriten gelang.

Seit der WM 2007 weiß Neuner zudem, dass sie im Gegensatz zu anderen Athletinnen keine Probleme mit der Höhenlage von knapp 1600 m hat. Und ihr der Kurs mit harmonischen Übergängen von Abfahrten und Anstiegen wie auf den Leib geschneidert ist. Sie ist wie kaum eine andere in der Lage, beim Skating mit der permanenten Gewichtsverlagerung vom einen auf das andere Bein, der Unterstützung des Vortriebs durch den Stockeinsatz in der Balance zu bleiben. Und sie nimmt wie nur wenige den Schwung von den Abfahrten auf festgewalzter Piste mit hinauf in den rythmischen Bergan-Tanz…"außerdem mag ich das Panorama mit den 3000-er Bergen, das gute Essen hier und das angenehme Hotel". So ist sie hier rundherum positiv gestimmt in das erste Rennen gegangen. Mit einem Schießfehler gegen Topathletinnen wie die letztjährige Weltcupgewinnerin Kaisa Mäkäräinen und Helena Ekholm, beide ohne Strafrunde, für sich zu entscheiden, zeugt von "einer körperlich momentan sehr guten Verfassung, während paar Konkurrentinnen doch schon von den Saisonstrapazen geschlaucht wirken".

Hatte Neuner in der Vergangenheit mitunter aber Schwierigkeiten, Misserfolgserlebnisse nach desaströsen Schießfehlern und daraus resultierenden Niederlagen zu verarbeiten, so ist bemerkenswert, dass sie wohl erstmals in einem Winter die Balance zwischen sportlichen herausragenden Qualitäten und entsprechend mentaler Stärke hinbekommt. Und das ausgerechnet in ihrer "definitiv letzten Wettkampfsaison". Dies hat sie frühzeitig öffentlich gemacht. Entgegen manchen Ratschlägen. Denn solch eine Konstellation setzt Topsportler nicht selten zusätzlich unter Druck. Siehe Box-Weltmeister Henry Maske, der danach im ersten Abschiedskampf trotz des im Profiboxen essentiellen Heimvorteils gegen Virgil Hill verlor…

Am Donnerstag dauerte der Sprint gut 20 Minuten, mindestens die fünffache Zeit brauchte es, um den anschließenden Medien-Marathon zu absolvieren. Neuner absolvierte die Interviewrunden mit einer bemerkenswerten Geduld und Gelassenheit. Eine schon ausgeprägte Persönlichkeit, die momentan völlig in sich ruht. Sie bereue nicht die Rücktrittsansage. Ein Rücktritt vom Rücktritt werde es nicht geben. Sie freue sich auf den Beginn eines neuen Lebensabschnittes, "in dem ich selber alles entscheiden kann". Das über die Medien verbreitete Angebot  von BayernBoss Ulli Hoeness?- "Na ja, wenn er sich denn meldet, klar, dann wird es ein Gespräch geben". Was sie sonst nach dem Sport plane?- "Da gibt es gewisse Vorstellungen, aber keine konkreten Vorhaben. Im Moment konzentriere ich mich auf Biathlon. Habe ja das Gelbe Trikot der Weltcup-Führenden und möchte es möglichst bis zum Ende behalten". Und so weiter und so fort…wie sie sich beim letzten Auftritt nun in Antholz fühle?- "Ich werde ganz bestimmt nicht das letzte Mal hier gewesen sein, denn Antholz hat nun mal für mich eine besondere Bedeutung".

Auch bei der Auskunft auf die Frage, wie denn die Resonanz in der Mannschaft auf die Äußerung von DSV-Sportdirektor Thomas Pfüller ausgefallen sei ("Wir sollten für die Zeit ohne Magdalena Neuner Umsteigerinnen aus dem Langlauf ins Auge fassen"), erweist sich die neugewonnen mentale Balance der Bayerin. Cheftrainer Uwe Müssiggang habe das thematisiert und vor allem den laufstarken, aber Schieß-Wackelkandidatinnen Miriam Gössner und Tina Bachmann versichert, dass beide volles Vertrauen für die Zukunft genießen. Der Zeitpunkt der Äußerung, den könne man schon als "unglücklich" bezeichnen, weil mitten in der Saison das wenig hilfreich sei. "Andererseits ist es durchaus auch international üblich, dass Sportlerinnen, die im Langlauf nicht ganz vorn sind, erfolgreich zum Biathlon gewechselt sind". In Deutschland sei das zuletzt Kati Wilhelm gewesen, in Finnland Kaisa Mäkäräinen.

Ob sie sich nicht ein wenig vor dem zu erwartenden Rummel um ihre Person bei der Heim-WM im März in Ruhpolding fürchte?-"Nein, nein", beeilt sie sich zu versichern. "Natürlich weiß ich, dass die Stimmung und die Erwartungen dort gigantisch sein werden…aber ich habe jetzt verinnerlicht, dass Fehler und Rückschläge im Sport wie im Leben dazugehören. Das wirft mich nicht  mehr aus der Bahn." So hat sie auch nach den jüngsten Schlappen mit der staffel in Oberhof (4 Fehlschüsse bei irregulären Bedingungen) und beim Verfolger in Nove Mesto (8 Fehler/dennoch 7. Rang) ohne Nachwirkungen verarbeitet (""Löschtaste betätigt") und ist direkt danach in die Siegesspur zurückgekehrt.

Die neue Balance und Einstellung einer Magdalena Neuner, die alles in allem im Zenit ihres Könnens steht. Und damit einen besseren Zeitpunkt zum Abtreten gewählt hat als Formel-1-Egomane Michael Schumacher und Skispringer Martin Schmitt…

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