Hundert Jahre später so aktuell wie je – „Henri Rousseau“ in der Fondation Beyeler in Basel

Henri Rousseau, La carriole du père Junier, 1908, Der Wagen des Vaters Junier, Öl auf Leinwand, 97 x 129 cm, Musée national de l’Orangerie, Paris, Collection Jean Walter et Paul Guillaume

Ihm wäre das Wichtigste gewesen, daß wir über seine Ausstellung, über die in seinen Räumen zusammengetragenen Werke berichten, damit sich das noch weiter herumspricht, daß es sich wieder einmal lohnt, von weither nach Basel zu fahren und im idyllischen Museum Kunst und Ruhe zu tanken. Denn Ernst Beyeler wollte durchaus die Kunst nicht elitär, hatte Spaß an hohen Besucherzahlen und diese Mischung aus Kunstwillen und – wollen und gesundem Kaufmannssinn war sicher eine der wesentlichen Komponenten seines Lebens. Jetzt also zu Henri Rousseau, der 1844 geboren vor hundert Jahren starb. Nicht unbekannt, aber arm, insgesamt eben anders, anders in der Lebens- wie der Malweise, schon immer mit dem Hautgout des Besonderen behaftet. Die einen lieben ihn und loben ihn in den Himmel und die anderen fanden zu Lebzeiten seine Malerei einseitig von den Sujets her – Urwald, Tiere, andere Wälder, Familienszenen – und seine Art doch etwas kindlich, also naiv.

Welch ein Fehlschluß. Aber das sagen nicht erst wir Nachgeborenen, das wußten schon die wirklichen Könner seiner Zeit wie Kollege Cezanne, der ihn auch beim Eintritt in die Ausstellung mit einem eigenen Werk aus der Riehener Sammlung begrüßt. Ein schöner Zug. Die Ausstellung ist sinnvoll gestaltet, mit rund 40 Werken nicht zu umfangreich, aber groß genug, daß man den Eindruck hat, ein Lebenswerk vor sich zu haben, was auch der Fall ist, denn es sind Gemälde aus dem Früh- bis hin zum Spätwerk versammelt. Fangen wir also mit dem Leben an. Das Besondere an Henri Rousseau ist erst einmal seine Herkunft und daß er als absoluter Autodidakt seine Malerei aus sich selber schuf. Das ist – formal gesehen – für Heutige nichts besonderes, da versuchen sogar immer wieder welche, dies als Vorteil auszuspielen. Aber im 19. Jahrhundert war eine Ausbildung für einen Künstler genau so eine Selbstverständlichkeit wie die für einen Arzt. Letzteres gilt ja auch heute noch für unsere Gesellschaften.

An Ausbildung war aber gar nicht zu denken. Henri zieht 1868 aus der Provinz nach Paris und arbeitet als Schreiber bei einem Gerichtsvollzieher, er heiratet, dann wird er Zollbeamter und die Zeit, die ihm außerhalb der Arbeit blieb, nutzte er zum Malen. Das waren noch kleine Bilder und er malte die Gegenden, die er kannte, Pariser Vorstädte und die Natur, die ihm vor die Nase kam. Aber schon hier deutet sich an, was später sein Markenzeichen wird, eine Verbindung von geordneter Zivilisation und dem Wuchern und eigenständigen Wachsen der Natur. Ab 1884 darf er im Louvre und anderen Pariser Museen zu Studienzwecken Bilder kopieren, was er reichlich tut. Seine Selbstausbildung. Schon ein Jahr darauf stellte er im Salon des Refusés aus, das waren diejenigen, deren Werke von der offiziellen Akademieausstellung zurückgewiesen worden waren.

1886 nimmt er am juryfreien Salon der Sociéte des Artistes Indépendants teil, die sich gegen die Diktatur der Akademie zwei Jahre zuvor gegründet hatte, und in der er bis 1910 mit Ausnahme der Jahre 1899 und 1900 jährlich vertreten ist. 1893 geht er vorzeitig in den Ruhestand, damit er mehr malen kann. Aber wer soll seine ’seltsamen` Bilder kaufen? Seine zweite Frau bietet in ihrem Schreibwarenladen seine Bilder zum Verkauf an, aber das läuft nicht richtig. Erst seine Dschungelbilder ziehen, wo er 1905 im Salon d’Automne „Le lion, ayant faim“ ausstellt, was heute der Sammlung Beyeler gehört, und im Jahr darauf „Joyeux farceurs“, was auch in Riehen zu sehen ist. Längst ist er mit den Dichtern und Intellektuellen der Zeit bekannt geworden. Alfred Jarry, Guillaume Apollinaire und auch seine Malerkollegen sprechen über seine Werke. Die Mutter von Delaunay erwirbt sogar das 1907 im Salon ausgestellte „La charmeuse de serpents“.

Rousseau selbst verhält sich im wirklichen Leben naiv, wird in einen Bankbetrug verwickelt und angeklagt, sitzt auch kurz im Gefängnis. 1908 kauft Pablo Picasso Rousseaus „Portrait de femme“ und gibt zu Ehren des Malers in seinem Atelier ein „Banquet Rousseau“, zu dem er Georges Braque, seine Freundin Fernande Olivier, Marie Laurencin, Guillaume Apollinaire, Max Jacob und Gertrud und Leo Stein eingeladen hatte. Rousseau hält sich mit Musik- und Zeichenunterricht über Wasser und verkauft seine Bilder an den deutschen Kunsthändler in Paris, Wilhelm Uhde, der erster Ehemann der späteren Sonia Delauny war und als Entdecker Rousseaus gilt und die erste Biographie über ihn verfaßte, aber auch an die Kunsthändler Ambroise Vollard und Joseph Brummer.

Rousseau kann noch 1910 seinen Erfolg in New York erleben, wo das Dschungelbild „Le reve“ im MOMA gezeigt wird, das nicht nach Basel reisen durfte. Im September stirbt er an einer Blutvergiftung und nur sieben Personen nehmen an seiner Beerdigung teil, darunter Sonia und Robert Delauny und Paul Signac. Delauny ist auch derjenige, der 1911 die erste Retrospektive im Salon de Indépendants organisiert. Und Basel war schon einmal Zielort, denn dort fand 1933 die erste große Rousseau-Retrospektive statt. Keine schlechte Voraussetzung für die Fondation Beyeler, wobei dazu gesagt werden muß, daß nicht nur der heutige Kunstgeschmack ein anderer ist und ein Kunstschaffen außerhalb der Norm sehr viel mehr Interesse findet als früher, sondern daß man auch insgesamt heute mehr über Rousseau weiß und vor allem, wo seine Bilder auf der ganzen Welt zu finden sind, die jetzt den Weg in die Ausstellung nach Riehen gefunden haben.

Die vier Ausstellungsräume haben eigene Titel, die Werke sind also thematisch gehängt, nicht chronologisch. Das finden wir sinnvoll, denn so fällt einem beispielsweise sofort auf, wieviele Porträts der Maler schuf, der durch seine Dschungelbilder berühmt wurde. Uns haben es diese Porträts angetan. Schaut man genau hin, kann man in seinen Damenbildnissen den kühlen Blick auf Madame Cezanne wiedererkennen, den der Ehemann und Maler auf diese warf. Hinreißend die Kutschenfahrt von 1904, wo einem die Geschichte dazu in die Augen springt, so klipp und klar und gleichzeitig durch die Genauigkeit der Abbildung rätselhaft sitzen die Insassen da. Und erst einmal die Tiere!

Dann gibt es Häuser in Landschaften, bei denen man an Edward Hopper denken möchte, und immer wieder Wälder und ein geballtes Grün, das gewaltig wirkt und vor dem die Menschlein klein und beladen wie Puppen wirken. Unecht und tot, während die ungebändigte Natur lebt. Und darum ist der Raum mit den versammelten Urwäldern so schön, weil man endlich einmal auf einen Blick das Gemeinsame und das Unterschiedliche dieser Bilder erfassen kann. Es stimmt, es geht grausig darin zu. Ein Tier frißt das andere inmitten von Schönheit und Blütenkraft der Natur. Aber das ist nicht alles. Es gibt auch die Affenbilder, die an traurige Menschen erinnern und davon erzählen, daß zum Wald und zum Urwald auch Einsamkeit gehören, daß aber an der Metapher, daß das Leben ein Dschungel sei, den zu überleben anstrengend ist, einfach etwas dran ist. Schön, daß die Ausstellung und der Katalog auch noch den Blick auf die Nachwelt möglich machen, nämlich zeigen, wieviel andere Künstler von einem Autodidakten lernten, der schon Formen und Verfremdungen vorweggenommen hatte, die dann erst sehr viel später Mode wurden, ob sie nun Kubismus, Surrealismus oder auch Neue Sachlichkeit heißen.

Ausstellung: bis 9. Mai 2010

Katalog: Henry Rousseau, hrsg. von der Beyeler Museums AG, Hatje Cantz Verlag 2010

Im Katalog sind im vorderen Teil Essays abgedruckt mit kleinen Bildbeispielen, auf 44 Seiten folgen dann der Abdruck der Werke – schön groß und in hervorragender Farbqualität, wo man das Grün des Henri Rousseau so richtig erfaßt – mit Kommentaren zu den Hauptwerken.

Internet: www.beyeler.com

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