Geiz ist geil? – Der Theatersommer Netzeband zeigt »Der Geizige» von Molière

Der Geizige.
Die Maske des Geizigen im Molière-Stück "Der Geizige". © Theater Netzeband, Förderverein Temnitzkirche e.V., Foto: Veronika Zohova

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Der seit 22 Jahren bestehende Theatersommer Netzeband ist längst kein Geheimtipp mehr, doch er reizt Zuschauer aus nah und fern durch seine außergewöhnliche Form – das Synchrontheater-Maskenspiel. Das ist Schauspiel, bei dem die Dialoge vorher aufgenommen sind und über Lautsprecher abgespielt werden (Aufnahmen: Matthias Richter). Die Schauspieler und Tänzer bewegen sich synchron zum Text, was den Vorteil hat, dass die Sprache nicht in der Tiefe des Gutsparks verhallt, sondern dass die Stimmen professioneller Sprecher dialektfrei, klar und deutlich zu hören sind – heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr. Dieser Kniff erlaubt es Laienschauspielern, ohne sprachliche Hemmnisse »über die Rampe» zu kommen. Noch besser ist: die Erfindung von Jürgen Heidenreich und Frank Matthus, die Darsteller Masken tragen zu lassen, scheitert nicht daran, dass die Sprache von der Maske verschluckt wird. Der Schauplatz ist der Gutspark unterhalb der Temnitzkirche.

In diesem Sommer gibt das Theater »Der Geizige» von Moliere. Dies ist die Geschichte, wenn nicht die Karikatur, eines reichen Bourgeois, der krankhaft geizig ist, sein Geld versteckt und jedermann verdächtigt, den Schatz stehlen zu wollen. Sein größtes Problem sind seine Kinder Cleante und Elise, die im Gegensatz zu ihm gern das Geld zum Fenster hinauswerfen. Die will er an reiche Familien verheiraten, ohne selbst Mitgift zahlen zu müssen. Sie haben »natürlich» Geliebte ohne Vermögen und versuchen ununterbrochen, den Vater zu überlisten. Der gibt vor, selbst eine Wunschkandidatin seines Sohnes heiraten zu wollen. Endlose Intrigen, Verwechslungsspiele und neue Liaisons halten die Komödie am Laufen. Am Ende kriegt jeder den oder die, den oder die er will. Und der Alte ist ausmanövriert. Garniert wird das Spektakel mit einer Zirkus- Rahmengeschichte und mit Tanzeinlagen nach populären Schlagern. Es wird viel gerannt, getanzt und gezappelt, um die Story erträglich zu machen – ganz nach dem Geschmack der jungen Schauspieler aus Netzeband und Umgebung, die sich in der breiten Fläche ordentlich austoben können. Das wird von der Regisseurin Christine Hofer und ihrem Ensemble zur Freude des Publikums auch weidlich genutzt. Völlig überzogen ist das jedoch bei dem Geizigen, Harpagnon (Recardo Koppe), und anderen Hauptdarstellern, wo die Dialoge durch unmotiviertes Gezappel eher gestört als untermauert werden.

Die Masken von Dirk Seesemann sind durchweg phantasievoll und prägnant. Von neuem überrascht und beeindruckt das Verhältnis von Laien und Berufsschauspielern. Von 25 Schauspielern sind vier Profis (Daria Monciu, Uschi Schneider, Andreas Klein und Recardo Koppe). Ein Unterschied ist kaum zu erkennen. Die Sprecher sind perfekt. Der langjährige Technische Direktor Marc Hermann und sein Team leisten solide Arbeit. Es ist Volkstheater im besten Sinne.

Dennoch fragt man sich nach dem »Nährwert» des Stücks, denn die »Probleme», die Moiieres Figuren haben, waren in der feudalen Gesellschaft verwurzelt, und sie wurden von ihm als bürgerliche Habgier verspottet. Die Autoren des Programmhefts meinen, das Stück wäre ganz »für unsere Gegenwart geschrieben. Wenn wir Geiz geil finden und verschwenderischen Luxus für unser persönliches Anrecht halten, dann sind wir ein großer Teil des Problems dieser Welt.» Doch wer ist »wir»? Bestimmt nicht die Leute aus der Prignitz oder die jungen Schauspieler aus Netzeband, von denen sich die meisten gerade so über Wasser halten, wenn sie nicht gar abwandern, um irgendwo ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Man vermisst aber die früher in Netzeband sehr amüsant geübten Anspielungen auf heutige Verhältnisse, etwa das Problem Geiz und Habgier, heute personifiziert in den Finanzministern jeglicher politischer Couleur oder ihrer gemeingefährlichen Verkörperung im Staat, der die Bereicherung der Reichen und die Verarmung der Geringverdiener, der Arbeitslosen, Rentner und Kinder in großem Stil betreibt. Da hat die Regie Möglichkeiten verschenkt, auch wenn die Zuschauer sich mit einem schönen Klamauk begnügen. Der »Spielspaß im Mittelpunkt» (Hofer) genügt eben nicht.

Die Stückwahl der vergangenen Jahre vermittelt den Eindruck, im abgelegenen Netzeband käme eine Liebhaberei nach der anderen zum Zuge Da dürfen die Genies mal inszenieren, was sie sich schon lange gewünscht haben, »Peer Gynt» zum Beispiel oder Moliere. Seit Jahren frage ich, wo populäre Stücke aus der DDR bleiben, von Peter Hacks, Rudi Strahl, Volker Braun, Heiner Müller und anderen. Oder Dramatisierungen von Christa Wolfs Romanen, wie »Medea» in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. Das wäre doch was für den Gutspark. Wenn Frank Matthus und Christine Hofer Moliere für aktuell halten, dann sind es Stücke aus der DDR allemal, schon wegen des Aha-Effekts, was man so erlebt hat und nun mit anderen Augen sieht. Zum Beispiel ist Heiner Müllers 1961 verbotene Komödie »Die Umsiedlerin oder das Leben auf dem Lande» heute ein revolutionäres Stück. Ein Lichtblick war im vergangenen Jahr »Der gute Mensch von Sezuan» von Bertolt Brecht, aber vorläufig ohne Weiterung.

Für 2019 ist angekündigt die Kriminalgeschichte »Erlenklipp» von Theodor Fontane, dramatisiert und inszeniert von Frank Matthus, zum 200. Geburtstag Fontanes für Netzeband naheliegend. Angesagt wird »der Widerstreit von Gut und Böse, von Gesetz und Gnade in mystischer Naturkulisse». Oh ja, da wäre doch zu beleuchten, wie das Amtsgericht Neuruppin und das Landgericht Neuruppin das Gesetz handhaben und wem sie Gnade erweisen und wem nicht (Stichwort Klassenjustiz). Wenn da mystische Hintergründe aufgeklärt würden, wäre das die Überschote.

Die Vorstellungen in Netzeband, einem Dorf im Nordwesten Brandenburgs, sind noch immer gut verkauft, auch wenn Preise von 28,50 bis 35 Euro kein Pappenstiel sind. Netzeband ist unverkrampft, doch auch mit viel bürgerschaftlichem und kommunalem Aufwand zum Theaterdorf geworden. Wenn es spät wird, findet der Gast gute Übernachtungen in den Märkischen Höfen, in der Pension zur Alten Schule, im Gutshaus Darsikow und in anderen Herbergen.

Letzte Vorstellungen am 31.8. und am 1.9.2018, jeweils 20.30 Uhr.

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