Identität und Wandel in Wort und Bild – Route der Industriekultur Rhein-Main, Band 2 im CoCon Verlag Hanau

Und denkt man das weiter, hat man sofort eine Woche Kulturtourismus entlang dieser Route im Sinn, denn dann wird es auch für Auswärtige interessant, die unter dem Stichwort „Industriekultur“ sicher nach Frankfurt kommen, wenn sich das erst einmal herumgesprochen hat. Denn wenig ist in der Architekturrezeption gegenwärtig so begehrt wie die Bauten der industriellen Produktionsstätten in ihrer Hochzeit, aber auch die Unternehmervillen und Arbeiterwohnungen oder deren Kleinsthäuser in Arbeiterwohnsiedlungen. Interessant übrigens nicht nur zum Anschauen. Denn seit auch der Hotelkonzern Hilton in Venedig die 50 Jahre lang brachliegende und schon eingefallene Getreidefabrik Stucky Molino – um 1900 übrigens von einem Deutschen in Backsteingotik erbaut – zum supermodernen Luxushotel ausgebaut hat, auf dessen Dach im 7. Stock man die Ozeandampfer an der Nase vorbeiziehen sieht, sind Industriebauten in aller Ohr und die Geviften haben schon vor Jahrzehnten alte Fabrikhallen oder verlassene Produktionsstätten gesucht und darin sich a la New York ihre Lofts eingerichtet, danach kamen die Werbeagenturen mit mehr Geld und verdrängten die bisherigen Bewohner. Industriebauten wurden chic. Aus guten ästhetischen Gründen.

Und die Pressekonferenz zur Vorstellung des interessanten und lehrreichen Buches fand in einem weiteren Kleinod der Industriearchitektur statt, der Mayfarthschen Maschinenfabrik im Frankfurter Vorort Fechenheim. Diese aufgelassenen Gebäude sind so unglaublich wie schön und sehen eher so aus, wie man für einen Hollywoodfilm eine verlassene Fabrik der guten alten Industriezeit inszenieren würde, damals, als die Schornsteine noch rauchten. Sie liegt im Osten der Stadt, wie es überhaupt einen eigenen Artikel wert ist, was es mit dem Osten und Westen der Städte und den jeweiligen Industrieansiedlungen auf sich hat. Heruntergekommen in London East und superfein in London West, dasselbe im Frankfurter Westend und Ostend, ursprünglich zumindest, denn heute gewinnen früher benachteiligte Stadtviertel daraus ihren besonderen Charme.

Im neuen, dem 2. Band der Route hat Sabine von Bebenburg, die auch Projektleiterin der Route der Industriekultur ist, über das ’Neue Leben in der ehemaligen Mayfarthschen’ Fabrik geschrieben. Auf vier Seiten entwickelt der Text die Geschichte der Fabrik, zeigt alte Bilder und beschreibt, wie der Umbau des Areals vonstatten geht zur „Klassikstadt“, was sich auf Automobile bezieht, die hier ein modernes Museum erhalten. Oldtimer in auf neu getrimmten Backsteinbauten mit Glas und Stahl, das hat schon was und wir werden – seit wir es nun dank der Pressekonferenz kennen – dieses noch nicht fertiggestellte Objekt demnächst ausführlich besuchen. Zuvor allerdings wird es schon einer der Aufführungsorte der Frankfurter Kinowoche sein, die am Sonntag, 19. Juli beginnt.

Das von der KulturRegion Frankfurt RheinMain herausgegebene Buch ist also schon das Zweite einer Reihe, von der man sich gut vorstellen kann, daß weitere folgen. Geschäftführer Konrad Dörner ist erst mal froh, daß dieser 2. Band im neuen Verlag so ansehnlich geworden ist. „Auf der großen Nachfrage nach dem 2006 erschienen ersten Band war es uns ein Anliegen, einen zweiten Band als Ergänzung für die wachsende Schar interessierter und fachkundiger Begleiter der ’Route der Industriekultur Rhein-Main“ herauszugeben.“, erläutert er und verweist auf die buchgestalterische Qualitätssteigerung im neuen Verlag, was stimmt. Das Grundkonzept ist gleichgeblieben, in dem auf der Route Liegendes in Wort und Bild vorgestellt wird, was im Band anhand der vorderen Umschlagseite sofort regional den jeweiligen Orten mit Seitenangabe zugewiesen werden kann und in den fünf Kapiteln des Buches dann im inhaltlichen Zusammenhang erscheint.

Diese Kapitel unter der Gesamtüberschrift „Identität und Wandel“ lauten: „I. Die Bedeutung der Route für die Region“, „II. Firmen-, Orts- und Unternehmerporträts“, „III. Häfen und Flugplätze: Infrastruktur im Wandel“, „IV. Umwandlungen: Good Practices und „V. Die Dynamik der Route: Rückblick und Ausblick“. Das ist ein gutes und leicht überschaubares Buchkonzept, weil man einerseits systematisch nach Themen sich etwas aussuchen – und möglichst abfahren – kann, aber auch gezielt einen Ort nach dem anderen ansteuern kann und sich alles Industriekulturelles dort anschauen kann. Man merkt, daß diese ’Route der Industriekultur’ ein regionaler Prozeß ist, deren Dokumentation im ersten Band gar nicht voraussetzte, daß ein zweiter folgen wird. Da dies aber so ist, gehen wir von einem spürbaren Erfolg aus und auch davon, daß in einem dritten Band weitere Industriedenkmäler folgen, die dann in der dortigen Umschlagseite wiederum an den Mainschleifen als Orte gekennzeichnet alle Fabriken, Zentren, Brücken oder Plätze aufzeigen, die in allen, dann drei Bänden, enthalten sind, was man gut farblich von einander absetzen kann.

Aber noch sind wir beim schönen zweiten Band, der übrigens auf Cover und Rückseite auch sofort Industrie assoziieren läßt. Allein durch die Farbe. „Mennige“ würden wir sagen, was einerseits an Rost in abgewirtschafteten Industriebauten erinnert, aber als scharfes dunkelrotes Pigment auch an Bleimennige denken läßt, was gleichzeitig das Heilmittel für den rosthemmenden Anstrich ist. Man kann das Buch übrigens auch wie ein Bilderbuch nutzen. So haben wir einfach beim Blättern immer innegehalten, wenn alte Fotografien auftauchten. Auf Seite 47 ist ein Kinderfoto abgebildet, wo ein Mädchen unter dem Motto „Alles Meins!“, seine riesengroße Zwiebackkiste – diese schönen bemalten und beschrifteten Behältnisse aus Blech – gegen den gierigen Bruder verteidigt. Da lassen sich gleich Geschichten erfinden und allein die Kleidung der beiden Schönen weisen auf die Zeit nach 1900 hin, wo aus kleinen Kindern der besseren Gesellschaft Anziehpuppen wurden, sie als Püppchen mit Schleife im Haar und er mit Weste unter dem Jackett und Kniebundhose der kleine Lord.

Liest man den Text, warum ausgerechnet in Friedrichsdorf im Taunus der Zwieback seine Heimat fand und dann sogar nach Frankfurt ’exportiert’ wurde, spätestens dann holt man sich seinen Kaffee oder ein Glas Wein und schmökert weiter, denn dieses Buch ist auch ein Geschichtsbuch, in dem sich Einwandererschicksale entfalten oder Erfindungen nachgespürt wird oder sich beim Teefabrikanten Otto Meßmer aus Alzenau alles miteinander vermischt. Wen nun wiederum unter „Industriekultur“ vor allem die technische Seite interessiert, der kann bei Anton Flettner und seinem Rotor fündig werden oder den Flugverkehrsbauten in Darmstadt oder oder. Mit einem Wort: Dies ist ein Multifunktionsbuch für jeden Haushalt in der Rhein-Main-Region und ein Anlocker für Auswärtige.

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Info: Der dritte Teil des Bandes „Häfen und Flugplätze“ bestimmt die Tage der Industriekultur Rhein-Main vom 18. bis 23. August 2009, die auch 100 Jahre Festhalle mitzufeiern haben, wo 1909 die 1. Internationale Luftschiffahrtsausstellung stattfand. Das Programm ist auf der Webseite der KulturRegion FrankfurtRheinMain aufgelistet.

Identität und Wandel – Route der Industriekultur Rhein-Main Band 2, Broschiert: 240 Seiten, CoCon Verlag 2009

In den Türkischen Gärten 13, 63450 Hanau

www.krfrm.de

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