Herzen der Finsternis – Jim Sturgess ist „Heartless“ in Philip Ridleys psychologischem Horrordrama – Serie: Die symbolischen Filmvisionen Philip Ridleys auf DVD (Teil 1/3)

Die Dämonen des Orkus baufälliger Straßenzüge und verkommener Hinterhöfe sind maskierte Jugendgangs, deren Monstermasken der verschlossene Jamie (Jim Sturgess) für ihre Gesichter hält. Sein eigenes Gesicht ist gezeichnet von einem herzförmigen Feuermal, von dem Jamie sich entstellt glaubt. Nur versteckt hinter der Linse seines Fotoapparats vermag er seinem Umfeld noch anzusehen. Gefühllos, „Heartless“, ist diese Welt, die sich höhnisch mit Herzmotive als Graffiti, T-Shirt-Aufdruck oder auf Jamies Gesicht zeichnet, während Menschen in den Straßen des Moloch verstümmelt und lebendig verbrannt werden. Verzweifelt übergibt Jamie sich selbst dem Höllenfeuer, um sich wie ein wie ein Reptil zu häute. Denn er und der satanische Papa B. (Joseph Mawle) haben einen faustischen Pakt geschlossen.

Grausamkeit, lyrische Naivität und Symbolik verknüpfen sich in Ridleys infernalischem Filmmärchen. Ein moderner Charles Perrault referiert im Fernsehen über die Schlechtigkeit der Gesellschaft. Kinderbuchillustrationen in Jamies Zimmer machen ihn zur zerrissenen Gestalt eines schaurigen Kunstmärchen. Ein in Jamies „Belle“ Tia (Clemence Posey) verliebtes „Bete“ der Schriftstellerin Marie de Beaumont, ein männliches Aschenputtel, dessen illusorische Schönheit im Morgengrauen vergeht, ein verdammter wie „Angel Heart“, der seine Seele dem (ewigen) Feuer verschrieben hat. Gleich Seth in „The Reflecting Skin“ und Ridley Noon beschwört Jamie sein eigenes Unglück erst damit herauf, dass er es im wahrsten Sinne auszubrennen versucht. Der Teufel spielt niemals fair. Fairness widerspricht seiner Natur. Nicht humanitärer Fortschritt befördert in „Heartless“ die Zukunft, sondern Gewalt und Zerstörung. Als Rebell gegen die Ordnung verkörpert der Teufel das Chaos. Sein Ziel ist nicht simple Bosheit, sondern Anarchie. Gegenüber Kants kategorischem Imperativ, der Diktatur der Moral, steht Amoral. Nur sie bedeutet absolute Handlungsfreiheit.

Er habe die Zukunft gesehen, sagt Jamies Bekannter Vinnie (Fraser Ayers): „It ´s a kingdom of horror.“ In seinem rauem kleinen Filmjuwel brennt Philip Ridley das Grauen dieses Kingdom Come auf den Bildschirm. Einen regulären Kinostart erhielt „Heartless“ in Deutschland nicht. Mit „The Reflecting Skin“ und „The Passion of Darkley Noon“ stellt er das perfekte Programm für eine Vorstellung von Midnight-Movies. Die Großstadtstraßen wirken danach noch menschenleerer, nachts, wenn der Teufel kommt.

* * *

Titel: Heartless

Land/Jahr: Großbritannien 2009

Genre: Horror, Psychothriller

DVD-Start: 7. Januar 2011

Regie und Drehbuch: Philip Ridley

Darsteller: Jim Sturgess, Clemence Posey, Noel Clarke, Joseph Mawle, Eddie Marsan, Ruth Sheen, Luke Treadaway, Timothy Spall, Fraser Ayers

Kamera: Matt Gray

Musik: David Julyan

Schnitt: Chris Gill, Paul Knight

Laufzeit: 114 Minuten

Verleih: Senator

Internet: www.senator.de

Vorheriger ArtikelDer blaue Geistesriese – In Tom McGraths turbulentem Animationsfilm stürzt Superschurke „Megamind“ in eine Identitätskrise
Nächster ArtikelWer lacht? – Zum Artikel „Faschismus? Dass ich nicht lache!“ von Shlomo Avineri