Es kann kaum als Argument dienen, dass Fakten zum Überdruss bekannt seien – um etwas nicht darzustellen. Mord und Töten sind Thema, seit der erste Mensch einen Stein heben konnte, einen Knüppel greifen. Die spannenden Fragen, die Littell aufgriff und die Petras betrachtenswert erscheinen, sind die Abgrenzungen. Wann ist ein Jude ein Jude – was hat die Rassentheorie der Nazis für konkrete Folgen bei der Ausführung von Liquidationen? Wenn ein Mord erlaubt ist, kann der nächste nicht sühnbar sein, oder? Wer führt am Ende den Streich aus, mit welchen Folgen? Macht sich der Soldat klar, was die Ausführung eines Befehls bedeutet? Sie sind letztendlich die Dummen, bei Littell, im Theater, auf dem Balkan, in Afghanistan”¦
Der jüdische, 1967 in Amerika geborene und in Frankreich aufgewachsene Autor Jonathan Littell heimste kurz nach Erscheinen seines Romans vor fünf Jahren die beiden wichtigsten französischen Literaturpreise ein, die Rezensenten waren begeistert. Er traute sich das, was kein deutscher Autor bis heute konsequent auszumalen wagte: die Identifikation mit einem SS-Verbrecher. Armin Petras untersucht nun auf der Bühne, was die Vorlage hergibt; sich in den wohlmeinenden intellektuellen Nationalsozialisten namens Maximilian von Aue hinein zu versetzen. Littell recherchierte die Fakten einige Jahre lang vor Ort in Osteuropa, um schildern zu können, wie die Massenerschießungen von Juden in der Ukraine im September 1941 abgelaufen sein können. Bei Petras erzählt das ein Chor, dominant weibliche Stimmen skandieren das Entsetzliche. Der alte, nicht geläuterte Max von Aue, von Peter Kurth lakonisch gegeben, sitzt zu Beginn – unter uns. In einem riesigen Spiegel sehen wir den angeleuchteten Täter als einen von uns, mit dieser eingeführten Botschaft endet der Abend denn auch nach dreieinhalb Stunden Blut,- Schlamm,- und Konfettigewitter.
Die Erinnerungsszenen geben in dramatischer Farbsetzung von schwarz, rot über weiß das wieder, was die Biografie der Figur Aue ausmacht. Inzest, Krieg, Verrat, Mord, Flucht und Neubeginn. Max Simonischek spielt den schlaksigen wie weichen jungen Offizier Max Aue, der zunächst kaum erträgt, was ihm passiert.
Erschießungen, Willkür, Stalingrad, Kannibalismus. Tod. Konterkariert wird die durchaus tragisch dargestellte Figur des jungen Max Aue durch das clowneske Spiel Thomas Lawinkys, der als Thomas, Höss und Moreau über die Bühne watschelt und baldowert. Lawinky zaubert den Schweijk Rühmanns in das Stück und bricht den überhöhten Offiziershorizont Aues wohltuend herunter. Aenne Schwarz als Aues Schwester Una, Bergjude und Eichmann zeigt eine verblüffende spielerische Vielfalt.
Die Fragen, die anfangs aufgeworfen wurden, können naturgemäß nicht umfassend beantwortet werden. Armin Petras hat es mit der Inbildsetzung dieser Fragen jedoch geschafft, uns unsere Sprachlosigkeit vor Augen zu führen, zu Gehör zu bringen. Die Musik des Abends hilft dabei aufs Eindringlichste, das nackte und unmittelbare der Darbietungen, ob vokal oder instrumental, professionell oder fragmentiert, improvisiert, – sie berühren! Schade, dass bei den Bombenangriffen zuletzt doch die Sirene zum Einsatz kommt, gerade die fehlenden kommentierenden Geräusche in den ersten Szenen hatten deren Bildhaftigkeit unterstrichen. Wunderbar hingegen funktioniert der Skythen-Wagen, der totemgleich seine Runden durch das Stück dreht.
Die Inszenierung gebärdet sich als Ideenspektakel, das vor allem eins meidet, Eindeutigkeit. Es bleibt trotz einiger Längen und zu häufig wiederholten Verrenkungen ein bemerkenswertes Unbehagen zurück, ein leises Gefühl der Mitschuld.
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Die Wohlgesinnten (weitere Termine: 29.9., 7., 16., 21., 26.10., 19.30 Uhr, Gorki-Theater) von Jonathan Littell, auf der Basis der Übersetzung von Hainer Kober für die Bühne bearbeitet von Armin Petras
Regie: Armin Petras, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Karoline Bierner, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Licht: Norman Plathe, Dramaturgie: Jens Groß, Cello: Anne-Christin Schwarz.
Mit: Peter Kurth, Max Simonischek, Cristin König, Anja Schneider, Aenne Schwarz, Thomas Lawinky. Website: http://www.gorki.de