Weil dies ein solch unvergleichlicher Augen-, Gemüts- und Musikrausch ist, wollen wir die Bedeutung der Gruppe nicht wiederholen, die aus dem Nichts die schon verlorenen gegangen Traditionen der Stabpuppen in China wiederbelebten und verweisen dazu auf unseren ersten Artikel. Wir wollen jetzt nur vom Gastspiel selber berichten, das in Steinau zwar zufällig durch das Aufeinandertreffen des Bürgermeisters Walter Strauch mit Chinaexperten Hans Joachim Kunz zustande kam, daß aber in Steinau nun auf eine Stadt mit einer alten Puppenspieltradition trifft. Nicht seit dem Mittelalter, wo eine große Spieltradition bestand, aber immerhin vor 80 Jahren haben sich in der Brüder Grimm Stadt Steinau „Die Holzköppe“ zusammengetan, die gerade Jubiläum feierten. Ein guter Boden also, auf dem nun die Artistik der chinesischen Gruppe zu bewundern war, die anschließend zum Kongreß nach Brüssel und dann Italien weiterreist.
Lustig ging es mit „Wu Song kämpft mit dem Tiger“ los. Eine Slapsticknummer, wo durch seine Ahnungslosigkeit dieser etwas dickliche Wu Song, der doch nur schlafen möchte, den gefährlichen Tiger besiegt. Denn gefährlich ist dieser, den – so denken wir – zwei der Spieler an den Stäben führen, denn er bringt so einen rasanten Galopp zu wege, bäumt sich mit dem Vorderleib auf, schlägt mit den Beinen aus, also wirklich, man glaubt, ein echtes Tier vor sich zu sehen, wenn da nicht diese Schlafmütze wäre, die sich auf dem Bühnenoberrand sein Bett gebaut hat – rechts übrigens ragt ein großer grüner Baum empor, der noch seine Rolle spielen wird – und nur mit seinem Tüchelchen erst einmal den Tiger vertreibt. Chuzpe nennt man so was, was daher rührt, daß sich der gute Mann der Gefahr nicht bewußt ist. Die Zuschauer schon, denn die erleben einen Tiger, der mit der Musik tanzt, dessen Kopf hoch in die Luft geschleudert wird, der sich an Wu Song die Zähen ausbeißen will, aber nur emsig auf seine Niederlage hinsteuert. Eingeleitet wurde dieses Stück, das zum Schreien komisch ist, durch den Biß des Tigers in den Nacken eines so hübschen weißen Hasans, daß von Anfang an die Sympathie der Zuschauer auf jeden Fall nicht dem Tiger gilt, auch wenn der hinreißend dargestellt ist, aber Verlierer bleibt.
Auch im nächsten Stück geht es um einen Mann und ein Tier. Auch hier will der diesmal kahlköpfige Mann lieber schlafen – schlafen in China die Männer so gerne? -, aber die Mücke, die freche, die läßt ihn nicht. Was sich hier kurz und knapp mit der ewigen Weisheit, wie flink sich die Kleinen gegen die Großen wehren können, ereignet, ist just das Gegenteil des eben Geschauten. Hielt dort das Publikum doch stärker zum Menschen, so jubeln hier die großen und die nicht wenigen kleinen Zuschauer begeistert, wie intelligent die Mücke die Schwächen des Menschen ausnutzt. Der kahlköpfige Müde zieht nämlich als die Mücke auf seiner Platte – aha, die Kahlköpfigkeit hat also eine dramaturgische Funktion – zuschlägt, schnell seine Bettdecke über den Kopf. Was macht die Mücke? Sie ahnen es schon? Surrt um die nun bloßen Füße und sticht zu. Was erst langsam beginnt, steigert sich dann – unterstützt von dem Trommelwirbel der Musik – zu einem hektischen Hoch- und Runterziehen der Bettdecke, womit der Gestochene wechseln Kopf und Füße bedeckt und immer eine bißchen schneller die Mücke erneut zusticht. Das ist technisch unglaublich. Man kann diese Schnelligkeit kaum mit den Augen nachvollziehen, aber hinter der Bühne wird dies mit den Stabpuppen vollzogen. Riesiger Beifall ist die Folge.
Nun treten „Kranich und Schildkröte“ auf. Und erst einmal fällt uns auf, daß die Tiere in diesen Spielen eine große Rolle spielen, obwohl wir dann bald weiterdenken, es geht gar nicht um die Tiere, sondern allen Geschichten liegt eine eigene Moral zugrunde, so wie ja auch Tierfabeln eigentlich die Menschen meinen. Hier geht es um einen aus dem Nichts und um Nichts entstandenen Konflikt zwischen dem arroganten und aggressiven weißen Kranich und der plumpen, listigen Schildkröte. Lustig anzuschauen ist das Hauen und Stechen und gar zu komisch, wie der Kranich nach dem Fleisch des Schildkrötenkopfes pickt, aber immer nur den Panzer mit einem lauten Peng trifft – übrigens die ganze Zeit über ist eine die Szenen unterstützende Musik eingesetzt, die unsere höchste Anerkennung findet – , weil nämlich beim Angriff des Kranichs das Zurückschnellen der Schildkröte in ihren Panzer allemal schneller ist als der Kranich es vermag. Wie es ausgeht? Eher immer für die Schwächeren. Das ist hier das Erdentier Schildkröte, daß auf einmal den Hals des Kranichs im Maul hat. Was die Schildkröte damit will? Das weiß keiner, denn die Moral ist zum einen, daß man nicht sinnlos streiten soll, zum anderen aber auch, den Gegner nicht zu unterschätzen, wie es dem Kranich unterlaufen ist.
Die kommenden Geschichten, vom Fuchs und dem Tiger, ist eigentlich auch ganz toll, weil der Fuchs durch seine auch in China bekanntest List, am Schluß auf dem Tiger reitet, aber wir wollen unbedingt noch von dem tiefen Erlebnis berichten, das eintritt, wenn die Schauspieler ihre Puppen vor die Bühne holen. Hier ist es die Mondgöttin persönlich, die einen Tanz mit langen Ärmeln vorführt. Man sieht also wie eine eher kleine schmale schwarze Figur, eine junge Frau, in der Rechten die circa einen Meter große Mondgöttinpuppe nach oben hält, die – das haben wir schon beim fantastischen Tanzen zum 60. Jahrestag Chinas von einer auch aus der Provinz Jiangnan/Jiangsu kommenden Tanzgruppe erlebt – mit überaus langen Ärmeln, also einer Verlängerungen der Arme um zehn Meter roter Seide, ausgestattet ist, die einen unvergleichlichen visuellen Eindruck erzeugen, wenn die Schauspielerin die Arme der Mondgöttin an zwei Stäben zu einem harmonischen Tanz bewegt, wo die farbenfrohen Schleier wie eigenständige Wesen durch die Lüfte segeln, mal in gleicher Bewegung, mal auseinanderzulaufend, immer ein Augenschmaus und dies alles zu wunderschöner Musik. Das ist Schönheit und Harmonie pur und man sitzt hingerissen vor dieser jungen Frau und bestaunt ihre Fähigkeiten und denkt auch später immer wieder, wie lahm einem die Arme werden müssen, wenn sie hochaufgerichtet nicht nur die Puppen führen, sondern dann auch noch die Stäbe in Bewegung halten, mindestens zwei an einer Hand.
So gewinnt man auch artistisch eine Hochachtung nicht nur für die Wirkung, sondern für die Professionalität, die dahintersteckt. Denn jetzt geht es damit erst richtig los. Alle Szenen spielen vor der Bühne, besser: auf der Bühne vor dem Vorhang. Bei unserem ersten Artikel sehen Sie das Bild, von den zwei, die Schriftgelehrte darstellen, die wir, des Chinesischen sehr unkundig uns als Mandarine vorstellen, denn so nannten sich die Hofbeamten in Kaiserzeiten. Heute allerdings können alle lesen und schreiben, vielleicht aber nicht so exzellent, wie es hier die Puppen mit Hilfe ihrer Handführer tun. Sie glauben es nicht, gleich zweifach wird das auf großen Tafeln mit weißem Büttenpapier (oder Reispapier?) vorgeführt. Jeder Darsteller hält seine Puppe in der Rechten und hat mit der Linken je zwei Stäbe, die zu den Händen der Puppen führen, und nun wird mit der Tusche im Gefäß der Pinsel erst geschwärzt und dann entsteht auf der rechten Seite ein richtiges chinesischen Gemälde, wie wir es als bambusartig in Schwarz Weiß kennen und lieben. Und der Linke malt gleich mit den chinesischen Zeichen das ganze Blatt voll. Es ist ein sehr beliebtes chinesisches Gedicht aus alter Zeit, das dieser Künstler mit seinen zwei Stäben seine Puppe aufs Papier bringen läßt. Man würde diese Kunstfertigkeit nicht glauben, würde man nicht mit eigenen Augen die Hervorbringung sehen.
Und so geht es weiter, eine hinreißende Hommage an tibetische Landschaft und Kultur in Rot und Gelb, eine varietereife Vorstellung von drei Schauspielern, die ihre Puppen buddhistische Perlenschnüre in die Luft werfen und von je einem anderen Auffangen lassen. Die übrigens stammen aus der Peking Oper, wie auch die von Sichuan sich mit Wechselgesicht im schnellen Farbenspiel und feuerspeiend einfindet. Das kann man sich nicht vorstellen, das muß man sehen, weil man es sonst nicht glaubt, daß da oben eine Puppe Feuer speien kann, wo der Puppenspieler doch nur zwei Hände hat, von denen er schon eine für das Halten der Puppe braucht.
Sie merken schon, unsere Begeisterung kennt keine Grenzen und so sagen wir offen, daß der erste Teil der Darstellung eigentlich schon alle Ansprüche an Marionettentheater erfüllt, daß wir aber im zweiten Teil, wo die Darsteller beim die Puppenbewegen zu sehen sind, noch viel stärker fasziniert sind, weil wir Westler, die halt immer wissen wollen, wie etwas funktioniert, also auch eine gewisse Sucht nach der Aufklärung haben und uns weniger der reine Vorführung hingeben, hier voll auf unsere Kosten kommen. Außerdem vermitteln alle Stücke uns neben der unglaublichen Artistik auch eines: daß Menschen im Zusammenspiel mehr erreichen, als wenn es einer alleine probiert oder – noch schlimmer – gegen andere. Den Steinauern ist es mit einem rührigen Bürgermeister zu gönnen, daß sie solche hochrangige Kunst aufs Land brachten, das übrigens so wunderschön grün hügelig da liegt, wenn man mit der Bahn anreist. Und dem Bürgermeister Strauch ist es zu gönnen, daß ihm das kalligraphierte Gedicht anschließen überreicht wurde und Hans Joachim Kunz das Gemälde, beide haben es verdient. Vom brausenden Beifall für die zehn Schauspieler brauchen wir nicht mehr zu sprechen, der auch die einschloß, die die Stücke inszenieren, die Musik arrangieren, das Theater leiten und aus der Provinz als Kulturfunktionäre nach Europa geleiten.
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Spielplan: jetzt noch Sonntag, 11.10.2009, 16 Uhr und 19 Uhr, Montag, 12.10.2009, 10 Uhr
Kontaktadresse: Magistrat der Stadt Steinau an der Straße, Bürgermeister Walter Strauch, Brüder-Grimm-Straße 47, 36396 Steinau an der Straße
Informationen und Kartenvorverkauf: Verkehrsbüro Steinau, Brüder-Grimm-Straße 70, 36396 Steinau an der Straße, Telefon 06663/96310, FAX: 06663/963133, Email: verkehrsbuero (at) steinau.de, Internet: www.steinau.eu