Geschichten aus der “Schattenwelt” -Connie Walther versucht die Verarbeitung deutscher Vergangenheit im RAF-Drama “Schattenwelt”

Gleißendes Licht durchstrahlt Connie Walthers Drama. In verwaschenen Grautönen erscheinen Häuser, Straßen und Menschen blaß wie Gespenster. Gleich Gespenstern wandeln sie durch die kalten Kulissen, als hätte sie ihre Erinnerung ausgelaugt. Gleichzeitig treibt sie Wut, selbst der Jüngste, Valeries Sohn und Widerspiegelung ihrer Selbst als Kind. Wo Licht ist, ist auch viel Schatten, wusste Goethe. In Walthers Vergangenheitsbewältigung wirft die Vergangenheit diese Schatten. Einerseits trennt sie die Protagonisten. Valerie von ihrem Sohn, den sie misshandelte, Samy von seinem Vater Widmer, Ellen von Decker. Auf der anderen Seite schafft sie neue Bande, das bizarre Verhältnis zwischen Valerie und Widmer, Decker und Valerie und zwischen Ellen und Widmer. So entspinnt sich ein Netz aus gegenwärtigen und erinnerten Verhältnissen. Connie Walther hält ihr Ensemble klein und tut gut daran. Zu viele Personen würden in dem Beziehungsgeflecht verwirren. Kaum hat sie das Netz jedoch geknüpft, den Zuschauer darin gefangen genommen, lässt sie es fallen. Ohne ersichtlichen Grund verliert sich “Schattenwelt” in Nebensächlichkeiten. Szenen wiederholen sich, doch statt eine symbolische Bedeutungsebene zu erreichen, erscheint dieses Nachspielen vergangener Filmmomente als Drehbuchschwächen des Autoren Uli Hermann. Zuerst überrascht Valerie Widmer mit der Waffe in dessen Wohnung. Als er seine Unschuld beteuert, lauert sie dessen Ex-Komplizin Pocke auf. Von ihr geht es wieder zu Widmer, der ihr, als hätte sie ihn nie konfrontiert, vertrauensvoll entgegentritt. Ihre Mitmenschen mit gezogener Pistole zur Rede zu stellen scheint die Lieblingsbeschäftigung Valeries.

Die Konfrontation in “Schattenwelt” suggeriert schonungsloses Bloßlegen der Vergangenheit. Unter dem Deckmantel des Offensiven drückt sich der Film jedoch darum herum. Valeries Vater ist “Kollateralschaden”. Das Erschießen des Gärtners in dem von den Terroristen überfallenen Privatanwesen war ungeplant. Und keiner will ´s gewesen sein. Selbst das finale Geständnis verliert so an Bedeutung. Was hier gestanden wird, ist das Bedauern über die unbeabsichtigte Tötung eines Angestellten. Interessant wäre die Täter-Opferkind-Konstellation, wenn Valeries Vater das gezielte Mordopfer wäre. Ob die einstigen Terroristen dessen Ermordung bereuen, kommt nicht einmal zur Sprache. Was mit dem Bonzen war, kratzt keinen. Valerie und Widmer eint schon die beidseitige soziale Randständigkeit. Widmers Sohn Ramy hingegen lebt in einem teuren Anwesen. Ob und wie dieser “Seitenwechsel” stattgefunden hat und wie sein Vater dazu steht, ob Widmer noch Fanatismus spürt, oder die Haft jede Flamme in ihm erstickt hat, bleibt im Dunkeln. Connie Walther gelingt es in „Schattenwelt“ nicht, ein komplexes Geflecht der unverarbeiteten, gewalttätigen Vergangenheit zu erschaffen. Die RAF-Zughörigkeit hängt nicht drückend über den Charakteren. Widmer und Pocke könnten beliebige Kriminelle sein, denen bei einem Einbruch ein Schuss daneben ging. Eine veränderte, aber nicht minder interessante Spannungssituation zwischen Valerie und Widmer könnte dies bergen. Doch die Regisseurin lässt sich von Hermanns Drehbuch, woran sie selbst mitschrieb, den Boden wegziehen. Schon auf dem Filmplakat wird verraten, was Valerie mit Widmer verbindet. Die Frage, was die attraktive, emotional instabile junge Frau mit dem verlebten Ex-Häftling verbindet, stellt sich somit nie.

Stattdessen vertröstet der Film mit trivialen Scheinerklärungen. Als solche ist Widmers Analyseversuch seiner Beifahrerin Valerie schlicht albern: “Wie du die Dose öffnest, ohne hinzusehen. Das könnte auch ´ne Waffe sein oder deine Wohnung: alles drunter und drüber, aber du weißt, was wo ist.” Sind wir nicht alle ein bisschen RAF? Nach “Schattenwelt” kaum. Connie Walthers Drama versinkt in seiner selbstkonstruierten “Schattenwelt“.

Titel: Schattenwelt
Start: 25. Juni
Regie: Connie Walther
Drehbuch: Uli Hermann
Darsteller: Franziska Petri, Ulrich Noethen, Tatja Seibt, Uwe Kockisch
Verleih: Edition Salzgeber
www.schattenwelt-der-film.de

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