Besser hätte das Jahr für die Angestellten einer kleinen Spezial-Skiproduktion im 300-Seelen-Ort zwischen Schmalkalden und Meiningen nicht beginnen können. Denn sowohl der Norweger Jacobsen wie auch der Erzgebirgler Freitag sprangen und flogen auf den in Floh-Seligenthal gefertigten Ski mit dem Logo „fluege.de“.
Ein nachhaltiger Doppelbeweis für die Qualität dieser Flug-Hilfsmittel. Zugleich zwei erneute Ausrufezeichen auf eine Kulturrevolution hinter den Kulissen – die Eroberung des Nischenmarktes Sprungski durch Fremdfirmen!
Bei der traditionsreichen Tournee in Deutschland/Österreich sind optisch nur noch zwei urbane Skifirmen präsent – Fischer, der Marktführer im Nordischen Skisport , aus Österreich und der kleine slowenische Skihersteller Elan.
Daneben fallen die blauen Ski von fluege.de, die roten von Sport 2000 sowie von Löffler ins Auge.
Allesamt Fremdflieger und keine klassischen Skiproduzenten. In die Branche geraten, um auf diese Weise für ihre Unternehmen, deren Produkte oder Dienstleistungen zu werben!
Fluege.de ist ein Reise-Internetportal aus dem Bereich des Leipziger Unternehmens Unister. Sport 2000 ist ein europaweiter Händlerverbund von Sportartikelanbietern mit Jahresumsatz von mehr als fünf Milliarden Euro. Und Löffler gehört mit seinen Angeboten hochwertiger Sport- und Freizeittextilien zu den Marktführern in diesem Segment.
Sie alle lassen Ski von kompetenten Herstellern produzieren und etikettieren diese dann mit ihrem Logo.
So steht hinter den bis zu 2,80 m langen Fluggeräten von fluege.de sowie von Sport 2000 der Nachfolger des DDR-Kombinats GERMINA aus dem erwähnten Floh-Seligenthal. Die aus Carbon, Glasfiber, Kevlar gefertigten Kunststoff-Latten mit dem Löffler-Logo kommen aus der Produktion des 90 Jahre alten Familienunternehmens von Fischer.
Der enorme Werbeeffekt bei Fernsehübertragungen und der Rückzug von Ski-Herstellern führte zu dieser Marketing-Idee und zu diesem Wandel in der „Formel 1 des Skisports“ (so ein TV-Werbespruch).
Den Anstoß zu dieser Entwicklung gaben der aus Bayern stammende Unternehmer Georg Reichart und sein Kollege Bernhard Seidl. Sie kauften 2001 „auf Anregung des Skiverbandes“ den Restbestand des ehemaligen DDR-Kombinats GERMINA, der seinerzeit Langlauf-Ski für den Breiten- und für den Spitzensport sowie Sprungski herstellte. Die beiden übernahmen die Produktionsanlagen sowie die Fachkräfte für die Produktion.
Sprungski-Herstellung ist ein Minusgeschäft
Der Grund für den Rückzug der Traditions-Firmen – Produktion und Verkauf der Sprungski sind ein Minusgeschäft. Georg Reichart nennt Zahlen: Weltweit werden jährlich rund drei Millionen Alpinski und etwa 1,2 Millionen für Langlauf verkauft.
Es folgen Snowboards, Tourenski, Ski für Telemark-Technik: „Und ganz am Ende stehen Sprungski mit etwa 2500 bis 3000 verkauften Paaren.“
Die geringen Stückzahlen sind ein Grund für die Unwirtschaftlichkeit, ein anderer liegt in der aufwendigen Herstellung. Die Sprungski, ein Sandwich aus Carbon, Glasfiber und Kevlar, müssen jeweils individuell an Größe, Gewicht, Sprungkraft und Technik des Sportlers angepasst werden.
Um ihre Firma am Leben und die Herstellung dieses hochwertigen Sportgeräts in Deutschland zu erhalten, ersonnen Reichart/Seidl das Geschäftsmodell, die Ski als „fliegende Werbebande“ an den Mann zu bringen.
Reichart: „Fluege.de/Unister war der erste Ansprechpartner, der von unserem Konzept überzeugt war und 2010 zugriff.“
Hinter Unister, mit zahlreichen anderen Tochterfirmen neben fluege.de, steht der Leipziger Jung-Unternehmer Thomas Wagner. Ein ostdeutscher BWL–Student ohne Abschluss, der binnen weniger Jahre ein Imperium mit rund 1700 Beschäftigten nach Vorbild von Start-up-Unternehmen aufbaute. Reiseportale, Versicherungen, Automarkt, Immobilien u.a.
Wagner hat ein faible für Fußball, Skilaufen und Sport überhaupt. So stieg er beim Marketing für seine Firmen als Sponsor u.a. in der Formel 1 und bei Borussia Dortmund ein.
Heute subventioniert er den Handball-Zweitligisten SC DHfK Leipzig . Der soll nach Vorbild von Red Bull für Rasenball Leipzig/Fußball in die erste Liga aufsteigen. Und investiert jährlich geschätzte 800 000 Euro in sein Hobby Sprungski.
Für die fliegende Werbung investiert er rund 350 000 Euro allein für Herstellung, kostenlose Übergabe der Ski und Service an Vertragsspringer. Dazu gehören rund 30 Aktive aus dem Lager der Springer (15 % aus den Top 50), Nordisch Kombinierte sowie einige Springerinnen. Sie erhalten im Schnitt acht bis zehn Ski unentgeltlich pro Saison.
Jacobsen holte ersten Weltcupsieg
Prominenteste Akteure sind die Norweger Anders Jacobsen, Tourneesieger 2006/07, und Anders Fannemel, der Österreicher Thomas Diethart, Tourneegewinner im Vorjahr, sowie die deutschen Spitzenspringer Richard Freitag und der verletzte Andreas Wellinger. Ski von fluege.de benutzt auch die Sprung-Weltmeisterin Sarah Hendrickson (USA).
Für Saison-Serviceleistungen, Schleifen und Anpassen der Ski, schlagen rund 150 000 Euro zu Buche. Für Maßanfertigungen und Service ist Pierre Heinrich, ehemals Rossignol, zuständig.
Ein weiterer Kostenfaktor – neben dem Vertrags-Grundsalär – entsteht durch entsprechende Erfolgsprämien für die Aktiven. Insgesamt springen mehr als 100 Aktive mit dem Aufdruck fluege.de auf den Brettern.
Insgesamt werden derzeit von dem Dutzend Mitarbeiter in Thüringen jährlich 2000 Ski hergestellt. Die Produktionskosten belaufen sich pro Paar auf rund 1000 Euro. Davon geht die Hälfte in den Verkauf. Sprungski kosten zwischen 400 und 700 Euro. Die leisten sich Hobbyspringer oder B- und C-Kader. Deutlich billiger sind Youngster- Modelle für den Nachwuchs oder für Frauen zu haben.
Obwohl vor der Markteinführung bei der FIS alle Regularien – beispielsweise der Firmeneintrag „fluegede.de SSP GmbH“ -geklärt waren und Jacobsen 2012/13 den ersten Weltcup-Sieg auf den blauen fluege.de-Latten feierte, schritt der Vermarktungs-Monopolist IOC bei den Winterspielen im Vorjahr in Sotschi rigoros ein: Der Schriftzug fluege.de musste überklebt oder übersprüht werden. Selbst die Namen der Aktiven mussten unkenntlich gemacht werden. Offen ist derzeit, ob das Verbot bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang genauso gehandhabt wird. Merke, was beim Weltverband FIS – so eine kleine Fläche vor der Bindung für individuelle Sponsoren – gestattet ist, muss nicht für das IOC gelten!
Der europäische Händlerverbund Sport 2000 ist mittlerweile nach fluege.de der zweite Kunde der Skihersteller aus Thüringen.
Bezeichnend für den Trend ist auch die Tatsache, dass Fischer mit seinen Massenproduktionen in Russland und der Ukraine mittlerweile das Modell kopiert hat. Der österreichische Großproduzent hatte vor 2010 auf juristischer Ebene den Markauftritt des Neulings zu verhindern versucht. Nun betreibt er Kostenreduzierung im Prestigesektor Sprungski, produziert Sprungski im Auftrag des Tochter-Unternehmens Löffler mit dessen Logo. Eine Win-win-Situation für beide.